Dresden/ Semperoper: „SALOME“ am 31.5.2012
Evelyne Herlitzius, Markus Marquardt. Foto: Semperoper
„Wie schön ist die Prinzessin Salome“, so leitet Wookyung Kim als Narraboth mit strahlend schöner Stimme die brisante Handlung um diese absonderliche junge Frau ein. Er nimmt auch jede kleinere Rolle – wie diese – sehr ernst und lotet sie in ihrer inhaltlichen Tiefe aus. Man hört jeden Ton und versteht jedes Wort und ist von dieser relativ kleinen Partie mehr angetan als von mancher größeren an diesem Abend.
Von den weiteren Bediensteten am Hofe des Herodes, Juden, Nazarener, Soldaten u. a. konnte Peter Lobert als Erster Soldat mit seiner kräftigen Stimme überzeugen. Die Sächsische Staatskapelle Dresden spielte so faszinierend, dass auch die weniger perfekten Sänger und Darsteller in die Handlung gut integriert wurden.
Und dann kam sie – die schöne Prinzessin Salome, großartig verkörpert von Evelyn Herlitzius. Sie ist nicht nur stimmlich stets präsent, sondern verfügt über eine enorme, scheinbar unerschöpfliche Kondition und kann sich immer noch erstaunlich steigern. Von anfänglich feineren, leiseren Tönen, bei denen ihre Stimme sehr an Klang gewann und auch die Worte verständlich waren, konnte sie sich bis zum grandiosen Finale ganz in diese Rolle der verwöhnten, weltfremden Prinzessin hineinsteigern, ein neugieriges junges Mädchen, das, dem Hofleben überdrüssig, etwas völlig Neues, Fremdes, Außergewöhnliches sucht, etwas, das sie noch nie gesehen und erlebt hat. Sie meint, es in dem völlig andersartigen Jochanaan zu finden. Da sie aber sein Leben und seine Lehre nicht versteht, nicht erfassen kann, setzt sie es um in das, was sie kennt, Liebe und Sinnlichkeit (oder was sie darunter versteht).
Markus Marquart hatte ihr als Jochanaan und konträrer Gegenspieler seine volle, dunkel gefärbte Stimme entgegenzusetzen, in der Mittellage weihevoll, in der Höhe manchmal etwas herb. Betont würdig vertritt er als Jochannan unbeirrt „seinen“ Glauben, der ihn letztendlich das Leben kostet. In der Inszenierung von Peter Mussbach, der, einschließlich Bühnenbild, offenbar auf komplementäre Umsetzung des Stoffes setzt und die Oper, die noch gar nicht so alt ist, unbedingt in der Jetztzeit ansiedeln „muss“, sitzt Jochanaan, statt finster und verschmutzt in der Zisterne zu schmachten, etwas schüchtern und gelangweilt im weißen Anzug am Swimming Pool des Palastes und findet zwischendurch auch schon mal mit Salome verliebt am Poolrand zusammen, aber Marquart hat genügend Ausdruck in der Stimme, um trotzdem glaubhaft als ein Mahner vor tauben Ohren zu erscheinen.
Beim „Schleiertanz“ zieht Salome nicht sich, sondern den zwischen Herrscher-Amibitionen und leichter geistiger Verwirrung machtlos pendelnden Herodes (Jürgen Müller) halb aus. Sie tanzt wie ein Püppchen in ihrem weißen Rüschen- und Spitzenkleid (Kostüme: Andrea Schmidt-Futterer), aber dennoch
mit einer gewissen Faszination und auch ein wenig erotischer Ausstrahlung, bis sie sehr bald von ihrer Mutter Herodias (Tichina Vaughn) zurückgedrängt und von der Bühne „gejagt“ wird. Die erotische Spannung ging in dieser Aufführung ganz vom Orchester aus in seiner ungewöhnlich intensiven, stark empfundenen Umsetzung der Musik, in einer äußerst feinsinnigen, unvergleichlichen Wiedergabe, unterstützt durch das Licht-Design von Alexander Kopplmann.
Trotz des „verhinderten“ Schleiertanzes, bei dem kein einziger Schleier fällt, hatte die Szene atemberaubende Wirkung. Die Kapelle war nicht nur während der gesamten Aufführung das perfekte musikalische Fundament, sondern brachte gerade diese Szene von rein orchestraler Seite auf allerhöchstes Niveau und
machte sie zum ureigensten Höhepunkt. Am Pult stand Tomas Netopil, der in einigen Szenen sehr viel Wert auf Lautstärke legte, was die Kapelle dann an den sinnentsprechenden Stellen auch befolgte.
Diese Aufführung lebte ganz von der Musik. So ausdrucksstark zwischen feinsinnig ausmusizierten Passagen und höchster Expressivität hört man die „Salome“ nicht allzu oft.
Alle Spannung ging vom Orchester und der enormen sängerischen Leistung von Evelyn Herlitzius aus und – nicht zuletzt – auch von Wookyung Kim, wenn auch in einer kleineren Rolle, aber so etwas vergisst man nicht.
Evelyn Herlitzius, die entsprechend der Regie am Ende noch zu Jochanaan unter das Leichentuch kriechen muss, gestaltete die letzte Szene stimmlich so dicht, dass sie „unter die Haut“ ging. Man wurde in den Strudel von Schauer und Schauder des exzessiven Gesanges einfach mit hineingezogen. Hier dachte man unwillkürlich an die Worte von Christel Goltz, die diese Sängerin – anlässlich der Verleihung des Kammersängertitels – zu ihrer Nachfolgerin als Salome „ernannte“.
Ingrid Gerk