Else Feldmann:
ELSE FELDMAN
Schreiben vom Rand:
Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit
305 Seiten, Böhlau Verlag, 2021
Else Feldmann (1884 –1942) zählt zu den zahllosen Opfern, die in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten umgekommen sind. Aber der Vergessenheit ist sie nicht anheim gefallen. Ihre drei Romane sind in den letzten Jahrzehnten in Neuauflagen erschienen, es gibt Sammelbände mit ihren Reportagen und Erzählungen. Woran sich niemand wagt, ist das einzige von ihr erhaltene Theaterstück „Der Schrei, den niemand hört“: Eine im Ghetto spielende Geschichte wäre in unserer Zeit unvermeidlich Missverständnissen und Missinterpretationen ausgesetzt.
Was nun vorliegt, ist keine Biographie (über ihr privates Leben erfährt man kaum etwas), wohl aber eine exzellente Aufarbeitung ihres Werks im Kontext ihrer Zeit von der Germanistin Elisabeth Debazi. „Schreiben vom Rand: Journalistin und Schriftstellerin im Wien der Zwischenkriegszeit“ erzählt von einer Frau, die sich vielfach emanzipierte, als Frau und Jüdin doppelt gefährdet war, ausgegrenzt zu werden, und die mit großer Entschlossenheit ihren Weg machte.
Es war nicht leicht, im späten 19. Jahrhundert in ärmlichen Verhältnissen im jüdischen Ghetto der Leopoldstadt aufzuwachsen und dann in die Welt des Journalismus einzusteigen, ohne den Hintergrund von Familie, Verbindungen und Ausbildung, worüber die meisten Frauen verfügten, die damals in diesem Beruf Karriere machten. Und es waren viele, sehr viele, weil das Angebot von Zeitungen und Zeitschriften überbordend war, für unsere heutigen Verhältnisse geradezu unvorstellbar.
Nun hat Else Feldmann, die sich selbst der „heftigen Hingezogenheit zu den Unglücklichen und Leidenden“ bezichtigte, nie das verfasst, was man „Frauenliteratur“ nennen kann. Als Jüdin, die das Ghetto verließ, hat sie – wie viele andere Juden – im Sozialismus (und in ihrem Fall auch für viele Jahre in der „Arbeiter Zeitung“) eine Heimat gefunden, auf die sie im „Roten Wien“ bauen konnte. Man schob allerdings das jüdische Problem beiseite – bis man in einem Leben, das von der Habsburger Monarchie bis zum Nationalsozialismus reichte, wieder davon eingeholt wurde.
Thematische Ausnahme ist das einzige von Else Feldmann erhaltene, schon erwähnte Theaterstück. Sie hat darin die Welt des nach ostjüdischen Traditionen lebenden Ghettos nicht nur durch eigene Kenntnis kompetent geschildert, sondern auch kritisiert, weil es zu wenige Möglichkeiten für jene Menschen bot, die darin verharrten. Das Stück, 1916 in der damaligen Volksbühne gespielt, fand viele Rezensionen, wenige uneingeschränkt gut, viel Kritik wurde an mangelnder Dramaturgie geübt, und „Sentimentalität“ hat man der Autorin ohnedies immer vorgeworfen.
Denn das Thema ihres Lebens, das sie in den meisten ihrer Reportagen behandelte, war die Armut, waren Schicksale aus dem Untergrund der Gesellschaft, Tragödien, denen die Betroffenen nicht entkommen konnten. Sie schrieb im Genre der „Sozialreportage“ über die „Alltagstragödien der Armut“. „Das Leben dichtet, wir schreiben es auf.“
Ausführlich befasst sich diese wissenschaftliche Behandlung von Feldmanns Werk auch mit ihren drei Romanen. Der erste, „Löwenzahn. Eine Kindheit“ von 1921 war zweifellos autobiographisch und wurde vor allem aus stilistischen Gründen sehr bewundert, behielt sie doch den Blickwinkel des Kindes auf die Geschehnisse des eigenen Lebens bei.
Der zweite Roman, „Der Leib der Mutter“ von 1924, beschreibt das soziale Mitleid eines Einzelnen, der in die Welt der Unglücklichen und Verlorenen hinein gezogen wird. Am nächsten an den scharfen Diskussionen der Epoche war sie dann in dem Roman „Martha und Antonia“ von 1933, wo sie das Problem der Prostitution aufgriff und zeigte, dass es keinesfalls ausschließlich Leichtfertigkeit war, die Frauen in dieses Schicksal trieb, Während Antonia mit mühevoller Arbeit im Spital kaum etwas zur Familie beitragen konnte, sprang Martha aus Liebe zu den Ihren über ihren Schatten – und fand solcherart das schnelle und vergleichsweise, wie es schien, leichte Geld. Auch hier hat sich die Autorin mit jener Anteilnahme, das man bei ihr kannte, tief im ihre Figuren vergraben.
Wahrscheinlich hätte Else Feldmann es auch als aktive Sozialistin bei den Nazis schwer gehabt. Dass sie Jüdin war, ließ ihr keine Chance. Sie starb 1942 im Vernichtungslager Sobibor. Heute kann man ihre Werke wieder lesen – als Zeitdokumente auf jeden Fall, aber auch als Beispiele eines sozialen Mitleids, das heute – ungeachtet aller „politischer Korrektheit“ – tatsächlich weitgehend aus der Mode gekommen ist.
Renate Wagner