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Elisabeth Leopold: SCHIELE IST EIN UNERSCHÖPFLICHES THEMA

Elisabeth Leopold Vor Egon Schiele~1

Elisabeth Leopold

SCHIELE IST EIN UNERSCHÖPFLICHES THEMA

Elisabeth Leopold, Grand Dame der Wiener Museumsszene, feiert in wenigen Monaten ihren 95. Geburtstag. Das Geschenk dazu hat sie sich selbst und ihrem vor zehn Jahren verstorbenen Gatten gemacht: Dessen berühmtes Standard-Werk über Egon Schiele, 1972 ein Bestseller des Residenz Verlags und längst nur mehr teuer in Antiquariaten zu finden, wurde vom Hirmer Verlag neu heraus gebracht. Ein über 5 Kilo schweres Fest für Kunstfreunde

In den Schiele-Räumen des Leopold Museums hat Renate Wagner mit Elisabeth Leopold gesprochen

Frau Professor Leopold…

Bitte, nicht Frau Professor, nicht Frau Doktor, hier im Leopold Museum bin ich einfach die Frau Leopold.

Leopoldmu Weltgrösste Schiele Sammlung~1

Liebe Frau Leopold, das Museum, das den Namen von Ihrem Gatten und Ihnen trägt, wirbt stolz damit, „die weltgrößte Schiele-Sammlung“ zu besitzen. Erinnern Sie sich eigentlich noch daran, wie das erste Schiele-Bild in das Leben Ihres Mannes kam?

Natürlich, es war die Gouache „Tote Stadt“ von 1910, die er gekauft hat. Das war 1948, da war er Anfang 20 und studierte Augenheilkunde, wie ich auch. Damals haben wir uns kennen gelernt, 1953 haben wir geheiratet. Ich habe miterlebt, wie sich sein Interesse für Kunst zuerst an den Meisterwerken des Kunsthistorischen Museums entzündet hat, aber dann kaufte er das Buch von Otto Kallir-Nirenstein, das 1930 über  Schiele erschienen ist. Und er war fasziniert: „Das ist einer, der technisch so großartig ist wie die alten Meister,  aber nicht Madonnen und Prinzessinnen malt, sondern unsere Themen, einer, der ganz tief existenziell ist.“ Wenn ihn etwas begeistert hat, konnte er stundenlang darüber sprechen. Und so kam der Stein ins Rollen. Bis zu seinem Tod hat er 45 Werke von Schiele gekauft, 40 davon befinden sich im Leopold Museum.

Und wie haben Sie das organisiert und finanziert? Sie arbeiteten beide als Augenärzte, hatten im Lauf der Zeit drei Kinder, wie konnten Sie sich diese Kunstkäufe leisten?

Wir haben oft Kredite aufgenommen, wir haben auch wieder Bilder verkauft, wenn wir etwas Besseres bekommen konnten. An sich haben wir es so gemacht, dass ich mit meiner Praxis die Familie versorgt habe und mein Mann seine Einkünfte für das Sammeln verwendet hat, das seine Leidenschaft geworden ist. Nach dem Krieg war auch die Preisstruktur anders – nicht so billig, wie man sagte, ein Schiele-Gemälde kostete etwa so viel wie ein Auto, aber es war überblickbar. Tatsächlich hat mein Mann durch seine Arbeit Schiele so weltberühmt gemacht, dass wir uns seine Bilder dann nicht mehr leisten konnten…

Wann hat Ihr Mann angefangen, sich wissenschaftlich mit Schiele zu beschäftigen?

Von Anfang an. Vor allem gab es nach dem Krieg ja noch viele Menschen, die Schiele gekannt haben – er ist ja 1918 mit nur 28 Jahren gestorben. Mit seiner Schwester Melanie Schuster, die bis 1974 gelebt hat, waren wir gut befreundet und konnten einiges von ihr kaufen. Sie erzählte uns vieles wie auch andere seiner Zeitgenossen. 1972 gingen dann die Erkenntnisse meines Mannes in sein Egon Schiele-Buch ein, das noch der legendäre Verleger Wolfgang Schaffler im Residenz Verlag herausgebracht und für das Walter Pichler das Layout gestaltet hat. Und jetzt ist es im Hirmer Verlag in genau derselben Form erschienen wie damals, ergänzt nur um die Erkenntnisse, die in den letzten fast 50 Jahren dazu gekommen sind. Da das Buch so schnell ausverkauft war und sich das Thema ja gewissermaßen immer weiter entwickelt hat, hat mein Mann selbst begonnen, in ein Exemplar des Buches Ergänzungen einzutragen. Diese hat Stefan Kutzenberger vom Hirmer Verlag, der der denkbar beste Mitarbeiter bei der erweiterten Neuauflage war, sorgfältig in den Text eingefügt.

Elisabeth Leopold Und Dass Buch 2~1

Man redet nicht gern über die Konkurrenz, aber tatsächlich hat Tobias Natter, der nun auch als ausgewiesener Schiele-Kenner gilt, vor nicht allzu langer Zeit im Taschen Verlag einen Schiele Band herausgebracht, der zumindest ähnlich umfangreich ist…

Tobias Natter, der ja in unserem Museum eine zeitlang Direktor war, ist ein guter Freund und hat uns heftig zugeredet, die Neuauflage des Leopold-Buches unbedingt heraus zu bringen. Es ist schließlich unikat, weil es die gesammelten persönlichen Erkenntnisse von Rudolf Leopold enthält, der zu jedem einzelnen Werk eine Beschreibung liefert. Auch sind mein Mann und ich einst herumgefahren und haben an Orten, wo Schiele gemalt hat – beispielsweise in Krumau – die Stellen gesucht, wo er wohl seine Staffelei aufgestellt hat. Dort haben wir dann Fotos gemacht, um die Beziehung zwischen Realität und Bild herzustellen. Das findet man auch nur in diesem Buch. Das „Leopold’sche Auge“ auf Schiele ist unverwechselbar.

Frau Leopold, Sie haben gesagt, Sie würden gerne wieder einmal ein Schiele-Symposion veranstalten. Gibt es über einen Künstler, der von der Wissenschaft wirklich gedreht und gewendet und von allen Seiten betrachtet wurde, noch Neues zu sagen?

Na, selbstverständlich! Ich finde zum Beispiel, dass die Beziehung Klimt / Schiele noch nicht ausführlich genug behandelt wurde. Klimt war ein so wunderbar großzügiger Mensch, der als Künstler ohne Eifersucht war, der es für richtig hielt, dass die Jugend ihn „überholen“ würde, und der besonders Schiele gefördert und ihm geholfen hat, zum Beispiel, als er aus dem Gefängnis kam. Da ist noch viel zu sagen. Auch der Vorwurf der Pornographie, den man Schiele noch immer macht, ist nicht ausgeräumt, obwohl die Darstellung der Geschlechtsorgane für ihn nicht spekulatives Ausstellen von Sex bedeutete, sondern immer auf das Geistige zielte. Und man könnte sich auch ausführlich mit Schieles Darstellung von Händen beschäftigen, kaum ein Künstler war da so speziell wie er. Es gibt noch vieles zu sagen – Schiele ist ein unerschöpfliches Thema.

Und was würden Sie sich persönlich demnächst als Ausstellung im Leopold Museum wünschen? Ihr Mann hat ja nicht nur Schiele und Klimt und „Wien um 1900“ gesammelt, was das Museum in einer wirklich sensationellen Dauerausstellung präsentiert, sondern weit darüber hinaus, bis in seine damalige Gegenwart.

Besonders interessiert hat ihn auch die Zeit nach 1918, als Österreich ein kleines, scheinbar hoffnungsloses Rumpfland war, von dem alle anderen Teile der Habsburger-Monarchie abgebrochen waren. Und wie so oft in schlimmen, aussichtslosen Zeiten blühte die Kunst – da war Anton Faistauer in Salzburg, da war Anton Kolig in Nötsch, da war der Herbert Boeckl in Wien, alle grandiose Maler und Farbkünstler. Unser Direktor Hans-Peter Wipplinger denkt angesichts der derzeitigen Situation an eine „budget-schonende“ Ausstellung, und das würde es sein, denn wir könnten sie ganz aus unseren Beständen bestreiten. Und ich würde mich freuen, diese Künstler wieder einmal in den Mittelpunkt zu rücken.

Rudolf Leopold: „Egon Schiele. Gemälde – Aquarelle – Zeichnungen“, hrsg. von Elisabeth Leopold. 736 Seiten, 931 Abbildungen, deutsche und englische Ausgaben, 100,80 Euro, vergünstigter Subskriptionspreis von 77,10 Euro bei Bestellung bis 31. März 2021

 

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