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DÜSSELDORF: XERXES. Premiere

26.01.2013 | KRITIKEN, Oper

DÜSSELDORF: XERXES Premiere am 26. Januar 2013

 Sicher ließen sich von „Xerxes“ manch entlarvende Verbindungen zu Verhältnissen unserer Gegenwart ziehen (Macht, Sex – und beides verquirlt), aber das anonym bearbeitete Libretto (nach Niccolò Minato und Silvio Stampiglia) ist für heutigen Geschmack eine nachgerade abschreckende Ansammlung von Gefühls-Klischees. Der Perserkönig Xerxes, bei Händel eine historisch kaum noch stichhaltige Figur, hat im Grunde nur „das Eine“ im Sinn. Er bedroht sogar seinen Bruder Arsamenes, Nebenbuhler um die schöne Romilda, mit dem Tod. Auch die emotionale Haltung der anderen Figuren ist psychologisch besser nicht auf die Goldwaage zu legen.

 Den Erzählinhalt von Händels Spät-Oper nimmt Regisseur STEFAN HERHEIM in der Tat nicht so sehr ernst. Er „übersetzt“ ihn in die Getriebenheit von Sängern, die sich – von GESINE VÖLLM historisch-realistisch eingekleidet – „die Liebe des Publikums“ (Interviewaussage Herheim) zu erkämpfen hoffen. Dies ist eine Anspielung auf die Situation des Komponisten, dem seine Bühnenerfolge mehr und mehr zu entgleiten begannen. Gay/Pepuschs „Beggar’s Opera“ war „Xerxes“ (1838) bereits vorausgegangen und hatte einen neuen Zeitgeschmack getroffen. Zwar weicht Händels „dramma per musica“ von der kothurnhaften Dramaturgie früherer Werke alleine durch Einbeziehung komischer Elemente merklich ab, dennoch fiel „Xerxes“ nach lediglich 5 Aufführungen für 200 Jahre in einen Dornröschenschlaf, lediglich das „Largo“ hielt sich, mitunter etwas fragwürdig.

 Herheims Inszenierung entstand zunächst für die Komische Oper Berlin (Mai 2012). Die deutsche Sprache wird von der Deutschen Oper am Rhein beibehalten, obwohl es unter den Berliner Kritiken anders lautende Vermutungen gab. Das fade Libretto gewinnt dadurch in seiner Essenz zwar kaum, wird umgangssprachlich aber ein wenig aufgemöbelt, was dem Regisseur zusätzliche ironische Brechungen ermöglicht. Die Introduktionsszene ist also keine naive barocke Pastorale; die blökenden Schafe sind freilich grenzwertiger Humor. Valer Barna-Sabadus umarmt einen Baumstamm mit geradezu onanistischer Gebärde. Das betörend schön gesungene „Ombra mai fù“ wird auf einmal zweideutig. Später kommt es sogar eindeutiger, wenn nämlich auf beweglichen Wänden von HEIKE SCHEELEs Bühne der Name des Titelhelden aufleuchtet und dann zu „Rex Sex“ umgepolt wird. Solche brillante, teilweise drastische Ideen bietet Herheim zuhauf. Zu Beginn meint man fast, dass die Aufführung darunter ersticken könnte, doch das gibt sich. Selbst die ernsteren Musiknummern nehmen keinen Schaden, zumal die Handlung ja als theaterinterner Vorgang angelegt ist. Wahrhaft glorios die Szene, wo Xerxes das Leben Romildas bedroht und ihre Konkurrentin Atalanta im Wortsinn mit schwerem Geschütz auffährt, um ihn dabei zu unterstützen und doch nur Theatereffekte bewirkt. Heike Scheeles Ausstattung mit ihren Kulissengängen und Soffitten spielt köstlich mit. Bei der Zerstörung von Xerxes‘ Schiffsbrücke fühlt man sich in die historischen Theater von Drottningholm oder auch Bad Lauchstädt versetzt.

 Eine treibende Kraft der Aufführung im wahrsten Sinne des Wortes ist neben dem Regisseur auch KONRAD JUNGHÄNEL, der mit der NEUEN DÜSSELDORFER HOFMUSIK aber auch ein ungeheuer spielfreudiges Spezialensemble vor sich hat. Der Dirigent leitete bereits die Aufführungen in Berlin und hat von dort die stimmschöne Mezzosopranistin KATARINA BRADIC (Amastris) mit gebracht, welche eine klimabedingte Indisposition am Premierenabend souverän überspielte.

 Überhaupt: das gesamte Ensemble ist ein Musterbeispiel für unangestrengtes Gleichgewicht von Gesang und Spiel. Zudem schmeichelt die Körperschlankheit sämtlicher Damen dem Auge. Da wäre neben Katarina Bradic noch die oft bewährte ANKE KRABBE als stimmklare Atalanta mit Diven-Pep sowie der Ensemble-Neuzugang HEIDI ELISABETH MEIER (Romilda). Ihr Sopran besitzt etwas mehr Perlmuttfarbe und stärkere Wärme, was einen guten und szenisch stichhaltigen Kontrast abgibt. Buffoneske Akzente setzen vor allem HAGEN MATZEIT als Diener Elviro (transvestitische Szene als Blumenverkäuferin) und TORBEN JÜRGENS (Ariodates, Romildas Vater). Mit flexiblem, angenehm timbriertem und mustergültig phrasierendem Countertenor ist Terry Wey ein idealer Arsamenes, Liebhaber Romildas.

 In der Titelrolle glänzt Valer Barna-Sabadus, längst Publikumsliebling und wohl auch schon Publikumsmagnet. Der Rezensent kennt seine Aufnahme mit dem Pera Ensemble (die sich, wie zu hören war, bestens verkauft) und freut sich auf die gerade herausgekommene Hasse-Oper „Didone abbandonata“ (München 2011, Ausschnitte auf Valer Barna-Sabadus‘ Hasse-CD). Dirigiert wird diese Einspielung von Michael Hofstetter, seit 2012 GMD in Gießen. Dem glücklichen Stadttheater steht durch diese Konstellation eine Produktion von Händels „Ariodante“ mit Valer Barna-Sabadus ins Haus (Aufführungen zwischen März und Juni). Die Stimme des gerade 27 Jahre alt gewordenen Counters besitzt eine besondere Erosfarbe, die sich etwa von dem mehr androgynen Organ eines Philippe Jaroussky merklich unterscheidet. Zusammen kann man die beiden (neben 3 weiteren Fachkollegen) in der Einspielung von Leonardo Vincis „Artaserse“ erleben. Bei der Xerxes-Partie kommt Valer Barna-Sabadus gelegentlich an eine Grenze in der Höhe, was sich noch geben mag und jetzt durch vokalen Höchsteinsatz überspielt wird. Zudem ist der charmante Sänger ein wahrhaft exquisiter Darsteller.

 Einige Premierenbesucher verließen zwar die (mit 3 1/2 Stunden freilich etwas lange) Aufführung nach der Pause, es gab auch einige (kaum merkbare) Negativreaktionen, doch überwiegend herrschte im Auditorium eitel Freude, wie selten erlebt.

 Christoph Zimmermann

 

 

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