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DRESDEN/Frauenkirche: BACH-MOTETTEN EINMAL ANDERS

Dresden/Frauenkirche: BACH-MOTETTEN EINMAL ANDERS – 26. 04. 2014

 Das äußerst vielseitige, mehrfach ausgezeichnete, 1992 von 5 ehemaligen Mitgliedern des Leipziger Thomanerchores gegründete und weltweit gefragte Vokalensemble amarcord, dessen Repertoire von der Renaissance über die europäische Romantik bis ins 20. Jh. reicht, von strenger Satztechnik, über Volkslied-Arrangements bis zu Rock, Pop, Soul und Jazz – was zu seiner großen Popularität nicht nur in Mitteldeutschland geführt hat -, und das 1997 das Internationale Festival für Volksmusik „a capella“ ins Leben gerufen hat, machte neugierig auf ein reines Bach-Programm. Wolfgang Katschner, Spezialist für Alte Musik, Lautenist, Dirigent und Forscher, präsentierte mit diesen 5 Herren, 1 weiteren Sänger und 3 Sängerinnen sowie seinem Instrumentalensemble für Alte Musik, der 1984 von ihm gegründeten Lautten Comgagney Berlin, ein Konzert besonderer Prägung, bei dem die bekannten 6 Motetten von J. S. Bach in einem sehr anregenden, unkonventionellen Arrangement von Singstimmen und alten Instrumenten erklangen.

 Diese kleinen, anspruchsvollen Kompositionen, die vermutlich für das Begräbnis honorer Persönlichkeiten komponiert und a capella auf dem Weg zu deren Grablegung gesungenen wurden, wurden hier instrumental begleitet und durch reine Instrumentalsätze („Sinfonias„) aus Bachs Kantaten (BWV 131, 42 und 28) ergänzt und ohne große Pausen bzw. attacca in einem sehr abwechslungs- und spannungsreichen Arrangement sinnvoll zu einem Gesamtkomplex verbunden. Mit ansteckender Spielfreude übersetzten die engagierten Musiker die Musiksprache der Barockzeit in sehr ansprechender Weise ins Hier und Heute, ohne die Musik zu entfremden – ganz im Gegensatz zu gewissen Jazzmusikern, die mit ihrer „freien Improvisation“ die wenigen, von ihnen verwendeten Bach-Zitate „untergehen“ lassen. Hier wurde lediglich die Wahl der begleitenden Instrumente sehr abwechslungsreich variiert, mitunter sogar innerhalb einer Motette von Abschnitt zu Abschnitt.

 Dadurch wurde nicht nur ein – für den modernen Hörer – gewisses „Gleichmaß“ der Motetten aufgelockert, sondern auch der ungewöhnlich „spröde“ Klang der einfach besetzten, rein instrumental geführten, sehr sicheren, auch sehr stilsicheren, sich untereinander gut abstimmenden, aber (meist) ungewöhnlich gutturalen Singstimmen (besonders des durchdringenden Soprans) kompensiert und ein interessantes Klangerlebnis erreicht.

 Bachs Musik ist so universell, dass sie ihre Wirkung nie verfehlt, ob in historischer oder historisierender, akademisch akribischer, gegenwartsbezogener oder experimenteller Aufführungspraxis, mit altem oder modernem Instrumentarium, vokal oder instrumental oder gemischt.

 Hier stand die Aufführungspraxis der Barockzeit im Vordergrund, ein Verschmelzen der vokalen und instrumentalen Stimmen, das am Schluss des Konzertes mit der Motette „Singet dem Herrn ein neues Lied“ und der Zugabe „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn“ seinen überzeugenden Höhepunkt fand. Die zunächst sehr dezent begleitenden, mitunter einzelnen, nacheinander wie bei einer Improvisation einsetzenden, alten Instrumente steigerten unauffällig immer mehr die Klangfülle. Hier kam es zu einer völligen Übereinstimmung zwischen den instrumental geführten Singstimmen des (kleinen) Chores und der Instrumente in wechselseitiger Beziehung. Die anfangs sehr lebhaften, trotz aller Stilsicherheit aber ziemlich hart wirkenden, Singstimmen waren „geglättet“. Ihr relativ ungewohnter Klang hatte sich an den Klang der Instrumente angeglichen, so dass der Gesamtklang äußerst homogen und ausgeglichen wirkte. Hier wurde die Aufführungspraxis der Barockzeit stimmig mit dem Empfinden unserer Zeit verbunden, Altes und Neues in einer Symbiose vereint, die nicht jedem Ensemble so überzeugend gelingt, das auf „Crossover“ orientiert.

 Die stilerfahrene Lautten Comgagney, eines der renommiertesten und kreativsten deutschen Barockensembles beeindruckte schon mit den ersten Tönen durch den weichen, milden Klang der alten Instrumente, ganz besonders aber mit der „Sinfonia“ aus der Bach-Kantate BWV 28.

 Katschner hatte das richtige Gespür für ein optimales Tempo und inspirierte mit seinem mitreißenden Temperament alle Ausführenden. Er war der Spiritus rector, der dafür sorgte, dass alles perfekt aufeinander eingestimmt und abgestimmt war. Er schien sich ganz in die geistige Welt des Barock zu vertiefen, um sie in die Gegenwart herüberzuholen, eine Brücke vom 18. ins 21. Jahrhundert zu schlagen.

 Es war ein sehr gelungenes Konzert auf der Suche nach neuen Wegen, das genreübergreifend, die zu Gebote stehenden Mittel und Möglichkeiten geschickt nutzte, um nicht nur formell zu experimentieren, sondern vor allem den geistigen Gehalt der Bachschen Musik lebendig werden zu lassen, die Musik der Vergangenheit zu beleben und damit sehr viele Zuhörer emotional zu erreichen.

 Ingrid Gerk

 

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