Elisabeth Badinter:
MACHT UND OHNMACHT EINER MUTTER
KAISERIN MARIA THERESIA UND IHRE KINDER
208 Seiten, Paul Zsolnay Verlag, 2023
Elisabeth Badinter zählte zu jenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die zum „Maria Theresia Jahr 2017“ eine Biographie der Kaiserin vorgelegt haben. Sie war umfangreich, und dennoch hatte die Autorin das Gefühl, neben der Politikerin die Probleme der Mutter Maria Theresia nicht ausreichend behandelt zu haben – die „Mutter der Nation“ wurde schließlich auch als leibliche Mutter von 16 Kindern bekannt, die sie innerhalb von unglaublichen 19 Jahren (1737 bis 1759) zur Welt gebracht hat, ohne sich dabei in ihrer Tätigkeit als Herrscherin „stören“ zu lassen.
Elisabeth Badinter versucht nun, die volle Problematik einer Frau, die „voll“ berufstätig war, wie wir heute sagen würden (mit einem Arbeitstag von oft 15 Stunden) zu umreißen. Dazu kam, dass sie – teils als Erbe des Vaters, teils wohl aus Überlastung – immer wieder schwer an Depressionen litt, was sie in Briefen auch mitteilte (wobei diese Originaldokumente von ihr selbst und dem Kreis der Vertrauten in dem Buch stark herangezogen werden).
Wo blieb da Platz für Kinder, von denen drei in ganz frühen Jahren starben, drei schmerzlich vermisste im Teenager-Alter und zehn von ihnen sich als teils ungemein störrische und nicht unbedingt liebenswerte Persönlichkeiten herausstellten?
Kinder mussten für Maria Theresia extrem wichtig sein. Sie wäre selbst nicht Herrscherin geworden, hätte ihre Mutter nicht diesbezüglich „versagt“, wäre da nicht nur ein einziger Sohn gewesen, der im Alter von wenigen Monaten starb, so dass nur sie und zwei Schwestern (von denen auch eine sechsjährig starb) übrig geblieben waren? Sie musste an Dynastie, Familie und Herrschaft denken und gebären und gebären. Darum wendet sich Elisabeth Badinter nach grundlegenden Fragen – etwa über die Gewichtung Vater / Mutter zwischen ihr und ihrem Mann – dann doch den einzelnen Kindern zu.
Bücher über die dreizehn Kinder Maria Theresias, die nicht ganz früh starben, gibt es mehrere (Pangels, Weissensteiner, Egghardt ua.a.), der Zugang in diesem Buch ist gewissermaßen ein „verschränkter“ im Rahmen der Schicksale. Anders als adelige und königliche Mütter dieser Zeit hat Maria Theresia – die wohl ein Kontrollfreak war – über alles bestimmt, was die Kinder betraf: Der liebenswerte und liebenswürdige Gatte Franz Stephan von Lothringen war da eher für die Gefühlsebene zuständig. Wobei Maria Theresia, so streng sie sich auch geben mochte, unter den Kinder Lieblinge hatte und dies auch zeigte, was das Gefüge dieser riesigen Schar ziemlich stresste.
Die Autorin betont, wie viel Zeit, Mühe und Sorge Maria Theresia aufwendete, für die Kinder die richtigen Erzieher (Ayos und Ayas) zu finden, wie sie sich immer über deren Fortschritte berichten ließ, wie sie versuchte (wenn auch nicht sehr erfolgreich), ihre eigene Frömmigkeit und Religiosität, die zweifellos echt war, auf die Kinder zu übertragen.
War Joseph, der erste Sohn, das „Pfand“ für das Fortbestehen der Habsburgischen Herrschaft, so waren die anderen Kinder Material – sie hat mit ihnen „Politik“ gemacht, was eine in der damaligen Zeit völlig übliche Art und Weise darstellte, Bündnisse zu knüpfen, und das ohne Rücksicht auf persönliche Wünsche und Befindlichkeiten der Betroffenen. Man könne ihr nicht zum Vorwurf machen, meint die Autorin, dass sie im Sinne der Zeit und ihrer eigenen Rolle als Herrscherin das Notwendige getan hat. Sie habe dabei nicht nur – wie ihr oft vorgeworfen wird – kaltblütig gehandelt, sondern immer auch Gefühle (wenn auch in unterschiedlicher Intensität) für alle ihre Kinder aufgebracht.
Wenn es am Hof Maria Theresias viele „Feste“ gab, so nicht, wie Elisabeth Badinter betont, weil sie so besonders vergnügungssüchtig gewesen wäre, sondern weil sie mit diesen Bällen und Theateraufführungen „Politik“ machte, weil sie sich und ihre Kinder zeigte. Diese lernten nicht nur zum Vergnügen Singen, Tanzen und Theaterspielen und präsentierten sich auf der Bühne, es ging um die „Öffentlichkeit“, die diese Ereignisse durch Berichte erreichten. Seht her, wie schön und begabt meine Kinder sind. Und wie viele…
Die Mädchen wurden zusätzlich dazu erzogen, ihren künftigen Gatten „gefällig“ zu sein, und die Ratschläge der Mutter und Kaiserin, in reichen Briefwechseln erhalten, verfolgten alle Kinder bis in die fernen Länder, in die sie verheiratet wurden. Denn Maria Theresia wollte alles wissen (daher auch die vielen Berichte über die Kinder, die sie von Gesandten einforderte) und sie wollte alles bestimmten, bis sie am Ende nicht mehr erleben musste, wie wenig sie diesbezüglich erreicht hatte…
Maria Theresias Kinder kamen in Gruppen, und sie begann äußerst unglücklich. Drei Mädchen hintereinander, von denen nur eines am Leben blieb: Maria Anna, klug und sympathisch, der Mutter besonders lieb, aber lebenslang von Krankheiten geplagt, so dass man sie nicht auf den Heiratsmarkt werfen konnte. Dann kamen endlich die Söhne, Joseph, Karl und Leopold (heute würde man sagen: The Heir and the Spares, eine Notwendigkeit, die sich hier später bewahrheitet hat, als Leopold auf Joseph folgte) und die weiteren Töchter: Marie Christine, Elisabeth, Maria Amalia, schöne Mädchen, kämpferisch, unliebenswürdig.
Was den Sonderfall Marie Christine betrifft, die stets so genannte „Lieblingstochter“, so hätte sich das, laut Elisabeth Badinter, erst entwickelt, als diese von ihrer Schwägerin Isabella von Parma „Ratschläge“ bekommen hätte, wie die Mutter zu manipulieren sei. Worin die Methoden bestanden, erfährt man nicht, gewirkt hat es (Marie Christine wurde trotz royaler Heiratsprojekte letztlich nicht verschleudert. Als Karl III von Spanien 1760 Witwer wurde, lehnte Maria Theresia den 44jährigen für ihre 18jährige Tochter ab), sondern durfte als einzige „unter ihrem Stand“ heiraten und glücklich werden. Das Erfolgsrezept bestand wohl darin, der Kaiserin unendlich zu schmeicheln und sie dauernd ihrer Liebe und ihres Gehorsams zu versichern…
Als 1748 Maria Theresias zehntes Kind, eine Tochter, tot zur Welt kam, wollte sie es mit dem Kinderkriegen eigentlich gut sein lassen. Aber Verhütung wäre nicht in Frage gekommen, also folgten weitere sechs Kinder, die Töchter Gabriela, Josepha, Karolina und Antonia, und dann noch zwei Söhne, Ferdinand und Maximilian, wobei sie sich für den letzten um gar keine gemäße Ehe mehr kümmerte, als hätte sie das Interesse verloren.
Eine besondere Tragödie für die Familie war es wohl, dass die liebenswertesten, mit den besten Gaben beschenkten Kinder im Teenager-Alter starben: Karl, der seinen älteren Bruder Joseph (der sehr eifersüchtig auf ihn war) in jeder Hinsicht ausstach, und Gabriela und Josepha, die reizenden Mädchen, die vom Tod dahin gerafft wurden. Beide waren für den Thron in Neapel-Sizilien bestimmt, und unbarmherzig rückte immer eine Schwester nach, bis Maria Karolina dann zum Zug kam, so wie Antonia als Marie Antoinette Frankreichs unglückliche Königin werden sollte – damit Maria Theresia ihre Netze mit den Bourbonen knüpfen konnte. Schon Maria Amalia hatte nach Parma heiraten müssen.
Elisabeth Badinter schildert die Schicksale der Nachkommen nur so lange, als sie sich im Kreis der Mutter befanden, nicht darüber hinaus. Schwierig waren sie alle, Elisabeth, die durch Pockennarben ihre Schönheit verlor und wie Maria Anna „ins Kloster“ musste (wenn auch wohl bestallt als Äbtissin). Die nach Florenz (Leopold) und Modena (Ferdinand) verschickten Söhne. Die verheirateten Töchter. Und vor allem Joseph. Es ist schmerzlich, wieder einmal den Kampf nachzulesen, den sich die bis zuletzt an ihre Macht klammernde Mutter und der rebellische Sohn lieferten. Liebten sie einander? Vermutlich. Haßten sie einander? Vermutlich.
Das Ende war, wie schon erwähnt, tragisch. Als Maria Theresia starb, war ihr größtes Anliegen, die Geschwister mögen sich liebend und harmonisch um Joseph II. versammeln. Das Gegenteil war der Fall. Joseph, nun endlich, endlich von der kontrollierenden Mutter befreit, ließ der Abneigung, die er gegen alle Schwestern und die meisten Brüder empfand, freien Lauf und behandelte sie so schlecht wie möglich. Das negativ konnotierte Wort „Familienbande“ verwirklichte sich auch bei Maria Theresias Kindern, so viel Mühe sie sich als Mutter auch gegeben hat – was der Autorin zu beweisen gelungen ist. Mit allen Einschränkungen, die mit der Unvollkommenheit des Menschseins zusammen hängen.
Renate Wagner