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DÜSSELDORF/ Rheinoper: ELEKTRA. Premiere am

23.09.2012 | KRITIKEN, Oper

DÜSSELDORF: ELEKTRA – Premiere am 22. September 2012

 Mit „Elektra“ von Richard Strauss wurde das Düsseldorfer Haus der Deutschen Oper m Rhein 1956 eingeweiht. Karl Böhm dirigierte, Astrid Varnay sang die Titelpartie. Die jetzige Neuinszenierung, eine Koproduktion mit Genf, dient nicht zuletzt einer angemessenen Demonstration für die verbesserte Klangerwirkung nach der Vergrößerung des Orchestergrabens vor einem Jahr. In der Tat: wie AXEL KOBER mit den DÜSSELDORFER SYMPHONIKERN in die vulkanisch brodelnde Musik eintaucht und sie lodern, brennen, gleißen und in den Zuschauerraum katapultieren lässt, wirkt grandios. Auch das lyrische Melos arbeitet Kober intensiv heraus und unterstreicht überdiese die Farbfantasie des genialen Orchestermalers Strauss, etwa bei der Albtraum-Schilderung Klytämnestras.

Die Gattenmörderin ist in Düsseldorf keine alte Vettel, sondern eine noch durchaus attraktive Frau, der man abnimmt, dass sie einen Ägisth an sich zu binden weiß. Ihre Zerrüttung rührt ja von ganz woanders her. RENÉE MORLOC macht die seelischen Qualen der Gattenmörderin alleine durch ihre vokale Autorität erfahrbar. Weiterhin sind neben darstellerischer Variabilität vor allem Wortdeutlichkeit und rhetorische Differenzierung enorm eindringlich. An der Rheinoper müsste die Oper eigentlich „Klytämnestra“ heißen.

Dieses Lob wirft freilich auch Schatten. LINDA WATSON, die sich nicht zuletzt in Bayreuth profilieren konnte, hat die Elektra erstmals vor 2 Jahren in Baden-Baden gegeben. Die stimmlichen Ressourcen der 52jährigen Sopranistin sind imponierend, eine psychologisch drängende Deutung erlebt man freilich nicht. Dafür ist freilich auch die Regie von CHRISTOF NEL verantwortlich zu machen wie auch das Kostüm von BETTINA WALTER. Shirt in Schlabber-Look und Hose, dazu eine blonde Karstadt-Frisur – das verweigert von vorneherein, dass die seelische Korsettierung der Titelfigur eine glaubwürdige Physiognomie erfährt. Und Nel versteht es nicht, der Sängerin Zeichen von Verzweiflung und Exaltation jenseits konventioneller Gestik abzufordern. Sogar bei der immer so wunderbaren und darstellerisch wandelbaren MORENIKE FADAYOMI gibt es – vielleicht der Premieren-Nervosität geschuldet – leichte Einschränkungen zu machen. Erst im Verlauf des Abends singt sie sich frei. Und ihr weißes Jungmädchen-Kleid mit Puffärmeln mag zwar sinnfällig ausgedacht sein, wirkt jedoch auf fast rollenschädigende Weise verharmlosend. Bei den Straßenanzügen von Orest (HANS-PETER KÖNIG mit voluminösem, ebenmäßig strömendem Bassbariton) und Ägisth (WOLFGANG SCHMIDT mit schneidender Artikulation) konnte hingegen nicht viel falsch gemacht werden.

Christof Nel hat sich von ROLAND AESCHLIMANN einen klobigen, eckigen Atriden-Palast bauen lassen, eine Trutzburg, deren mächtige Quader die Bewohner schützt, aber auch verschluckt. Das kommt den Intentionen des Textdichters Hugo von Hofmannsthal durchaus nahe, der sich die Wirkung von „Enge, Unentfliehbarkeit, Abgeschlossenheit“ wünschte. Und der ständige Einsatz der Drehbühne bewirkt Ähnliches wie die bei der Kölner „Forza del destino“, wo mit szenischen Fließen die zermalmende Kraft von Historie symbolisiert wird. In der Düsseldorfer „Elektra“ visualisiert dieser szenische Effekt das gedankliche Kreisen der Menschen um Schuld, Rache und Tod.

Das Palastgebäude wird als Spielort im Grunde nicht benutzt, außer dass aus den Fensterluken hin und wieder Figuren heraushängen wie der multiplizierte Agamemnon bei Elektras Anrufung in ihrem Monolog oder dass man schemenhaft Unheil suggerierende Bewegungen im Inneren wahrnimmt. Das eigentliche Geschehen aber spielt sich um diesen Raum herum ab. Klytämnestra wird kein zeremonieller Auftritt zugestanden, sie wird einfach mit ihrer Entourage hereingefahren. Das widerspricht zwar eigentlich der sich tosend aufbäumenden Musik, gleichwohl wirkt die Regieentscheidung plausibel. Aber Nel besitzt auch einen Hang zu visueller Überverdeutlichung des Textes. Wenn Elektra sich verächtlich über Ägisth äußert, erscheint dieser kurz an einem Fenster, bei den Worten „Schritt für Schritt“ ahmt sie mit den Beinen ihrer Schwester diese Bewegung ganz realistisch nach u.a.m.

Bei diesem Monolog befinden sich noch weitere Menschen auf der Bühne, alleine sind die jeweils Agierenden eigentlich nie, was man im Rahmen der Nel-Deutung nachvollziehen kann, die Entscheidung gleichwohl nicht als glücklich empfinden muss. Auch der endlos wirbelnde Chrysothemis-Abgang nach Elektras Fluch verdrießt, weiterhin das zu frühe Auftreten des alten Dieners während der Begegnung Elektra/Orest, welcher andererseits (trotz der stimmungsvollen Wirkung des von innen erleuchteten Palastes) echte Erschütterung fehlt, wie sie sich nach einer Wiederbegegnung der Geschwister nach so vielen Jahren einzustellen hätte. Dass Elektra zuletzt an der Leiche Klytämnestras niedersinkt, ist wohl als Zeichen einer Versöhnung im Tode zu verstehen. Ist das für die Titelprotagonisten aber glaubhaft und logisch angesichts ihrer extremen Vaterfixierung? Solche Fragen schien das begeisterte Premierenpublikum nicht zu stellen.

 Christoph Zimmermann

 


 

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