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DRESDEN/ UFA Kristallpalast: „ROMEO UND JULIA – PROKOFJEWS BALLETT aus dem Bolschoi Theater

09.03.2015 | Allgemein, Ballett/Tanz

Dresden/Ufa Kristallpalast: Aufzeichnung aus dem Moskauer Bolschoi Theater: PROKOFJEWS BALLETT: „ROMEO UND JULIA“ – 8.3.2015

 

Es muss nicht immer eine Live-Übertragung sein, eine Aufzeichnung wie die des „Romeo-und-Julia“-Balletts von Sergej Prokofjew (vom 12.5.2013), ein Revival der ersten Produktion von 1978 in HD-Qualität, glasklarem 5.1 Surround-Sound und einwandfreier akustischer Übertragung im Dresdner Ufa Kristallpalast stand einer Live-Übertragung nicht nach, höchstens, dass der prickelnde „Kick“ wegen möglicher „Pannen“ oder Tagesformen fehlte, denn es kann nachgebessert werden, aber darauf kommt es nicht an.

 Es war eine perfekte Aufführung mit traditionsgemäß sehr hoher russischer Tanzkunst in der atemberaubenden Choreografie von Juri Grigorowitsch, bei der William Shakespeares zeitlose Geschichte aus dem Jahre 1595 unverfälscht umgesetzt wird. Hier wurde klassischer Tanz mit all seinen Elementen (Spitze, Pas des deux, Pirouetten, Hebefiguren, Spagat) mit anderen Stilrichtungen wie Ausdruckstanz und romantischen Formationen (Scheintod der Julia) über die szenische Darstellung von Visionen bis hin zu naturalistischen Elementen nahtlos verbunden und durch neue Ideen und ausdrucksstarke Passagen – wie die Sterbeszenen von Mercutio und Tybalt – erweitert, um ihn in die Gegenwart zu holen. In besagten Sterbeszenen bäumen sich die im Zweikampf tödlich Verletzten in ihrem langsamen, langen und ausdrucksstarken Todeskampf immer wieder auf, Mercutio, dem sein Versöhnungswille immer wieder kurzzeitig neue Lebenskraft gibt, um den versöhnenden Kontakt zu suchen, und Tybalt, der als brutaler Hasser und Kämpfer immer weiterkämpfen und Rache üben will. Hier wurden gute Theatererfahrungen aus Tradition und Vergangenheit positiv genutzt und sinnvoll weiterentwickelt.

 Gleiches gilt auch für die optisch sehr wirksame Bühnengestaltung, bei der nichts Überflüssiges die Bühne füllt, aber jeder Handlungsort, jede Situation mit einigen wenigen, gut gestalteten Requisiten eindeutig nachgebildet wird. Choreografie und Bühne verbinden in geschickter Balance die besten Elemente der Tradition mit zeitgemäßen Ansprüchen und den Besonderheiten der Situation in Russland, bei der die verschiedensten Ansprüche und Geschmacksrichtungen der sehr unterschiedlich sozialisierten Bevölkerungsschichten berücksichtigt werden sollen.

 Die in zwei „Aktions“-Flächen unterteilte Bühne – eine freie Vorderbühne für die „Massenszenen“ (u. a. Kampf der Clans der beiden verfeindeten Adelshäuser oder die Festgesellschaft für Julias geplante Hochzeit) und eine leicht erhöhte „Hinterbühne“, von der einige wenige Stufen auf die Vorderbühne führen und auf der die wichtigen Handlungselemente stattfinden. Eine „luxuriöse“, sehr theaterwirksame Vorhangdrapierung im Hintergrund, durch die die „Türme von Verona“ lugen, deuten die Stadt der Handlung an, wenige dekorative und gut gestaltete, aussagefähige Einzelstücke wie ein schlichtes Bett und später Totenbett, ein Kruzifix usw. die spezielle Situation, ergänzt durch ein geschicktes Verfahren der Kulissen auf offener Bühne, die gleichzeitig die Sicht des Betrachters auf die jeweilige neue Handlungssituation einstimmt. Die Theatertechnik, ob einfach oder Hightech bietet sehr vielfältige Möglichkeiten für eine Inszenierung, wird aber meist nur selten genutzt. Hier war sie sehr sinnvoll eingesetzt, ohne vordergründig zu wirken. Hier war große Theaterkunst noch lebendig und wurde modern „aufgemischt“ und umgesetzt.

 Die einzelnen Rollen waren durchweg gut und vor allem charakteristisch durch versierte Tänzer besetzt, die mit exakt ausgeführten klassischen Tanzfiguren und ausdrucksvolle Bewegungen beeindruckten. Mihkail Lobukhin (Tybalt) bestach durch sehr hohe, weite Sprünge und kraftvolle Bewegungen. Er verkörperte in dieser Version das Böse, Aggressive, Unversöhnliche, Alexander Volchkok hingegen einen liebenden Romeo mit geschmeidigen Bewegungen und viel Ausdruck in den einzelnen Posen. Anna Nikulina war eine zarte, mädchenhafte Julia mit ausdrucksvollem Gesicht und äußerst agilen und grazilen Bewegungen, die jugendliche Schüchternheit und große Gefühle ausdrückten. In ungewöhnlich schnell wechselnder Schrittfolge ihrer feingliedrigen Füße auf Spitze schwebte sie über die Bühne wie nicht von dieser Welt mit der ganzen Anmut eines jungen Mädchens, das die Welt und vor allem die Liebe kennenlernt.

 Alle Nebenrollen waren charakteristisch und mit sehr guten Tänzern oder Charakterdarstellern mit Balletterfahrung besetzt. Sehr gute Einzelleistungen brachten viele – im Begleitblatt ungenannte – Tänzer auf die Bühne, wie der des Mercutio, des Prinzen Paris oder der junge Tänzer des Narren, der geschickt, fast obszön, aber sehr humorvoll mit exakter Körperhaltung und straffen Bewegungen die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, oder die glaubhaften Charakterdarsteller wie die Amme, Julias Eltern, der Priester usw. und nicht zuletzt das Bolschoi Corps de Ballet.

 Die Kostüme waren weniger prunkvoll und aufwändig als in alten Inszenierungen, aber sehr wirkungsvoll. Sie vermittelten durchaus die Vorstellung farbenfreudiger Renaissance-Kostüme, und waren stilgerecht – wie auf alten Gemälden – „hingezaubert“.

 Die musikalische Leitung lag in den Händen von Andrej Anikhanow, unter dessen Leitung das sehr exakt musizierende Bolschoi Theater Orchester Prokofjews Musik in ihrer Melodik und ihren großartigen rhythmischen Variationen in schöner Weise zur Geltung brachte. Es war eine Einheit zwischen Tanzenden und Orchester. Man konnte sich zu Prokofjews Musik keine ausdrucksstärkere Umsetzung als Tanzhandlung vorstellen und zu dieser Choreografie keine andere Musik.

 

Ingrid Gerk

 

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