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DRESDEN/Semperoper: LA VESTALE / DIE VESTALIN von Gaspare Spontini – konzertant

04.07.2013 | KRITIKEN, Oper

Dresden /Semperoper: „LA VESTALE / DIE VESTATLIN“ – KONZERTANT – (30.6. und) 3.7.2013

 Im Wagner-Jahr stehen an der Semperoper nicht nur die Werke Wagners, die in irgendeinem Bezug zur Stadt und ihrer Umgebung stehen, im Vordergrund. Die beiden französischen Opern „La juive/Die Jüdin“ von FromentalHalévy und „La vestale“von Gaspare Spontini, die Wagner in Paris kennengelernt und für deren Aufführung er als späterer Hofkapellmeister in Dresden sorgte und die sein Schaffen beeinflusst haben, wurden wieder aufgenommen, die erste nach langer, langer Zeit in einer Neuinszenierung (Pr. 12.5.2013) und fest im Spielplan, die zweite konzertant, mit nur 3 Aufführungen (30.6, 3.7. u. 6.7.2013)in sehr guter Besetzung.

 1844 dirigierte der alternde Spontini auf Einladung Wagners seine Oper„La vestale“in Dresden. Nach Wagners Erinnerungen gab es nervenaufreibende Proben, über die er in seinem Buch „Mein Leben“ berichtet, aber er war tief beeindruckt und orientierte sich bei seinen Werken an Spontinis Chören, u. a. in„Rheingold“und „Lohengrin“ und übernahm auch dessen Orchesteraufstellung.

 Daran, dass „La vestale“ seinerzeit, als Opern mit exotischem Flair aus fernen Ländern oder der Geschichte sehr beliebt waren – wie hier, mit dem Vesta-Kult im antike Rom – auch in Dresden hoch in der Gunst von Künstlern und Publikum stand, erinnert ein Gemälde in den Lünetten des oberen Foyers der Semperoper.

 „La vestale“verhalf seinerzeit Spontini zu Weltruhm und wurde europaweit gespielt. Im 20. Jh. verblasste ihr Ruhm. Sie wurde nur noch in Italien und in italienischer Sprache aufgeführt, u. a. mit der unvergessenen Maria Callas, aber schließlich geriet sie – abgesehen von CD-Aufnahmen – in Vergessenheit. Jetzt entschied man sich in Dresden für eine konzertante Aufführung der französischen Fassung.

 Eine alte Theater-Weisheit besagt, dass Kenner nicht die erste, sondern die 2. oder 3. Aufführung besuchen. Das bewahrheitete sich hier einmal mehr. Die 1. Aufführung (30.6.), bei der sich erst einmal alles „zusammenraufen“, orientieren und aufeinander einstellen musste – bekanntlich gehen den konzertanten Aufführungen nur wenige Proben voraus – ließ vielversprechend erkennen, dass die 2. Aufführung (3.7.) noch wesentlich mehr bringen würde, was sich auch bewahrheitete. Es war alles viel ausgeglichener, harmonischer und „wie aus einem Guss“. Die einzelnen „Nummern“ gingen in, sich gegenseitig ergänzendem, Kontrast „nahtlos“ ineinander über. Die Sänger konnten sich entfalten. Alle und alles war aufeinander eingestimmt. Es wäre ungerecht gewesen, schon nachder 1. Auffassung zu urteilen und „den Stab“ über Oper und Ausführende „zu brechen“.

 Die Hauptpartien sind vorwiegend mit jüngeren Sängerinnen und Sängern mit großem Potential hervorragend besetzt. Maria Agresta, die bisher vorrangig in Italien Karriere machte und jetzt die Bühnen Europas erobert, in Verona und Paris und 2014 in „Simon Boccanegra“ unter Thielemann auch wieder an der Semperoper singen wird, konnte als junge Vestalin Julia, die widerstrebend den Schleier nahm, schon bei der 1. Aufführung mit ihrem kultivierten Gesang sehr überzeugen. Sie beherrscht diese umfangreiche Partie nicht nur perfekt. Sie war immer präsent, steigerte sich mit ihrer schönen Stimme in die dramatischen Szenen hinein und verlieh den lyrischen Kantilenen mit ihrer sensiblen Gestaltung Ausdruckskraft und Milde. Siebeherrscht die große Dramatik mit leidenschaftlichen Gefühlsausbrüchen genauso wie eine schöne Pianokultur und singt mit ausgesprochen schöner Stimme, guter Technik, Herz und Seele. Allein wie sie mit Feingefühl und geschmeidiger Stimme in Chor und Orchester einsetzt, zeigt ihre gute Gesangskultur. Sie ließ keine Wünsche offen in ihren hochdramatischen Arien, wenn sie in Gewissenskonfliktender Götter Rache hinzunehmen gewillt ist, um ihren Geliebten, den römischen General Licinius, wiederzusehen oder in ihrem, sehr intensiv gestalteten „lyrischen Grabesgesang“ in Erwartung des Todes.

 Sehr gut bei Stimme, formte Christopher Magiera in der 2. Aufführung die Gestalt des Licinius, der in den Krieg gegen die Gallier zog, um der Heirat mit seiner geliebten Julia vor ihrem Vater würdig zu sein und nach 5 Jahren, in denen sie einem Eid am Totenbett ihres Vaters zufolge den Schleier nehmen und das Keuschheitsgelübde ablegen musste, siegreich zurückkehrt und sie als Priesterin der Vesta wiederfindet. Er verlieh der Rolle mit seiner kraftvoll männlichen, aber auch weichen, angenehm voluminösen Stimme viel Ausdruck und Seele, die der Vorstellung eines „echten“ antiken Helden mit „Heldenmut“, Härte und Sieghaftigkeit nach außen, aber liebevoller, sanfter Zuneigung in seiner ganz persönlichen Beziehung entspricht. Im Duett orientierte er sehr auf Harmonie mit seinen Partnern.

 Francisco Araiza (anstelle von Giorgio Berrugi) sang einen passablen Cinna, Befehlshaber einer Legion. In dieser Rolle sollte man nicht den Heldentenor erwarten. Das würde kaum passen. Mit seiner geschmeidigen, sehr ansprechenden und gut klingenden Stimme, vor allem in der Mittellage sang er sehr zuverlässig und war durchaus glaubhaft als Freund des Licinius auf Leben und Tod.

 Sehr sicher und mit großer Klarheit seinergewaltigen, vollen Bassstimme mit dem dunklen Timbre, verkörperte Andreas Bauer, der demnächst König Marke(„Tristan und Isolde“), Landgraf („Tannhäuser“) und Sarastro („Zauberflöte“) in Frankfurt singen wird, dem Oberpriester Achtung gebietende Würde, unerbittliche Macht, die keinen Widerspruch duldet und eine unbeugsame Härte in seinem unmenschlichen Todesurteil gegen Julia, die das heilige Feuer wegen ihres Geliebten verlöschen ließ. In einem kontrastreichen, aber musikalisch sehr gut ausgewogenen Duett mit dem aufbegehrenden Licinius, in dem die gegensätzlichen Charaktere und Ansichten aufeinanderprallen, bildete er das machtvolle Pendant des Oberpriesters, der auf seiner Position beharrt, konnte aber später auch in einem großartigen Übergangvon seiner machtvollen Haltung zu versöhnlichen, huldvollen Tönenübergehen, um Julia eine Chance durch das göttliche Urteil der Vesta zu gewähren.

 Weniger Würde und Ausstrahlung lag, ganz im Gegensatz zur sanften Orchesterbegleitung, in der harten Stimme von Tichina Vaughn als Oberpriesterin der Vestalinnen, die dem Text nach eher freundlich ermahnend, statt hart und streng sein sollte, lediglich im Duett, wenn sie Abschied von der zum Tode verurteilten Julia nimmt, verbanden sich die beiden Frauenstimmen gut.

 Kaum beeindruckend absolvierte Tomislav Lucic die Rolle(n) des Obersten Haruspex und des Konsuls. Seine Worte hatten wenig Gewicht im Gesamtgeschehen.

 Eine wichtige Rolle spielen in dieser Oper die gewaltigen Chöre, die der Sächsische Staatsopernchor (nach einigen Unsicherheiten bei der 1. Aufführung) in der 2. Aufführung mit bewundernswerter Homogenität und Ausdruckskraft bewältigte (Einstudierung: Pablo Assante). Großartig, wie sich der Chor immer mehr in religiösen Fanatismus hineinsteigert, um Julia zu verurteilen, dann aber wieder von ihrem bevorstehenden Tod erschüttert wird. Berührend der Frauenchor, wenn die Vestalinnen für ihre Schwester bitten. Wie der gesamte Chor in einem großen Crescendoin der Unwetterszene eins wird mit dem Orchester und das Gewitter plastisch entstehen lässt, ließ den Atem stocken.

 Die Oper ist vorrangig auf glänzende Gesangsnummern und gewaltige Chöre orientiert. Das Orchester tritt von der Komposition her etwas zurück, aber die Sächsische Staatskapelle Dresden verlieh der Aufführung unüberhörbaren Glanz. Sie spielte zuverlässig und klangschön unter der Leitung von Gabriele Ferro, dessen italienische Dirigierweise hier zunächst fremd erschien. Die 2. Aufführung, bei der alles sehr viel ausgeglichener, emotionaler und fließender war als bei der ersten,gestaltete sich unter Ferros Leitung zu einem geschlossenen, „unter die Haut gehenden“ Gesamteindruck. Es gab auffallend schöne Streicherpassagen. Selbst bei lauten, expressiven Einsätzen war die Pauke nie vordergründig, sondern sehr gut angepasst. Sie „beleidigte“ (nach Mozart) „das Ohr nicht“, sondern bekräftigte unüberhörbar die markanten Situationen der Handlung in Harmonie mit dem gesamten Orchester.

 Großartig war die „Unwetterszene“, wenn in einem großangelegten Crescendo ein grausiges Gewitter mit zuckendem Blitz, der Julias Schleier entzündet, während sie in ihr Grab hinab geleitet wird, die entfesselte Natur und die menschlichen Gefühle im Aufruhr bis zum musikalischen Höhepunkt gesteigert werden. Es ging „Schlag auf Schlag“, wie aus einem großen dramatisch überbordenden „Guss“, bis an die Grenzen des Machbarenund doch musikalisch ausgewogen und langsam in einen alles versöhnenden Schluss, wenn Vesta auf Fürsprache von Venus verziehen hat,hinübergleitend.

 Es war wieder einmal ein großer Opernabend, wenn auch nicht szenisch umgesetzt, aber auch nicht abgelenkt von eigenwilliger Inszenierung und Regie, nur mit dezent und sinnvoll eingefügten Auf- und Abgänge. Mankonnte man sich voll und ganz auf die Musik konzentrieren und von der gekonnten Interpretation der Ausführenden die Fantasie anregen lassen.

 Die Spannung dieser Oper ergab sich früher aus der Verlegung der Handlung in ein exotisches Milieu, hier dem alten Rom mit Vesta-Kult, und dem Widerspruch zwischen den Gegebenheiten des tatsächlichen Lebens und einem Ehrgefühl auf Leben und Tod, das für die heutigen Menschen kaum noch nachvollziehbar ist. Trotzdem ist diese Oper nicht nur historisch und in Verbindung mit Wagner interessant. So dargeboten, ist sie auch heute noch ergreifend, vor allem musikalisch. Man kann verstehen, warum sie einst sehr „hoch im Kurs stand“ und sich großer Beliebtheit erfreute.

 Ingrid Gerk

 

 

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