Eleonore Büning
WOLFGANG RIHM
ÜBER DIE LINIE
Die Biographie
344 Seiten, Benevento Verlag, 2022
So populär und viel gespielt wie er werden moderne Komponisten selten. Darum erscheinen zum runden Geburtstag von Wolfgang Rihm auch zwei Biographien. Hier geht es um jene der renommierten Musikkritikerin Eleonore Büning, die schon 2013 einen Anlauf für eine Biographie nahm. Aber seither ist noch viel geschehen, der Künstler feiert nun am 13. März seinen Siebziger, und ungeachtet, was er noch vorhat (er ist in vielen Funktionen unermüdlich tätig), ist dies ein erster Überblick über Leben und Werk.
Das geht, auch wenn sich die Betroffenen – der Komponist und seine Biographin – seit 33 Jahren kennen, wobei die Journalistin den Künstler quasi durch sein Schaffen begleitet hat. Dabei waren, wie sie schildert, ihre gemeinsamen Anfänge holprig, sie nannte ihn einen Epigonen, er nannte sie plemplem. Beide dürften ihre Meinungen geändert haben, und die Autorin kann reichlich Aussagen von Rihm zitieren, ebenso vieles aus der Sekundärliteratur,
Am Ende gibt es noch ein Interview mit Rihm, viele Fragen, die die Journalistin im Lauf der Jahre gestellt hat (und oft auf lange Fragen lapidarste Antworten bekam) – ob er tatsächlich ein „krisenfester“ Komponist sei, ein Vielschreiber, wie ein Komponistenalltag aussieht, wie er mit Krisen umgeht…
Es ist an sich eine klassische, in der Lebensgeschichte linear erzählte Biographie – und doch nicht. So erfährt man, dass Wolfgang (den Namen bekam er nicht Mozarts wegen) am 13. März 1952 in Karlsruhe in eine gutbürgerliche, aber nicht übertrieben kulturaffine Familie hinein geboren wurde. Das Talent brach sich gewissermaßen ganz von selbst Bahn, erste Kompositionen gibt es vom Elfjährigen. Mit 13 soll er gesagt haben: „Ich werde mal ein weltberühmter Komponist.“
Sein Talent ist so überzeugend, dass der Komponist und Hochschullehrer Eugen Werner Velte, ein „Undogmatischer“, Rihm schon während der Gymnasiumszeit in die Hochschule für Musik Karlsruhe aufnimmt. Im Gymnasium sind dem Halbwüchsigen Mathematik, Physik oder Sport „ganz besonders egal“, wie die Autorin formuliert, da schwänzt er liebe Schule und geht in die Bibliothek zum Komponieren. Besondere Liebe zeigte er von Anfang an zur Literatur und auch für die bildende Kunst.Und doch wird das nicht Schritt für Schritt erzählt – so holt Eleonore Büning in diesem Anfangskapitel schon ganz weit aus, um die Beziehung des wacklingen Katholiken Rihm zur Kirchenmusik zu schildern, die einen wichtigen Teil seines Schaffens einnimmt.
Rihm hat seine „Karriere“, wenn man so sagen will, durchaus im Auge, stellte sich etwa 18jährig Wolfgang Fortner in Heidelberg vor, der – wie er in einem Brief an Rihm schrieb – direkt getroffen war „von einem schon so perfekten Können eines jungen Menschen.“ Rihm legte Wert darauf, bei den Besten, zu lernen, also ging er nach Köln wegen Karlheinz Stockhausen
Es gab damals in Deutschland nicht nur die Donaueschinger Musiktage, auch anderswo hatte man offene Ohren für neue Musik, wobei Rihm anfangs als „traditionell“ und sogar reaktionär galt, was sich nach und nach änderte. Populärer als alle Konzertsaal-Werke machen natürlich die Opern, die relativ viel gespielt wurden, vor allem sein Erstling, die Kammeroper „Jakob Lenz“, mit der sich der 25jährige 1977 der Musikdramatik zuwandte. Nach der Uraufführung 1979 an der Hamburgischen Staatsoper war der Erfolg so groß, dass er direkt „unheimlich“ war.
Rihm hat in der Folge vor allem im Zusammenhang mit großen literarischen Themen, teilweise aber auch zu eigenen Texten, Opern geschrieben. Im Ganzen sind es 16 Bühnenstücke geworden (die dieses Buch beschreibt), darunter neun Opern, dazu fünf Opernszenen und zwei Ballette. Zuletzt wurde sein „Dionysos“ 2010 bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt. Dass er ein produktiver und begabter Schreiber (ohne Musik) war, das läuft in seinem Leben parallel.
Die Autorin erzählt von vielen Aufführungen, Stipendien (in Rom lernte Rihm seine Frau, eine Kunsthistorikerin, kennen), Auftragswerke, die ihn in Terminnot brachten (er hatte lange nicht gelernt, nein zu sagen), Preise (2003 der Ernst von Siemens Musikpreis mit 150.000 Euros), berühmte Interpreten, die Achtung von Publikum, Kritikern, Kollegen. Kurz, ein Erfolgreicher
Die Diskographie des Mannes, der er auf Hunderte von Werken brachte, umfasst 40 Seiten, Bilder im Text gibt es nicht, wohl aber einen eigenen Bildteil in der Mitte des Buches. Man bekommt viel geboten, Am Ende ging es um einen Komponisten, von dem seine Biographin sagt: „Seine Musik berührt auch Menschen, die keine Lust haben auf Avantgarde.“ Das mag vieles erklären.
Renate Wagner