„ENTREZ DANS LA DANSE…“ ANNE QUEFFÉLEC spielt französische Klaviermusik der Belle Époche und der Années Folles, MIRARE CD
„Qui reste à sa place et ne danse pas, de quelque disgrâce fait l‘aveu tout bas“ aus Gounods Oper „Romeo et Juliette“
Das Vergessen suchen in maßvollen Rhythmen. Anne Queffélec, La Grande Dame unter den Pariser Pianistinnen, fordert auf ihrer neuen CD zum Tanz auf. „Kommt, tanzt mit uns. Küsst, wen ihr wollt.“ Tanzschritte, Hoffnungen, Wünsche, Bedauern, wie viele der als Tanz verkleideten Lieder auf dem neuen Album erzählen doch vom Herzschmerz. Anne Queffélec: ,Verstorbene Infantinnen und auch lebende begegnen uns hier auf dem Weg. Nostalgische Anmut der „Valse Nonchalante“ von Camille Saint-Saëns, entschwundene Jugend in Francis Poulencs „Bal fantôme“, ebenso in Chabriers „Feuillet d‘album“ wie in „The snow is dancing“ aus dem Childrens Corner von Claude Debussy, herzzerreissende Nachfragen in César Francks „Danse lente“, von Ärger und Gefahr getrübte Liebe bei Reynaldo Hahn (aus „Le Rossignol éperdu“), besorgte harmonische Unbeholfenheit in Eric Saties „Danse de travers“.
Anne Queffélec zaubert mit ihren Händen Stimmung, Eros und Thanatos umarmen sich. Sie zelebriert die freudige Heiterkeit der „Ronde des lettres boiteuses“ von Florent Schmitt, das Stampfende des „Pas espagnol“ von Gabriel Fauré, die jubelnde Energie der „Ronde“ von Guy Ropartz, den Taumel des toll-betrunkenen Walzertänzers in Massenets „Valse folle“. Man muss Madame nur zuhören können und die Worte einsaugen, die die charmante Tasten-Magierin uns auf den Weg gegeben hat. Da gesteht sie, auch einen Überraschungsgast eingeladen zu haben. Das einleitende Stück „Canción y Dansa 4“ stammt nämlich vom Katalanen Federico Mompou, der meinte, dass er die Musik von Fauré und Poulenc auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würde.
Die Stücke des Programms reichen von 1885 bis 1930, einer Epoche, wo nach Paul Valéry „weder Materie noch Raum noch Zeit das sind, was sie von jeher waren.“ Anne Queffélec spielt alle diese 24 Stücke – neben den bereits erwähnten von Maurice Ravel, Emmanuel Chabrier, Ernest Chausson und Gabriel Pierné – mit unnachahmlicher Noblesse, und sinnerfüllter Virtuosität, mit Augenzwinkern und bisweilen spätsommerlicher Melancholie. Nichts gerät gefühlig oder gar sentimental. Bei den Stücken für Klavier vierhändig, der „Valse-Impromptu“ Op. 27 von Gabriel Pierné, „Le pas espagnol“ von Gabriel Fauré und „Pour la danseuse aux crotales“ von Claude Debussy assistiert Gaspard Dehaene.
Julia Sandler schreibt im Booklet, dass die für das Album gewählten Komponisten „weniger zum eigentlichen Tanz einladen als zum Insichgehen, um so die durch den Tanz hervorgerufenen Träume wahrzunehmen.“ Ein kontemplativer Ball des Lebens rollt sich vorm inneren Ohr ab. Anne Queffélec als dessen Erzählerin bedarf keiner Empfehlung mehr, ihr Spiel ist nichts weniger als vollendet.
Dr. Ingobert Waltenberger