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DRESDEN/Staatsoperette: POLNISCHE HOCHZEIT von Joseph Beer (Deutsche Erstaufführung)

25.04.2023 | Allgemein, Operette/Musical

Dresden/Staatsoperette:  „POLNISCHE HOCHZEIT“ VON JOSEPH BEER ALS DEUTSCHE ERSTAUFFÜHRUNG – 23.4.2023

 Seit einigen Jahren rückt der österreichische Operettenkomponist Joseph Beer (1908-1987) wieder mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Während seine Operette „Polnische Hochzeit“, sein Erfolgsstück und Höhepunkt seiner Karriere, nach ihrer Uraufführung 1937 am Zürcher Opernhaus wegen der jüdischen Abstammung des Komponisten im deutschsprachigen Raum nicht gespielt werden durfte und in Vergessenheit geriet, hielt sie sich in Skandinavien bis zu Beers Tod im Operettenrepertoire. Die österreichische Erstaufführung dieser Operette in drei Akten und einem Prolog mit einem Libretto von Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald fand nach mehr als 75 Jahren beim Wiener Operettensommer 2012 statt, 2018 folgte die Oper Graz mit einer Neuinszenierung.

Ihre deutsche Erstaufführung erlebte die Operette jetzt (22.4.2023) an der Staatsoperette Dresden, eine Wiederentdeckung, die sich unbedingt lohnt. Es ist eine Operette nach klassischem Zuschnitt, vielleicht die letzte bedeutende dieser Art, das rauschende Ende einer sinnenfreudigen Ära, komponiert am „Vorabend“ des österreichischen „Anschlusses“ an Nazideutschland. Die Musik ist ein gekonnter Mix aus „Polonaise, Puccini und Paul Abraham“ mit schwermütigen und romantischen Liedern und Duetten, Melodramen, folkloristischen Chorszenen und schmissigen Foxtrott-Nummern sowie Anklängen an den Jazz, der gerade in den Operetten jener Zeit besonders erfolgreich war und auch jetzt die Musik auffrischt. Die Gesangstexte sind witzig und mit zündenden Pointen, die immer noch ankommen.

Die Handlung lebt unter anderem vom Klischee der polnischen Eigentümlichkeiten bei temperamentvollen Feiern mit Tanz und Gesang, der üblichen verwickelten Handlung und einem politischen Hintergrund: Freiheitskämpfer Boleslav will nach langen Jahren des Exils inkognito in den Teil Polens zurück, der von Russland kontrolliert wird, um sein Erbe anzutreten und seine Jugendliebe Jadja wiederzusehen. Mit eines Nächsten Hilfe – welch ein Zufall ! – und gefälschtem Pass kommt er auch glücklich über die Grenze. Sein Erbe wird jedoch von seinem reichen, heiratswütigen Onkel, Graf Staschek, verwaltet. Der will es natürlich nicht herausgeben, genau so wenig, wie er auf Jadja verzichten will, die er als seine sechste Ehefrau auserkoren hat, was ihrem Vater, Mietek Oginsky, sehr Recht wäre,  denn sein Hof ist Pleite.

Jadjas Freundin Suza, genannt die „Wildkatze“, eine emanzipierte junge Frau, die als ausgekochte Gutsverwalterin (hier: Buchhalterin) die Geschäfte des ruinösen Hofes von Oginsky mit noch einigem Erfolg führt, führt auch das Geschehen in eine turbulente Verwechslungskomödie, verhilft selbstlos und mit großem Herzen dem Liebespaar Boleslav und Jadja zur Flucht, schlüpft selbst unter den Brautschleier, um anschließend (à la „Schweigsame Frau“ bei Richard Strauss) ihrem frisch Angetrauten das Leben solange zur Hölle zu machen, bis er in alles einwilligt, und bringt schließlich das Ganze (wie ein „deus ex machina“) zu Friede, Freude und Happy end.

Wie jede klassische Operette sollte auch die „Polnische Hochzeit“ vor allem der Unterhaltung dienen, die Besucher auch in schlechten Zeitei mit Heiterkeit und Fröhlichkeit aufmuntern, ein bisschen Wehmut und Liebesschmerz vor politischem Hintergrund verbreiten, mit Verwicklungen die Handlung voranbringen und mit Happy end die Zuschauer zufrieden entlassen. Das waren die allgemeinen Erfolgsregeln der damaligen Zeit.

Regisseurin Julia Huebner gab der Operette eine kommentierende Klammer, um die politische Seite hervorzuheben und in die Gegenwart zu ziehen, die dunklen Untertöne von Vertreibung und Heimatlosigkeit – ein Schicksal, das auch den Komponisten und seine Librettisten ereilte – zu betonen.

Die Bühne bleibt zu Beginn sehr lange sehr dunkel. Dann erhebt sich eine Stimme. Sie gehört zu Herbert G. Adami als neu hinzugefügtem altem Boleslav, der am Bühnenrand sitzt und – leider sehr undeutlich – über die bedrückende Lage von Flucht und Heimatlosigkeit, seine Erinnerungen und Empfindungen sinniert. Man hätte ihn gern besser verstanden, wenn er besser artikuliert, deutlicher gesprochen oder wenigstens ein Mikro verwendet hätte oder der Text zusätzlich als Einblendung erschienen wäre. So konnte man vieles mehr vermuten als erfahren und auch am Schluss seinem Kommentar nur bruchstückhaft folgen. Apropos Texteinblendungen: es wäre sehr zweckmäßig auch die, zwischen den Musiknummern gesprochenen, Texte nicht nur englisch, sondern auch deutsch einzublenden, da oft ziemlich unverständlich gesprochen wird.

Mit einem gewaltigen Paukenschlag setzte die Musik ein, der Vorhang gab die Bühne frei, zunächst mit zwei großen Grenzpfosten und tief herabhängenden Scheinwerfern, eine beklemmende Atmosphäre für einen riskanten Grenzübertritt Boleslavs als Synonym für viele. Danach herrscht viel Trubel. Aus der ländlichen Gegend mit Gutshof wurde bei Esther Dandani mehr eine Bühne für Unterhaltungskunst mit ausgelassenen Varietébildern, Folklore, Tanz und Ballett und dazwischen Szenen mit naiv sprechenden und agierenden Personen. Die Regisseurin bedient sich bei ihrer Lesart im Wesentlichen der jetzt üblichen Regie-Elemente, aber sie erzählt wenigstens die Handlung, wenn auch oft plakativ und mehr angedeutet als mit Herzblut. Das zahlreich erschienene ältere Publikum, erfreulich aber auch viel jüngeres, war dankbar dafür. Es fehlte lediglich etwas mehr Schwung und Begeisterung bei der Realisierung.

Dominierendes Bauteil auf der Bühne sind halbrunde „Arkaden“, die ein wenig auch an einen sowjetischen Triumphbogen erinnern und durch Drehung als Tor zum Aus- und Eingang in den besagten Teil Polens fungieren oder auch als Laubengang für verliebte Paare im Mondschein.

Für den Mode-Mix aus der üblichen Alltagsbekleidung und an polnische Nationaltrachten angelehnte Kostüme zeichnet Dinah Ehm verantwortlich und scheint dabei auch die 1950er Jahre im Ostblock im Blick gehabt zu haben – ohne ersichtlichen Bezug zum Stück.

Die Musikalische Leitung lag bei Chefdirigent Johannes Pell in den besten Händen. Er leitete das Orchester der Staatsoperette Dresden sehr umsichtig und ließ die Musik, die nicht nur schmeichelt, sondern auch ins Blut geht und durch vielfältige Abwechslung die jeweilige Situation illustriert, in ihrer Vielseitigkeit temperamentvoll und klangschön aufblühen, gab den Sängerinnen und Sängern ein sicheres Fundament zu ihrer Entfaltung. und trug wesentlich zum Gelingen der Aufführung bei.

Sängerisch entfalteten sich bei der zweiten Aufführung nach der Premiere die beiden Protagonisten der Handlung, Sieglinde Feldhofer, die ihre sehr ansprechende Stimme und ihr Spieltalent der Jadja lieh, und Matthias Koziorowski mit der schon fast opernhaften, am Stückbeginn dramatischen, Partie des Boleslav. Beide wurden den hohen Anforderungen ihrer Partie mit Bravour gerecht und ließen, darstellerisch von der Regie nicht sonderlich angeregt, sängerisch keine Wünsche offen. Mit ihren Gesangsnummern setzten sie die Akzente, die wesentlich dazu beitrugen, dass die Vorstellung vom Publikum begeistert gefeiert wurde.

 Elmar Andree verlegte sich als Graf Zagorski, von der Regie nicht gerade als Handlung beeinflussende Charakterrolle eines alten geschäftstüchtigen und auch heimtückischen Alten angelegt, auf die darstellerische Seite und aufs „Trinken“ mit Bryan Rotfuss als Oginsky. Nikolaus Nitzsche machte Figur nach Operettenart als Casimir. Dimitra Kalaitzi fiel mehr mit ihrem energischen Auftreten und Agieren als rothaarige „Wildkatze“ Suza auf, als durch ihrem Gesang mit einem gefährlich ungesunden Vibrato.

Mit der spritzigen Ballettnummer „Katzenaugen“ hatte das Ballett der Staatsoperette neben anderen Tanzeinlagen seinen großen Auftritt, bei dem es mit der sehr guten, bühnenwirksamen und zuverlässigen Choreografie von Jörn-Felix Alt gelang, echten Operettencharme ins Bild zu bringen, deutliche Schwächen der recht geradlinigen Regie zu überbrücken und mit Pep die mitunter biederen Szenen nach bewährter Operettenart aufzumischen.

 Chor und Kinderchor der Staatsoperette sangen in der Einstudierung von Thomas Runge sehr unterschiedlich die einfachen und temperamentvoll-volkstümlichen Nummern. Zuweilen eilten sie dem Dirigenten davon, aber Johannes Pell gelang es mit echtem Kapellmeistergeschick, alles wieder ins Lot zu bringen.

Allgemein wurde begrüßt, dass die Operette nicht auf den Kopf gestellt, sondern die Handlung nachvollziehbar erzählt wurde, nur hätte man sich seitens der Inszenierung noch mehr Schwung und zündende Ideen gewünscht, diese Operette hätte es mit ihren mitreißenden Melodien verdient. Dem Publikum hat’s aber gefallen.

Ingrid Gerk

 

 

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