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DUISBURG: DON GIOVANNI – Premiere

24.06.2012 | KRITIKEN, Oper

DUISBURG: DON GIOVANNI. Premiere am 22. Juni 2012


Olesya Golovneva

Was hat sich ereignet, wenn in Mozarts „Don Giovanni“ Donna Anna auf die Szene stürzt und den nächtlichen Besucher aufzuhalten versucht? Wurde sie vergewaltigt, um es auf eine häufig vermutete Kurzformel zu bringen? Die Inszenierung KAROLINE GRUBERS an der Deutschen Oper am Rhein klärt auf. Während der Arie „Or sai chi l’onore“ , wo sie ihren Verlobten Don Ottavio um Rache für die sexuellen Übergriffe auf ihre Person und die Ermordung des Vaters anfleht, sieht man den Inhalt des Rezitativs im Hintergrund durch stumme Doubles pantomimisch dargestellt, womit dem Librettotext krass widersprochen wird. Nicht Giovanni ist nämlich der Verführer, sondern Donna Anna, die ihn mit ihrer lasziv langsamen Entkleidung unzweideutig anmacht. Sie verfolgt den Geliebten, nachdem sie – etwas ordinär ausgedrückt – nicht genug bekommen hat. Der attraktive Giovanni hat in ihr, die einer Ehe mit dem von MECHTHILD SEIPEL als tumben Corps-Studenten eingekleideten Don Ottavio entgegen sieht, Schleusen einer ungeahnten erotischen Begierde geöffnet, welche in ihrem Fühlen von nun an auf schon qualvolle Weise verhaftet bleibt.

Mozarts Titelheld erweist sich, wie die Regisseurin erläutert, nicht als ein „wer“, sondern als ein „was“. Giovanni symbolisiert die Lebensmöglichkeiten eines von Natur aus triefhaft Menschen, der durch die Gesellschaft und vor allem durch die moralische Macht der Kirche zivilisatorisch in Schach gehalten wird. So vermag der Komtur im Finalbild (mit geradezu niederschmetternder Bassgewalt: ROMAN POLISADOV) die außer sich geratenen Protagonisten vorübergehend zwar zu Boden zu zwingen, doch nur kurz. Dann bricht sich Körperhaftes auf unterschiedliche Weise neuerlich Bahn. Nur Ottavio, der religiös sauber erzogene Langeweiler, versucht, in all dem Chaos Ordnung zu bewahren, scheitert damit aber auf komische, wenn auch nicht entwürdigende Weise Und wie’s dabei in ihm aussieht, geht niemand was an.

Bei der Interpretation von Donna Annas Arie (die zweite fällt ähnlich signifikant aus) wirkt nichts aufgesetzt. Wo andere Regisseure oft willkürlich am Sinn eines Werkes vorbei inszenieren, bleibt Karoline Gruber dicht an der Musik. Mozart hätte an eine Umfunktionierung seiner (und da Pontes) Intentionen wie bei ihr vermutlich selber nie gedacht, aber sie passt zu den Abgründen des Sujets. Und die Veränderungen widersprechen der Musik nicht, sie geben ihr nur ganz legitim eine neue Bedeutung.

Es gibt weitere solch erregende Szenenmomente. Bei Zerlinas „Vedrai carino“ steht Giovanni hinter ihr, ihre Worte gelten also nicht dem eigentlich angesungenen Masetto. Und dessen Verprügelung gerät zu einem homoerotischen Gewaltakt, welcher die sexuellen Gefühle des jungen Bauern in völlig neue Bahnen lenkt. Wenn er sich von Zerlina mit einem Kuss löst, liest man in den klammen Blicken beider: das war’s. Giovannis Ständchen (in bester pp-Qualität von LAIMONAS PAUTIENIUS geboten) ist kein einsames Solo, sondern wird inmitten vieler Menschen angestimmt. Man denkt an Marlene Dietrichs „… umschwirr’n mich wie Motten das Licht“). Der vorherige Kleidertausch entfällt. Elvira begreift (und akzeptiert verzweifelt), dass Giovanni sie an einen Subalternen (Leporello) verschachert, der (mit Striemen auf dem Rücken und Fesseln an den Handgelenken) seinem Herrn auf andere Weise hörig ist.

Die Hotelsuite Giovannis (weitgehend historisch und realistisch, dazu perspektivisch variabel gestaltet von ROY SPAHN), in welchen Zerlina und Masetto (in einer etwas langen und die Musik der Ouvertüre etwas strapazierenden Introduktion) hineinplatzen und dann nicht mehr entweichen können, ist – wie Herzog Blaubarts Burg – von Untoten oder Zombies bevölkert, die nur noch ein somnambules Leben führen. Giovanni ersteht aus seiner Höllenfahrt wie Phönix aus der Asche, auf dessen magische erotische Anziehungskraft sich alle anderen trancehaft hin orientieren. Dass Arnold Böcklins Gemälde „Odysseus und Kalypso“ immer wieder ohne den schattenrißhaften Griechenhelden mit Vorhangschleiern in die Szene hineingeweht wird, bestätigt den „weiblichen“ Ansatz von Karoline Grubers Regie. Details ihrer Inszenierung mögen vielleicht Fragen aufwerfen, aber grundsätzlich ist dieser „Giovanni“ die derzeit beste Mozart-Aufführung im Gebiet Nordrhein-Westfalens, wo auch noch zwei überragende „Figaro“-Produktionen (Mönchengladbach, Aachen) zu sehen sind.

Dass die Rheinopern-Premiere in Duisburg stattfand, ergab (sicher unbeabsichtigt) einen Akzent, welcher hoffentlich bald endgültig die Hoffnung bestätigt, dass die Opern-Partnerschaft zwischen Düsseldorf und Duisburg doch noch eine gedeihliche Fortsetzung finden, nachdem Hiobs-Meldungen der vergangenen Wochen das Ende dieser Kooperation als Menetekel an die Wand warfen.

Zwischen 1986 und 1997 war der Wiener FRIEDEMANN LAYER fest an der Rheinoper engagiert, jetzt kehrte er als Gast zurück. Nach einer sich etwas hinziehenden Anwärmung des Orchesters (DUISBURGER PHILHARMONIKER) fand er zu einem dramatisch geschärften, aber stets lockeren Mozart-Stil, der nichts verzärtelt, sondern auch das „Giocoso“ nicht leichtgewichtig auslegt. Das ist ein kleiner, aber durchaus nicht unvorteilhafter Kontrast zur Regie, die (vor allem in der Figur des Ottavio) auch in ernsten Situationen buffoneske Farben einsetzt.

Den Titelhelden gibt der Litauer Laimonas Pautienius gleichermaßen vital und elegant. Wenn ihm ein I-Tüpfelchen an Charisma fehlt, so passt das zur Inszenierung, welche die Titelfigur nicht als einen alles überrollenden Potenzmenschen vorführt, sondern als personalen Brennpunkt erotischer Wünsche und Obsessionen. 29 Jahre junge ist der polnische Bass ADAM PALKA, ein Leporello voller Widersprüche, hündisch dienend und doch eine in sich gefestigte Persönlichkeit, von klischeehafter Komik weit entfernt und stimmlich potent. Den Masetto macht der gleichaltrige TORBEN JÜRGENS, animiert durch die Inszenierung, fast zu einer Hauptfigur; gesanglich top. CORBY WELCHS vokale Qualitäten kommen nun auch dem Ottavio zugute. Dass er zu seinen aktuellen Rollen bereits Siegmund und Kaiser zählt, schlägt bei seinem Porträt durch, welches in keinem Moment weinerlich wirkt. Last not least die Damen. Das reine Koloraturfach dürfte OLESYA GOLOVNEVA (Mitglied der Wiener Staatsoper 2005/6) früher oder später hinter sich lassen, dafür ist ihr Sopran bereits zu dramatisch geprägt, auch wenn ihre Stimme immer noch jungmädchenhaft schimmert. Auch bei NATALIYA KOVALOVA ist eine schwerer gewordene Stimme zu konstatieren, die vom Lyrischen wegführt. Ihre Elvira profitiert noch davon. Ganz und gar charmant gibt ALMA SADÉ die Zerlina.

Christoph Zimmermann

 

 

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