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DÜSSELDORF: ARIADNE AUF NAXOS. Premiere

28.09.2014 | KRITIKEN, Oper

DÜSSELDORF: ARIADNE AUF NAXOS            Premiere am 27.9.2014

  Die Geschichte aus der Molière-Epoche ist auch heute noch durchaus vorstellbar. Es muss nicht unbedingt – wie in „Ariadne auf Naxos“ –  der “reichste Mann in Wien“ sein, aber vielleicht ein betuchter Unternehmer in Düsseldorf, der aus irgendeinem stolzen Anlass zu einer Gala einlädt. Und im Zeitalter des Sponsoring hat er eben ein Musiktheaterwerk in Auftrag gegeben. Der ins Visier genommene Komponist redet heute sicher nicht mehr von der Musik als einer „heiligen Kunst“ und hat auch mit Mythologie und Commedia dell’arte kaum mehr etwas am Hut, sondern setzt wie etwa Ludger Vollmer mit „Gegen die Wand“ – derzeit im Spielplan der Deutschen Oper am Rhein – auf ein Thema mit sozialem Konflikt. Aber etwas Festliches, Erbauliches sollte es schon sein, denn es ist ja Galastimmung beabsichtigt. Und damit es in diesem Rahmen nicht zu anstrengend wir, lädt man auch eine Produktion der Düsseldorfer Komödie ein – das wären dann Zerbinetta und ihr Ensemble.

Die geistig hochfliegende Dramaturgie von Strauss/Hofmannsthal (womöglich noch in der Version mit dem Molière’schen „Gentilhomme“) hat Regisseur DIETRICH HILSDORF nicht im Sinn. Es ist ohnehin so, dass er sich mit seiner 150. Regiearbeit zum ersten Male Richard Strauss zuwendet, noch zögerlicher als bei Wagner. Was widerstrebt ihm bei Strauss? „Zu dick, zu fett“ ist der einzige Kommentar, der ihm offenbar zu entlocken war. Was auch immer das heißt. Das “Geheimnis der Verwandlung“ bleibt für Hilsdorf zwar Handlungsmotiv, wird aber nicht als Lebensproblem interpretiert. Er nimmt „Ariadne“ als Komödie, zeigt die Vorgänge als einen katastrophal schief laufenden Abend, der aber irgendwie zusammengekittet bleibt, so dass die Festgäste von dem ganzen Bühnen-Tohuwabohu möglicherweise gar nichts merken. Man könnte bei diesem Konzept fraglos einen Verlust an Tiefgang monieren, andererseits wird das komödiantische Potential des Werkes herrlich auf die Spitze getrieben.

Wie immer erweist sich Hilsdorf als ein scharf denkender, sich ins Werk verbohrender Regisseur, der (mit seinem Favorit-Ausstatter DIETER RICHTER) gerne auf lokale Gegebenheiten eingeht. Als er vor Jahren in Köln „Poppea“ im Ausweichquartier Gerling-Konzern inszenierte, wurden Filmaufnahmen aus den „Katakomben“ des Hauses auf Seitenwände geworfen – viel Aufwand für einen nur bedingt registrierbaren Effekt. In Düsseldorf haben sich Hilsdorf und Richter in einer städtischen Kunstsammlung umgesehen und lokal anspielende Bilder für die Ausgestaltung der vielen Paravents übernommen. Als optischer Background für die Oper in der Oper wird Arnold Böcklins Gemälde „Die Toteninsel“ auf einem Schleiervorhang zitiert, der für die Aufführung in der Aufführung mühsam hochgehievt wird und dabei immer wieder in sich zusammen fällt.

 Mit solch kleinen Katastrophen ist die Inszenierung gespickt, bereits bevor alles losgeht. Im Bühnenhintergrund probieren immer noch AXEL KOBER und die DÜSSELDORFER SYMPHONIKER. Irgendwann fängt die Strauss-Oper (bei voller Saalbeleuchtung) dann an, und Hilsdorf nutzt jede Gelegenheit, um das Improvisatorische wie auch den Kontrast der Kunstsphären (Kothurn-Spiel und Klamauk-Theater) zu verschärfen. Trotz solcher Äußerlichkeiten kommt Ernsteres nicht zu kurz. Das Verhältnis Komponist/Zerbinetta beispielsweise wird differenziert und manchmal sogar rührend ausgespielt. Dass der Haushofmeister (PETER NIKOLAUS KANTE muss sich für seine Anweisungen durch die Zuschauerreihen zu einem Mikrophon durchkämpfen) später in die Musik befehlend hineinblökt, dass einer der Komödianten eine Phrase von Ariadnes „Ein Schönes war“ nachäfft und der traumhaft schöne Schlussakkord von Feuerwerksgeräuschen und dem Kreischen der Gäste überdeckt wird, lässt einen zusammenzucken, doch ist die Entscheidung inszenatorisch schlüssig. Und das Premierenpublikum zeigte sich über alle Hilsdorf’schen Verrücktheiten über die Maßen entzückt.

 Noch entzückter war man über die Zerbinetta von ELENA SANCHO PEREG. Die teenagerhaft wirkende Spanierin kämpft zwar ein wenig mit dem Hofmannsthal-Deutsch, aber das wird unwichtig angesichts ihrer sängerischen Bravour, welche mit fulminanter darstellerischer Virtuosität einhergeht. Selbst Radschlagen kann sie, und zum Feuerwerksapplaus liefert sie auch noch eine perfekte Grätsche. MARIA KATAEVA ist aus dem Düsseldorfer Opernstudio hervorgegangen: ihr flammendes Rollendebüt als Komponist hätte kaum besser ausfallen können. Vor kurzem gab ROBERTO SACCÀ sein Matteo-Debüt an der Met, doch ist er längst im heldischen Fach angekommen (nächste Saison in Antwerpen: Eleazar). An der Deutschen Oper am Rhein, wo er 1990 erstmals gastierte (Nemorino), war er zuletzt Kaiser, Peter Grimes und Lohengrin. Seine Stimme besitzt wahrlich Glanz und Wonne, strahlt mühelos selbst in extremer Höhe. Auch figürlich  macht er den Bacchus glaubhaft; dennoch hätte die Kostümbildnerin RENATE SCHMITZER etwas netter zu ihm sein dürfen. Für die Ariadne fehlt KARINE BABAJANYAN vielleicht  die ganz große Aura, aber sie singt und agiert sehr, sehr gut. Als besonders markante Rollenporträts sind noch die von STEFAN HEIDEMANN (Musiklehrer) und FLORIAN SIMSON (Tanzmeister) hervorzuheben. DMITRI VARGIN ist als Harlekin ungemein sympathisch, vokal freilich etwas neutral. Seine „Kollegen“ (CORNEL FREY: Brighella, BRUCE RANKIN, Scaramuccio, BOGDAN TALOS-SANDOR: Truffaldin) wirken typengerechter. Einwandfrei das Nymphen-Trio ELISABETH SELLE (Najade), IRYNA VAKULA (Dryade) und LAVINIA DAMES (Echo) .

 GMD AXEL KOBER macht das ganze Hilsdorf-Spektakel mit, ob gänzlich überzeugt oder eher gedrängt, bleibe einmal offen. Man darf freilich Ersteres vermuten. In Bayreuth hatte er bei „Tannhäuser“ weiß Gott anderes auszuhalten. Kober bietet opulenten Strauss-Glanz mit sorgsamen, filigranen Details und apotheotischem Pomp. Bis heute macht jede „Ariadne“-Begegnung aufs Neue staunen, welcher Sensibilität der rustikale Bajuware Strauss als Komponist fähig war und wie er – in diesem Falle mit 36 Musikern – ein geradezu Wagner’sches Klangvolumen herbeizuzaubern vermag.

Christoph Zimmermann

 

Christoph Zimmermann

 

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