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DRESDEN/Semperoper: SOIRÉE DER PALUCCA HOCHSCHULE FÜR TANZ DRESDEN

Dresden / Semperoper: SOIRÉE DER PALUCCA HOCHSCHULE FÜR TANZ DRESDEN – 8.7.2015

 

Die Palucca Hochschule für Tanz feiert ihren „90. Geburtstag“. Sie wurde 1925 von Gret Palucca (1902–1993), einer bedeutenden Vertreterin und Tanzpädagogin des Ausdruckstanzes, gegründet. Palucca war u. a. Schülerin von Mary Wigman (1886-1973), die den Ausdruckstanz als „New German Dance“ international bekannt machte. „Ich will nicht hübsch und lieblich tanzen!” war Paluccas Parole, aber sie wollte tanzen, bis zur Besessenheit, und sie vereinte Sportlichkeit, Akrobatik Gelenkigkeit, Elastizität und Sprungkraft zu ihrem ganz persönlichen Tanz, Elemente, denen sich die Hochschule in ihrer Tradition verpflichtet fühlt. Die drei gleichberechtigen Säulen der Ausbildung: Klassischer Tanz, Zeitgenössischer Tanz und Improvisation, die fester Bestandteil des Profils dieser Hochschule sind und ihre Besonderheit ausmachen, wurden in einer Soirée von den Studierenden mit eindrucksvollen Leistungen repräsentiert.

 Zunächst überraschte als Auftakt ein „rein neoklassisches“ Ballett, die Choreografie „Allegro brillante“ von George Balanchine mit ausgefeilten Leistungen der Studierenden. Die Musik aus dem „Klavierkonzert Nr. 3“ (op. 75) von P. I. Tschaikowsky kam vom Band – leider in keiner guten Qualität. Die Tänzerinnen und Tänzer aber zeigten beachtliche Leistungen und viel Spitze. Das Solistenpaar Vivian de Britto Schiller/Anthony Bachelier trat in die Fußstapfen der „ganz Großen“. Besonders die junge Solistin zeigte eine bereits bühnenreife Leistung. Sie beeindruckte durch elegante, ausdrucksvolle Bewegungen, sehr schöne Drehungen und einen besonders schönen Sprung. Sie ist sehr talentiert und in vielem schon perfekt, macht eine gute Figur und hat den Tanz „im Blut“. In ihren hingebungsvollen Bewegungen liegt Musik, gepaart mit Anmut. Ihr Partner wirkte bei aller exakten Ausführung seines Parts (wie auch die anderen jungen Tänzer) noch etwas „geradlinig“ mit weniger Emotion und Anteilnahme, während die Tänzerinnen den Vergleich mit ihren bühnenerfahrenen „Kolleginnen“ nicht zu fürchten hätten.

 „Klassisch“ ging es zumindest in der Musik weiter, mit Henry Purcell, gesungen und adaptiert von Christina Pluhar mit ihren „L‘Arpeggiata“ in „Dance for a while“. In der Choreografie von José Biondi  haben die Studierenden die Möglichkeit, verschiedene Varianten der Improvisation auszuprobieren. Sie beginnt wie in einem Spiel und entwickelt sich über einen Volkstanz bis zu einer Art skurriler Scheinhochzeit. In der klassischen Paarkonstellation mit zahlreichen Hebefiguren, nicht nur bis zur, sondern auf der Hüfte, werden die Partnerinnen wie starre Schaufensterpuppen getragen. Zunächst treten die Tanzenden etwas leichter bekleidet auf. Irgendwann rennt dann ein „schneller Läufer“ über die Bühne und „wirft“ fast „klassische“ Kleidung „ab“. Da ziehen sich die Tanzenden einmal nicht aus, sondern schnell an, um sich „klassischeren“ Formationen zu widmen.

 „Klassisch“ war auch die Musik, der 1. Satz aus dem „Konzert für Violine und Orchester a‑Moll“ (BWV 1041) von J. S. Bach, zur Choreografie „Veloce“ von Jose Cruz, die auf sehr wirksamen, ästhetischen Formationen und Bildern beruht, bei denen die Studierenden der Nachwuchsförderklassen die Möglichkeit haben, verschiedene Techniken sowie Geschwindigkeit, Präzision und Koordination kennenzulernen und ihre Musikalität und ihre eigene tänzerische Persönlichkeit zu erspüren.

 Dem („pseudo“‑)klassischen Tanz mit, dem Herkömmlichen gerade entgegengesetzten Bewegungen widmet sich Jiri Kylián in seiner Choreografie „Un ballo“ nach dem Menuett aus „Le Tombeau de Couperin“ und „Pavane pour une infante défunte“ von Maurice Ravel, eine „Übung für Musikalität und Sensibilität zwischen männlichen und weiblichen Partnern“, wie er es selbst sieht. „Ein Tanz, Musik, mehr nicht“. Die „Erinnerung an Francois Couperin“ und der „Tanz für eine verstorbene Prinzessin“ wurde hier wörtlich genommen. Die Bühne, gänzlich in schwarz gehüllt und mit einer langen Kerzenreihe an beleuchteten Stangen versehen, weckte die Illusion einer riesigen (altmodischen) Gruftwand des 19. Jh. In dieser „Gruft“-Atmosphäre zeigten die beiden, ebenfalls in schwarz gekleideten, Solisten Vivian de Britto Schiller und Anthony Bachelier beachtliche, ausgereifte Leistungen. Ganz in schwarz tauchte auch das „Corps de ballet“ aus dem Hintergrund auf, um sein Können, u. a. in exakt konformen Bewegungen zwischen beiden Partnern eines Tanzpaares und der einzelnen Tanzpaare zueinander zu zeigen. Durch raffinierte Beleuchtung bildete die helle Haut der Tanzenden zwischen 18 und 19 Jahren einen eindrucksvollen Kontrast zu dem vielen schwarz. Ein lebendiger „Tanz“ nicht ohne sexy-Wirkung in toter Atmosphäre, eine extravagante Verbindung von Leben und Tod.

 Bei all diesen, sehr unterschiedlichen  Choreografien entstand der Tanz aus der Musik, bildeten Tanz und Musik eine Einheit. Die modernen Choreografien, fernab aller klassischen „Regeln“ genügen sich selbst, sie verzichten auf traditionelle Musik. Hier steht kein „Programm“, kein Suchen nach tiefen oder symbolischen Inhalten im Vordergrund, sondern entsprechend dem ursprünglichen Anliegen Gret Paluccas, der Tanz, die Bewegung an sich.

 Für „Eight“ (Choreografie und Kostüme wie Alltag-Kleidung: Rita Aozane Bilibio) genügte eine „Geräuschkulisse“ mit immer wiederkehrenden Motiven von Schlagzeug und sonstigen Geräusch-Instrumenten in hämmernden Rhythmen. „The Elefant in the Pool“ aus „Deadbeat“ lieferte die musikalische Grundlage für einen ständigen Wechsel der Konstellationen zwischen Solo, Duetten und Gruppen, „ein Spiel zwischen Nähe und Distanz“ mit „System in scheinbarer Systemlosigkeit. Alles schien ausufernd anzuschwellen, und doch hatte es Methode. Am Ende siegte die Liebe.

 Ihsan Rustems Choreografie Reminiszence“, eine Choreografie für das 2. Studienjahr, bot zur „Musik“ mit immer wiederholter Melodie und monotonen Geräuschen wie „Schrankenglocken-Signalen“ und vorbeifahrenden Zügen sowie leichtem Gesang anspruchsvolle „sportliche“ Leistungen und zweimal eine kuriose „Hebefigur“, bei der eine junge Tänzerin unter Ausnutzung ihres „Federgewichtes“, von 2 Tänzern an den  Fußgelenken gefasst, optisch sehr wirksam, senkrecht „in die Höhe gehalten wird.

 Bei Ausschnitten aus „Treemonisha“, von Massimo Gerardi, verfehlten die Kostüme in dezent farblichen Schattierungen in grau und leicht bläulich vor schwarzem Hintergrund und der Kontrast zur hellen Haut und schließlich die Schatten der Tanzenden als Silhouetten in einer Kombination aus Sport und Tanz, ungewöhnlichen, fast obszönen Bewegungen und Figuren ihre Wirkung nicht. In ihrem ungewöhnlichen, gewöhnungsbedürftigen „Tanz“ erinnerte die Solistin, die in den zwei Bildern: „Angst“ und „Liebe“ eine geistig Aufstrebende aus der sozialen Unterschicht darstellt, die Fernsehwerbung und falschem Luxus widersteht und damit zur Außenseiterin wird, an eine altgriechische Figur einer tanzenden Mänade, bis sie sich schließlich in ähnlicher Pose Richtung Hintergrund bewegte und  ins „Jenseits“ oder ins „Nichts“ (?) verschwand.

 Und schließlich stellten die Studierenden in Ohad Naharins Choreografie „Metronome – Boys“ das perfekte „Stillstehen“ und langsame konforme Bewegungen mit Pausen zu hämmernden Geräuschen vor, die hohe Schule der Körperbeherrschung und Bewegungssprache in praxi.

 Last but not least kamen auch die Jüngsten zu ihrem Recht und gestalteten in „Next Level“ von Angelika Forner die Welt eines Kinderspielplatzes tänzerisch. Mit durchtrainierten Körpern, Ernsthaftigkeit und guter Haltung, schon fast wie die Erwachsenen, zeigten sie ihre Beweglichkeit und ihr Können in schnellem Wechsel von einer Figur in die andere, von Ruhepositionen und teils ruckartigen, teils rasanten, teils rhythmisch betonten Bewegungen.

 Die jungen Tänzerinnen und Tänzer aller Studienjahrgänge tanzten mit viel Eifer und Engagement, entsprechend ihrer Ausbildungsstufe mit mehr oder weniger Schwierigkeiten, aber immer mit Leidenschaft, äußerster Disziplin, Körperbeherrschung und Ausdrucksstärke.

 Ingrid Gerk

Ingrid Gerk

 

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