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Elfriede Schüsseleder: DAS REICH MEINER MUTTER

Ein heldenhaftes Alltagsschicksal

31.10.2024 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Elfriede Schüsseleder: 
DAS REICH MEINER MUTTER
Erinnerungen
160 Seiten, Verlag
Bibliothek der Provinz, 2024

 

 

 

Ein heldenhaftes Alltagsschicksal

Es ist mittlerweile schon Jahrzehnte her, dass man die „Geschichte von unten“ entdeckt hat. Dass nicht nur Kaiser, König, Edelmann und Künstler es wert sind, ihnen mit Biographien nachzuspüren, sondern auch ganz „gewöhnliche“ Menschen, deren Leistung „nur“ darin bestand, ihr Leben (meist ein schweres) mit bewundernswerter Kraft und Stärke gemeistert zu  haben.

So wie jene Josefa aus dem niederösterreichischen „Kerchbaumerhof“ zwischen Ybbs und Enns. Geboren 1912, gestorben 96jährig schon im nächsten Jahrtausend, eine Leidensgeschichte, wenn es je eine gab, und doch vor allem eine Durchhalte-Parabel, zu der auch die tiefe Frömmigkeit dieser Frau beigetragen hat.

Josefa, die „Sefferl“, wie man sie in der Kindheit nannte, wurde später die Mutter der Schauspielerin Elfriede Schüsseleder, die nun die Geschichte der Mutter und (ab Seite 65, wo sie selbst zur Welt kommt) ihre eigene als Augenzeugin niedergeschrieben hat.

Und das in jenem Erzählton, in dem man ihr wohl das Leben ihrer Mutter vor ihrer Geburt geschildert hat, keine literarische Sprache, eine schöne, warme, erzählte, voll Verständnis und Mitgefühl. Denn ihre Mutter litt lebenslang, ihre Krankheit machte sie, brutal gesagt, zum Krüppel auf Krücken, und doch meisterte sie ihr Leben, das Schlimmes mit ihr vor hatte, bewundernswert.

Es war nicht leicht für das meist kranke Mädchen vom Bauernhof den Wunsch, Schneiderin zu werden, durchzusetzen, anfangs vazierte sie nach der erfolgreichen Lehre von Hof zu Hof, von Haus zu Haus, um ihre Dienste anzubieten. Aber sie hatte offenbar eine besondere Begabung für ihren Beruf, den sie lebenslang gerne ausübte. Und einen Schneider heiratet, den Hans, der zwar kein hundertprozentiger Gewinn war, ihr aber jene vier Kinder gab, die sie sich wünschte – Hans, den ältesten Sohn (später ein erfolgreicher Unternehmer in Schweden und Südamerika) und das Dreimäderlhaus Hermelinde, Lisbeth und die „Friedi“, die 1951 geborene Elfriede, die sich ab 17 ihren Wunsch erfüllte, Schauspielerin zu werden. Und nebenbei liest man, wie einfache Leute die Zwischenkriegszeit, den Nationalsozialismus und den Krieg, die Nachkriegszeit mit Wirtschaftswunder bis fast heute durchlebt haben.

Der Gatte war stets Josefas Problem, zwar musisch hoch begabt (was er an die Kinder weitergab), aber einer, der auch gerne zu viel trank und zu viel nach anderen Frauen Ausschau hielt. Eines Tages ließ er Josefa und die Kinder mit einem Berg Schulden sitzen und zog zu seiner Freundin. Die warf ihn, da er kein Geld mehr hatte, bald hinaus, und Josefa, die sich als Christin nie hatte scheiden lassen und an Vergebung glaubte, nahm ihn wieder auf… Er starb an Demenz. 

Josefa, die Frau, die nie aufgab, wurde 96 Jahre alt, am Ende ans Bett gefesselt. Sie gab der Leidenschaft ihrer Jugend nach, las von früh bis spät, telefonierte mit den Kindern und starb in Frieden. Das Glück dieser Kinder war ihr eigenes, und auf die Frage, ob sie je bereut hätte, den Hans geheiratet zu haben, sagte sie: Nein, sonst hätte ich ja die Kinder nicht gehabt…

Elfriede Schüssseleder hat keine übliche Schauspieler-Biographie (die oft sehr eitel ausfallen) geschrieben, sie berichtet nicht von Rollen und Karrierestationen, sie ist hier nur als Tochter beteiligt. Den Beruf erwähnt sie nur, wenn sie oft zu spät kam – zum Tod des Vaters, zum Tod des eigenen Gatten, weil sie auf der Bühne stand. Ob sie wohl einmal zu ihrem eigenen Tod zu spät kommen wird, fragt sie sich…

Aber im Grunde geht es nur um die Mutter. Eine dankbare Tochter hat in Bewunderung dieses Buch der Liebe aufgezeichnet.

Renate Wagner

 

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