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LEIPZIG/Gewandhaus; J.S.BACHS „WEIHNACHTSORATORIUM“ im Sommer

Leipzig/Gewandhaus: J. S. BACHS „WEIHNACHTSORATORIUM“ – IM SOMMER? 16.6.2013

 Warum nicht? DasLeipziger Bachfest macht‘s möglich. Schließlich gehören alle großen Werke Bachs zu einem umfassenden, 10tätigen Programm (14.-23.6.). Mochte man anfangs bei dem schönen Sommerwetter skeptisch sein, weil dieses Werk zu Recht – selbst unbewusst- mit der Weihnachtszeit in Verbindung gebracht wird, für die es Bach als Beginn einer groß angelegten Konzeption für das Kirchenjahr gedacht hat,gefolgt von „Osteroratorium“, „Himmelsfahrtsoratorium“ und „Pfingstoratorium“ (?), am Ende war man
einfach fasziniert.

Schließlich stand einer der besten Interpreten Alter Musik, der weltbekannte Dirigent und Cembalist, Trevor Pinnock, am Pult
einer Auswahl der besten Musiker des Gewandhausorchesters Leipzig und des hervorragenden Tenebrae Choir aus England, der, ebenso hervorragend einstudiert von seinem Gründer Nigel Short, mit seinem außergewöhnlich guten Chorklang, stimmlicher Kraft und spürbarer Musizierfreude, aber auchhoher Sensibilität trotz relativ kleiner Besetzung die Klangfülle eines großen Chores mit intelligenter Diktion und Farbigkeit bot. Hier verband Pinnock sein hervorragendes Cembalospiel mit dem Dirigieren und leitete die Aufführung stilgerecht vom Cembalo aus.

 Bis auf die anfänglich etwas zu derben Paukenschläge, die jetzt allerdings im Gegensatz zu den früheren geheimnis- und verheißungsvollen, allgemein üblich sind, bildetendie Gewandhausmusiker mit ihren sehr sauberen, klaren Trompeten, schönen Oboen und Flöten und guten Streichern, von denen besonders die beiden sehr guten, die Arien begleitenden, Sologeiger zu erwähnen sind, das zuverlässige und kontinuierliche Fundament und einen beachtlichen Teil der Gesamtwirkung der Aufführung, bei der im weiteren der Paukist sehr feine, einfühlsame Akzente setzte und dezent die Gesamtwirkung unterstrich.

 Die vier Solisten, alle erfahrene Oratoriensänger widmeten sich mit Hingabe und Verantwortungsbewusstsein
den Rezitativen und Arien mit ihren reichen Verzierungen und „Extras“. Malin Christensson verlieh der
Aufführung mit der Sopranpartie ein liebliches Strahlen. Marie-Claude Chappuis erfüllte mit ihrer leicht dunkel gefärbten,
kraftvollen Stimme sehr zuverlässig die Rolle der betrachtenden menschlichen Seele, die Bach der Altpartie zugedacht hat, und Johannes Weiser gestaltete mit seiner wohltönenden Stimme eindrucksvoll die Basspartie. Trotz unterschiedlicher Timbres harmonierten Duette und Schlussquartett nicht nur, es entstand eine gewisse Frische und Vielseitigkeit.

 Wesentlichen Anteil an dem überaus positiven Gesamteindruck der Aufführung hatte Daniel Johannsen mit der Partie des Evangelisten, in die viel Seele und Engagement hineinlegte, wobei er sich mit seiner flexiblen Stimme ohne Probleme in Höhe oder Tiefe und mit ausgezeichneter Artikulation ganz dem „Erzählen“ der biblischen Geschichte, die den verbindenden Rahmen um Rezitative, Arien, Chöre und Choräle bildet, aber auch der ausdrucksvollen Gestaltung der Tenor-Arien widmen konnte.

 Generell fiel bei allen Solisten und auch beim Chor eine gute Textverständlichkeit auf, die leider nicht mehr selbstverständlich ist.

 Es war eine tief beeindruckende Aufführung aller 6 Kantaten an einem Abend, voller Frische und Vielfalt. Trotz der Dauer von über 3 Stunden ließ die Spannung keine Sekunde nach, im Gegenteil, es gab eine ständige Seigerung der Ausdrucksintensität bis zum Schluss. Trevor Pinnock bündelte geschickt alle Kräfte zu einer wunderbaren Einheit, inspirierte die Ausführenden und ließ keine Wünsche offen, um die gesamte Aufführung zu einem großartigen Erlebnis werden zu lassen.

 Man könnte die sommerliche Aufführung auch damit begründen, dass Bach doch in dem bekannten Parodieverfahren „Anleihen“ bei seinen eigenen, sehr weltlichen Kantaten, einer Geburtstags- und einer Jagdkantate für den Dresdner Hof, genommen hat, aber Bach wäre nicht Bach, wenn er nicht, abgesehen von den ganz anderen Texten, sehr feinsinnig seine Musik angepasst und entsprechend überhöht hätte. Man sollte nicht davon ausgehen, dass wir jetzt alle seine Werke dank Noten und diversen Tonträgern kennen. Was wussten denn die Leipziger Bürger von der Musik, die am Dresdner Hof, zu dem sie ohnehin keinen Zugang hatten, gespielt wurde?

 Diese Aufführung war so intensiv, dass sie auch zur Weihnachtszeit beeindrucken kann. Der Hörfunk (mdr Figaro) hat das Konzert mitgeschnitten und wird es zu Weihnachten 2013 übertragen.

 Ingrid Gerk

 

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