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DRESDEN/Semper 2: „MOSKAU, TSCHERJOMUSCHKI“ . Premiere

22.02.2014 | KRITIKEN, Oper

Dresden Semper 2: „MOSKAU, TSCHERJOMUSCHKI“ – 21.2.2014  Pr.

Unbenannt
Copyright: Semperoper

 In Dresden nimmt man sich seit einigen Jahren verstärkt der Pflege von Dmitri Schostakowitschs Oevre an, wobei die Schostakowitsch-Tage in Gohrisch bei Dresden (Sächsische Schweiz) – die einzigen dieser Art weltweit – den Kernpunkt bilden. Dort werden vor allem Schostakowitschs reine Instrumentalkompositionen aufgeführt. In der Semperoper gab es schon „Lady Macbeth von Mzensk„, und die Sächsische Staatskapelle Dresden nimmt sich in ihren Symphoniekonzerten sehr dem Werk dieses Komponisten an. Wem aber war bekannt, dass  Schostakowitsch 1958 auch eine Operette – seine einzige – geschrieben hat, eine „Musikalische Komödie in 3 Akten“ unter dem Titel „Moskau, Tscherjomuschki“ (Libretto: Vladimir Mass und Michail Tscherwinski), die jetzt Premiere hatte. Es ist eigentlich eine Tragikomödie mit bitterbösem Hintergrund, eine herbe Kritik an den menschenverachtenden Zuständen der –  ach so „menschenfreundlichen“ – „Sozialistischen Menschengemeinschaft“ unter dem Schutz einer Komödie. Zu solcher „Verkleidung“ fühlte sich Schostakowitsch unter dem Eindruck der Repressalien, denen er nicht nur in der Stalin-Epoche ausgesetzt war, gezwungen.

 Die Musik ist total tonal mit vielen westlichen Einflüssen und Zitaten, die für die, damals von der westlichen Welt total abgeschirmte Bevölkerung der Sowjetunion eine besondere Bedeutung hatten. Da klingen deutsche Melodien und amerikanische Musicals an, für uns heute eher mit einem Lächeln wahrgenommen, für die Menschen damals aber ein Novum, ein Blick über die Grenzen.

 Unter der musikalischen Leitung von Mikhail Agrest spielte die von ihrem so früh verstorbenen Maestro und Namensgeber seinerzeit ins Leben gerufene Giuseppe-Sinopoli-Akademie der Staatskapelle Dresden die reduzierte Orchesterfassung (Gerard McBurney) mit der auf Exaktheit und Perfektion orientierten Klangqualität ihres „Patenorchesters“. Viel „Action“ auf der Bühne, die eigentlich keine ist, denn Bühne, Orchester und „Parkett“ gehen hier „nahtlos“ ineinander über, zieht mitunter die Aufmerksamkeit so stark auf sich, dass das wirklich  gut spielende Orchester hinsichtlich Aufmerksamkeit manchmal „überdeckt“ wird. Der Sinfoniechor Dresden – Extrachor der Semperoper (Christiane Büttig), sang die wenigen Choreinsätze in ebenfalls sehr guter Qualität, konform und mit sehr schönen Stimmen.

 Leider nichts zu singen hatte Christiane Hossfeld, die über eine sehr schöne Stimme und versierte Gesangstechnik verfügende Sängerin der Semperoper, aber sie ließ ihre Sprechrolle als „Flittchen“ Wawa mit sehr guter Artikulation und ihrem Spiel- und Tanztalent zu einem Extra-Erlebnis und einer nicht unwichtigen Charakterdarstellung werden. Sie verkörperte eine gar nicht so seltene „Ausnahmeerscheinung“ des „sozialistischen Menschenbildes“ nicht nur unbedingt glaubhaft, sondern auch herzerfrischend als „süßes Mädel“, das wahrscheinlich auch im Zuschauerraum manchen Mann hätte verführen können, so jung, so frisch und unbekümmert naiv wirkte sie, aber unter dem hübschen Outfit auch „ausgekocht“ und mit dem Gespür „wo es lang geht“, um sich mit Geld, Charme, Küsschen usw. … allen Luxus zu leisten und meist auch für sich  zu „ergattern“, einen einflussreichen Funktionär als finanzkräftigen Ehemann, exquisite Ausstattung und eine 4‑Raum-Wohnung (damals ein utopischer Traum) zu zuungunsten eines alten, ehrenwerten und bescheidenen Herrn (Tom Martinsen) und seiner wohlerzogenen, anständigen Tochter Lidotschka (Nadja Mchantaf), einem braven Mädchen und erst einmal etwas spröder Fremdenführerin mit hübscher, hier aber relativ klein wirkender Stimme, die kaum den  Raum von Semper 2 (ehemalige Probebühne) füllte. Der alte Herr muss nach 50 Jahren sein gewohntes Haus in der alten, ruhigen, von Ungeziefer freien Straße, wie er betont, verlassen, weil das Dach infolge fehlender Baureparaturen eingestürzt ist und es nun einer, damals im Entstehen begriffenen, Plattenbausiedlung weichen muss. Alle Anwärter auf eine Wohnung in Tscherjomuschki, was übersetzt so viel wie „Vogelbeerbaum“ oder „Faulbeerbaum“ (der auch zu Heilzwecken verwendet wird) bedeutet, wollen oder müssen im Rahmen der sowjetischen „Umsiedlungspolitik“ umziehen, die einen, weil sie kein Dach mehr über dem Kopf haben, die anderen, weil sie verheiratet sind und keine Wohnung haben, wieder andere, die sich modernen Wohnkomfort oder überhaupt nur die eigenen vier Wände erhoffen.

 Hier ziehen auch die Ratten in Form von 6 niedlichen Rattenpuppen, die sehr gut „mitspielen“ (perfekt geführt von 3 Puppenspielern) und die Sympathie des Publikums genießen, mit ein, was Bayreuth Recht ist, scheint Dresden billig zu sein, hier aber passen diese „Tierchen“ nun tatsächlich, waren sie doch Bestandteil des Straßenbildes in allen sowjetischen Groß- und Kleinstädten.

 Sebastian Wartig repräsentiert in seiner Rolle als Boris den „positiven Helden“ und „Durchreißer“, der durch sozialistische Arbeit an den Schwerpunkten der Wirtschaft auf seine Art „groß“ geworden ist, aber, in seinem äußeren Habitus, als „Elvis-Verschnitt“ zurechtgemacht, eher den westlich orientierten Charmeur und verführerischen jungen Mann, spielt. 

 Glaubhaft und sympathisch wirkte Ewa Zeuner als hausmütterliche, wohnungslose, aber dennoch fürsorgliche Haus- und Ehefrau Mascha. Ihr „Ehemann“ Sascha, manchmal leicht neben den Tönen singend, wirkte im Wesentlichen jung und unbekümmert, bis er in der neuen Wohnung, offenbar von seiner Frau verwöhnt, a la Henry Higgins haucht „Wo sind meine Pantoffeln“.  

 Und es gibt auch eine aufrichtige Arbeiterin mit sozialistischer Moral namens Ljusja (Christel Loetzsch), die  aber dann doch versucht, alle betroffenen und betrogenen Mieter zur Revolution gegen Sergej, den, die sozialistische Politik hier nicht gerade sonderlich aktiv vertretenden Chef-Funktionär (Matthias Henneberg) und den korrupten, stark im fremden Dialekt sprechenden, Hausverwalter Barabaschkin (Michael Kranebitter) bei der zufälligen „Einzugsparty“, bei der die verschiedenen Nationalitäten aneinander geraten – ein ernstes Problem der „sozialistischen Völkergemeinschaft“ – zu begeistern, was allerdings im Alkohol – auch einem  ernsthaften, typisch russischen, Problem – untergeht.

 Ein „Zaubergarten“ als utopischer Traum bringt schließlich die Lösung und die Wahrheit an den Tag. Er versöhnt (fast) alle Beteiligten und weist die, die Geschicke der Bewohner bestimmenden, Negativ-Helden in die Schranken. Zum Schluss ist „alles paletti“, Friede, Freude, … wofür auch der „Elvis-Verschnitt“ sorgt – natürlich aus Liebe.

 Die Inszenierung von Christine Mielitz, in Dresden keine Unbekannte („Lohengrin„, „Fidelio„) ist vor allem bunt und auch ein wenig schrill, viel Action und oft viele Personen, einschließlich Extrachor, Komparsen und 2 Balletttänzerinnen, die nur kurz etwas von ihrem tänzerischen Können zeigen können, gleichzeitig auf der relativ kleinen „Bühne“. Sie vermischt die 50er Jahre mit der Gegenwart. Durch die Kürzung auf 2 Std. ohne Pause (Dramaturgie: Christian Baier und Valeska Stern) und viel „Action“ wird die Handlung komprimiert. Die für die damalige Zeit typischen Erscheinungsformen und ihre Auswirkungen auf die menschlichen Charaktere, die in der sozialistischen Staatsform besondere „Blüten“ trieben, können sich nicht wirklich entfalten. Der bunte, oft mehr angedeutete als sich entwickelnde Handlungsablauf und seine Transponierung in die Gegenwart lassen die unterschwellige Gesellschaftskritik weitgehend nur noch aus dem, zum Glück einmal nicht in „Originalsprache“, sondern in der deutschen Fassung (Ulrike Patow) gesungenen, Text erkennen.

 Bühnenbild und Kostüme (Christian Rinke) schaffen eine bunte, fast revueartige Atmosphäre. Der Raum fungiert als Kinosaal, in dem zu Beginn Propaganda-Filmausschnitte (Video: Knut Geng) laufen, die einleitend die „ruhmreiche“ Geschichte der Sowjetunion einblenden. Der „Tanz“ der Glühlampen zuvor (oder sollen es Riesen-Glühwürmchen im naturbelassenen, noch unbebauten Gelände sein oder der, alles beobachtende, Geheimdienst?), der laufende Wasserhahn nach der Reparatur (damals typisch), die zerscherbelte Teekanne usw. sind nette Einfälle, die das Ganze auflockern. Die aus rotem Fahnentuch drapierte Deckendekoration gibt am Schluss den Blick auf die für die Plattenbausiedlung geopferte Natur in Form eines rudimentären Baumes frei, der zugleich wieder Hoffnung aufkommen lässt. Bauarbeiter, natürlich mit knallroten Helmen, die Umzugsfahrt im, von Sergej (Adam Frandsen) entwendeten, Chefauto mit den Bühnen-Darstellern als Film (nach dem Prinzip der „Laterna Magica“ in Prag) sind nette Einfälle. Für diejenigen aber, die diese Zeit miterleben mussten, sind sie sehr verharmlosend. Hier schwelt mehr unter der scheinbar heiteren Oberfläche. Und für diejenigen, die diese Zeit nicht kennengelernt haben, ist es eine harmlose Gaudi. Sie wundern sich vielleicht, dass über diesen „Zirkus“ noch immer so viel Aufhebens gemacht wird.  

 Für die Hauptdarsteller gibt es die typischen Kostüme, für den eitlen neureichen Funktionär – in der Maske als „Hilfs-Stalin“ zurechtgemacht – einen voluminösen, pelzverbrämten Mantel. Seine 4. Ehefrau Wawa, die „flotte „Kirsche“ ist als reizendes Modepüppchen mit modischem Mäntelchen und ebensolchen Stiefelchen zurechtgemacht, die biedere Ehe- und Hausfrau natürlich im schwarzen (sehr vorteilhaften Kleid). Der intellektuelle alte Herr erscheint vorwiegend in (dunklem) Weiß (so unschuldig ist er), der jugendlich kraftvolle „Durchreißer“ im „Elvis-Outfit“ und die junge Arbeiterin mit sozialistischer Moral natürlich im roten, aber sehr modischen Overall (manches geht scheinbar doch nicht so ganz auf).

 Die Kostüme für den „Rest“ sind eigenwillig farbig und erinnern mit ihren aufgenähten andersfarbigen, verfremdenden Teilen an Zirkus. Man leistete sich sogar bunte, kunstseiden glänzende, Perücken, eine – natürlich rote  – Ponyfrisur für die Handwerkerin (passt gut zum roten Overall), lange gelbe Haare für die lebenslustige Wawa, eine schwarze Elvis-Tolle, blaue für … usw.   

 Die immer wieder gern beschworene Utopie vom neuen Menschen ging hier doppelt „unter“, nicht nur in der Handlung dieser „Operette“, die hier nicht wirklich eine solche war. Die Zugeständnisse an die modernen Inszenierungs-Prinzipien verfehlten hier selbst bei einer Chrisine Mielitz, die, wie schon oft bewiesen, auch ganz anders kann, ihre Wirkung. Man ist es langsam müde, immer wieder die gleichen Elemente, neu gemischt, zu erleben. Immerhin hat die Mielitz aber weitgehend mit dem Stück inszeniert und nicht dagegen.

 

Ingrid Gerk

 

 

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