ELENA GUSEVA
„Wenn man sich selbst gegenüber kritisch ist, weiß man ganz genau, was für die Stimme gut ist!“
(September 2017Renate Publig)
Elena Guseva © TACT International Management
In der bevorstehenden Premiere von Sergej Prokofjews Werk „Der Spieler“ („Igrok“) an der Wiener Staatsoper – die erste Premiere dieser Spielsaison, und das erste Mal, dass dieses Werk in einer Produktion der Staatsoper in Wien zu hören ist – erleben wir Elena Guseva als Polina, eine der Hauptrollen. Im Gespräch erzählt die Sopranistin, die in Südwest-Sibirien geboren wurde, von der Komplexität russischer Libretti und vom richtigen Zeitpunkt, eine neue Rolle ins Repertoire zu nehmen.
Frau Guseva, wir freuen uns, Sie erstmals in Wien willkommen zu heißen! Sie wurden in Kurgan, einer kleinen Stadt in Sibirien geboren. Wie sind Sie zur klassischen Musik gekommen?
Über meine Familie, vor allem über meine Mutter. Mein Vater beschäftigte sich nicht so intensiv mit Musik, doch meine Mutter studierte Kulturwissenschaft am Konservatorium, es war auch ihr Wunsch, mir die Liebe zur Kunst und zur Musik näherzubringen.
Hat Ihre Mutter Sie auch zum Gesang gebracht?
Dazu gibt es eine nette Geschichte: Einmal ging ich mit meiner Mutter zum Unterricht, sie sang in einem Chor. Ich begann einfach, ihre Stimme mitzusingen. Die Lehrer meinten damals: „Lass deine Tochter singen!“, da war ich gerade mal drei Jahre alt. Ich kann mich an diese Geschichte natürlich nicht erinnern, meine Mutter erzählte sie mir. Singen machte mir einfach Spaß, deshalb wollte ich etwas studieren, was mit Gesang zu tun hat!
Diesen Wunsch setzten Sie in die Tat um, Sie begannen ein Studium am Moskauer Konservatorium.
Zuvor studierte ich jedoch Chorleitung am Shostakovich College of Music, bis man mir im dritten Studienjahr riet, mich verstärkt auf Gesang zu konzentrieren. Diesen Rat nahm ich natürlich an, also schloss ich meine Ausbildung Chorleitung ab und begann 2006, Gesang zu studieren. Bald nahm ich an einigen Wettbewerben teil.
2009 gewannen Sie den 1. Preis im internationalen Elena-Obraztsowa-Wettbewerb!
Stimmt! Doch es ist die Ausbildung als Chorleiterin, die sich mittlerweile als wichtig und hilfreich erweist, denn dadurch habe ich die Möglichkeit, musikalische Strukturen einer Partitur zu erkennen und zu analysieren. Besonders bei einem Stück wie „Der Spieler“ ist das extrem von Vorteil! Es ist wunderbar, wie sich harmonische Zusammenhänge im Ensemblegesang auf einmal erschließen!
Wenn ich das richtig gelesen habe, machten Sie 2001 Ihren Abschluss – Solistin am Moskauer Musiktheater sind Sie jedoch seit 2009!
Das war eine große Herausforderung, zugleich jedoch eine Riesenchance. Im dritten Jahr bereitet man sich natürlich verstärkt auf öffentlichen Auftritte vor, um möglichst bald nach dem Abschluss in der Opernszene Fuß fassen zu können. Die Stelle am Theater bot eine hervorragende Übung, auch, um Routine zu bekommen. An eines erinnere ich mich jedoch noch sehr gut: Ich musste oft hin- und herlaufen, vom Studium zur Probe und wieder zurück. Das war körperlich ganz schön anstrengend, damals hatte ich eine hervorragende Kondition und war sehr schlank! (lacht)
Sie singen unter anderem Mimi in „La bohème“, Tatiana in „Eugen Onegin“, Micaela in „Carmen“, Donna Elvira in „Don Giovanni“, Cio-Cio San in „Madama Butterfly“ oder Leonora in „La forza del destino“. Mit anderen Worten, romantische Frauenrollen, manche mit tragischen Züge, manche mit heroischen. Welche dieser Figuren entspricht Ihnen persönlich am ehesten?
Mir gefallen und liegen sowohl die lyrisch-romantischen Partien, die mir zum einem Teil entsprechen, aber auch die heroisch-dramatischeren Rollen. Auch in diesen Partien entdecke ich Wesenszüge von mir. Die Wahl der Rollen sind jedoch vor allem an meine Stimmentwicklung gebunden, und in den letzten Jahren ging die Stimme in Richtung dramatischere Partien, deshalb liegt mein Fokus in diesem Repertoire. Wichtig ist mir, diese Rollen mit jenem Spektrum an Möglichkeiten zu gestalten, das meine Stimme bietet. Meine vokalen Mittel akkurat und präzise einzusetzen, um die Stimme nicht zu überfordern.
In der nächsten Premiere werden wir Sie als Polina in Prokofjews „Der Spieler“ hören, ein äußerst vielschichtiges Werk. Nun scheinen sich russische (Opern-) Geschichten generell durch eine besondere Komplexität auszuzeichnen.
Das stimmt, vor allem, weil russische Geschichten die einzelnen Personen in sehr detaillierten Psychogrammen skizziert. Die Persönlichkeiten sind stets sehr vielschichtig, was sich letztlich auch in den Beziehungen untereinander widerspiegelt. Auf die Oper „Der Spieler“ trifft das im Besonderen zu, das Libretto stammt von Dostojewski, den man den „Kenner der russischen Seele“ nannte. So versuche ich immer noch zu ergründen, wer Polina wirklich ist, was sie denkt, was sie fühlt.
Doch Dostojewski meinte auch, man könne ein Leben lang versuchen, eine Seele zu ergründen, aber es würde nicht gelingen.
Im Roman lässt Dostojewski einen Interpretationsspielraum für die einzelnen Personen. Zum Bespiel ist die Beziehung zwischen Polina und dem Marquis nicht wirklich definiert, Dostojewski ließ dies absichtlich ziemlich offen. Es ist für die Regie sehr interessant, wieviel Freiraum und unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten die Geschichte bietet. Andererseits wird es dadurch für uns Sänger schwieriger, den Kern unserer Rollen zu erfassen. Unsere Charaktere sind nicht wirklich greifbar!
Lässt die Regieführung von Karoline Gruber Ihnen genügend Freiraum, um zu Ihrer Interpretation zu gelangen?
Der Freiraum, den wir haben, ist ideal. Mir gefällt der Stil von unserer Regisseurin sehr gut, er bietet ideale Voraussetzungen für eine gute Zusammenarbeit, vor allem zwischen uns Sängern. Und Frau Gruber berät sich sehr viel mit uns Künstlern, sie will unsere Meinung hören. Da der Text ist ja russisch ist, fragt sie sehr viel nach, weil es ihr wichtig ist, was zwischen den Zeilen geschrieben steht.
Probenfoto aus „Der Spieler“, Karoline Gruber und Elena Guseva © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
„Der Spieler“ enthält einen Hang zum fast Grotesken … eigentlich nur noch durch „Die Nase“ von Schostakowitsch übertroffen. Überzeichnung als Gesellschaftskritik, oder als Analyse der menschlichen Psyche?
In russischen Stücken findet man beides: Sowohl eine tiefgründige Skizzierung der menschlichen Psyche, doch gleichzeitig ist stets eine Kritik an der Gesellschaft mehr oder weniger versteckt verpackt. Wenn ich vorher von den Freiräumen gesprochen habe, die diese Erzählweise bietet, so meine ich damit auch, dass man das Werk als „Personendrama“ zeigen kann, oder als gesellschaftskritisches Stück, beides ist zulässig! Sowohl Dostojewski als auch Prokofjew lebten jeweils in einer politisch sehr schwierigen Zeit. Der Mensch zieht immer das an, was er ist, oder was ihm gefällt– deshalb hat Prokofjew dieses Stück gewählt. Sowohl er als auch Dostojewski waren Persönlichkeiten, die Stärke zeigen wollten, dieser Wunsch spiegelt sich in den Personen ihrer Werke wider. Sie wissen ganz genau, was sie wollen, die Charaktere sind absichtlich ein wenig schwarz-weiß gezeichnet, man findet sehr scharfe Kontraste.
Sie erwähnen dieses Schwarz-Weiß-Zeichnen … Auch die Tonsprache spiegelt diese Polarität wider, wir erleben ein Kaleidoskop von scheinbar oberflächlicher Gesellschaftsmusik bis zu surreal unheimlichen Klängen. Wie findet man sich als Sängerin in dieser Klangwelt zurecht?
Durch mein Studium Chorleitung habe ich einen großen Vorteil, weil ich die musikalischen Strukturen analysiere. Prokofjew ließ die Vielschichtigkeit der Geschichte in die Komplexität der Orchesterpartitur fließen, die Harmonik im Orchestergraben erschließt sich nicht immer beim ersten Hören. Die Gesangslinien sind hingegen sehr „natürlich“ komponiert, Prokofjew verwendet sehr häufig die Technik, die Stimmen fast im Sprechgesang zu führen. Er hat in einer Form von Redeintonation komponiert, die dem tatsächlichen Duktus und der Sprachmelodie des Russischen entspricht. Man findet ja auch kaum Arien oder Duette, sondern die Musik entspricht relativ der Art, wie Menschen miteinander sprechen.
Szenenfoto aus „Der Spieler“: Misha Didyk (Alexej), Elena Guseva (Polina), © Wiener Staatsoper / Michael Pöhn
Wie sehen Sie Polinas Beziehung zu Alexej, es gibt ja eigentlich keine „klassischen“ Liebesduette, das ganze wirkt ein wenig wie „Antiromantik“?
Auch das ist für diese Oper sehr bezeichnend, in diesem langen Stück gibt es zwar ein Liebesduett zwischen den beiden – doch das ist exakt eine Seite lang! (lacht)
Die Beziehung zwischen Polina und Alexej ist kompliziert, sie weiß, dass er sie wirklich liebt – und sie nutzt das aus. Fast alle Beziehungen in dieser Oper sind auf Geld aufgebaut. Man findet Neid, Rachsucht, es gibt keine liebevollen Verbindungen zwischen den Figuren. Nur in diesem kleinen Duett begegnen wir einem Alexej, der von Liebe spricht und es auch so meint. Es ist ein kleiner Lichtschimmer, für einen Augenblick erleben wir echte Gefühle.
Ein ganz anderes Thema: Derzeit scheint es ungewöhnlich viele gute lyrische-dramatische Soprane zu geben. Wie schwierig ist es, eine Partie abzulehnen, die noch nicht passt, obwohl man weiß, dass von diesem Haus möglicherweise keine Anfrage mehr kommt und dass die Konkurrenz nicht schläft?
Das fällt mir überhaupt nicht schwer – letzten Endes hat jede Sängerin ihr eigenes Repertoire, und an den Opernhäusern man gewinnt an Glaubwürdigkeit, wenn man nicht jede Partie annimmt, nur weil sie sich gerade anbietet! Man muss sicher sein in dem, was man macht. Wenn mir eine Partie nicht liegt, lasse ich es sein. Sonst würde ich mir selbst doppelt schaden, zum einen ist es nicht gut für die Stimme, zum anderen werde ich eine Partie, die nicht zu mir passt, nicht überzeugend spielen und singen können. Das wirft kein gutes Licht auf eine Künstlerin!
Natürlich wird es schwieriger, wenn es sich um eine Rolle handelt, von der man schon lange träumt. Da ist die Versuchung klarerweise größer, und es bedarf Disziplin, „vernünftig“ zu bleiben. (lacht)
Wie wissen Sie, wann der richtige Zeitpunkt gekommen ist?
Das sagt einem die Erfahrung. Solange man noch studiert, ist die Entwicklung der Stimme vielleicht noch nicht ganz abzusehen. Deshalb ist es in der Zeit der Ausbildung so wichtig, viel Unterschiedliches auszuprobieren, aber in geschütztem Rahmen. Natürlich half mir, dass ich eben im letzten Abschnitt meiner Studienzeit ein Engagement an einem Theater hatte. Ich konnte testen, welche Partien einmal passen könnten und welche weniger, dadurch entwickelt man auch ein Gespür, was der Stimme zuträglich ist.
Spielt man bereits auf größeren Bühnen, muss man der Stimme die Zeit geben, reifen zu können. Doch wenn man sich selbst gegenüber ehrlich und kritisch ist, weiß man nach einigen Jahren Bühnenerfahrung im Grunde ganz genau, was man kann, was für die Stimme gut ist, und welche Rollen man besser noch sein lässt.
Ihr Terminkalender ist gut gefüllt … wenn Sie doch Freizeit haben, wie entspannen Sie, was machen Sie gerne, wenn Sie nicht mit Musik beschäftig sind?
Freizeit … was ist das? (lacht) Nach der Geburt meiner Tochter, sie wird im Dezember fünf, möchte ich natürlich möglichst viel Zeit mit ihr verbringen, also bin ich in meinen freien Stunden in erster Linie Mama. Manchmal kommt sie sogar zu Vorstellungen, zum Glück mag sie meine Stimme!
Frau Guseva, vielen Dank für das Gespräch und toi, toi, toi für die bevorstehende Premiere!
vielen
P.S.: Dieses Gespräch wurde in russischer Sprache geführt, vielen Dank an Lusine Babajanyan von der Wiener Staatsoper fürs Dolmetschen!