Dresden / Semperoper: MATINEE: “DIE ZWANZIGER JAHRE VON A – Z“ – 24.02.2013
Von A wie Armstrong bis Z wie Zwölftontechnik reichte bei dieser Matinee die Palette der Musikrichtungen der „Goldenen Zwanziger“ und daneben noch allerlei „vermischter Stil“ und der letzte große Höhepunkt der Operette“.
In einer Matinee ließen 12 Sängerinnen und Sänger aus dem Ensemble und dem Jungen Ensemble der Semperoper diese „aufregende“ Zeit mit ihren sehr unterschiedlichen Strömungen und Möglichkeiten in ihrer persönlichen Art (mitunter auch in „abgeschwächter“ Form) wieder aufleben und spannten den Bogen thematisch vom Schlager über die beliebtesten Operetten-„Hits“ bis hin zu Song und Chanson, sehr charmant und geistreich kommentiert von Chefdramaturgin Nora Schmid. Hier kamen Experimentierlust und Lebensfreude, Humor und Nachdenklichkeit zum Ausdruck.
Den „würdigen Rahmen“ bildeten die „Comedian Harmonists„, d. h. ihre „Nachfolger“, 5 Herren der Semperoper: Allen Boxer vom Jungen Ensemble, Markus Butter, Gerald Hupach, Tilmann Rönnebeck und Aaron Pegram. Letzterer „ersetzte“ die einst dezent akzentuierte Tenorstimme, allerdings nicht ganz so geschmeidig und einfühlsam wie das frühere Original. Das Männerquintett begann mit „Das ist die Liebe der Matrosen“ und beschloss das breitgefächerte Programm mit einer optimistischen Beschwörung. „Veronika der Lenz ist da“ sangen sie, obwohl gerade an diesem Morgen die Stadt von beträchtlichen Schneemassen heimgesucht worden war.
Dazwischen lag ein bunter Reigen aus Kunstlied, Oper, Operette, Musical und Filmmusik. Mit dem „Schwung“ aus „Gesänge des Orients“ Op. 77, Nr. 2 von Richard Strauss, aber leider nicht gerade viel Schwung eröffnete Timothy Oliver die zahlreichen Gesangsnummern. Sehr niveauvoll führte dann aber Gerald Hupach diesen Ausflug in fernöstliche Gefilde mit einem Folkloristischen Potpourri von Ernst Krenek, die „Alpenbewohner“ aus dem „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ Op. 62 nach Europa zurück, wo Markus Butter mit „Wilkommen und Abschied“ Op. 29, Nr. 3 von Hans Pfitzner Goethes Text, gut artikulierend, Ausdruck verlieh und Roxana Incontrera mit der Arie „Arrière! Je réchauffe les bons“ aus der Oper „L’enfant et les sortilèges“ von Maurice Ravel mit gekonnt tänzerischen Gesten nach Frankreich entführte.
Zuvor aber brachte Angela Liebold mit viel Innigkeit und Empfindung den Gesang „In meine innige Nacht geh‘ ich ein“ aus „Drei Gesänge“ Op. 18, Nr. 1 von Erich Wolfgang Korngold, der vor allem durch seine Oper „Die tote Stadt“ bekannt wurde, zu Gehör. Aus eben dieser Oper sang dann M. Butter mit Engagement das bekannte Tanzlied Pierrots „Mein Sehnen, mein Wähnen„, und Ute Selbig gestaltete mit Mariettas berühmtem Lied „Glück, das mir verblieb“ durch ihre außergewöhnlich schöne Stimme, die durch ausgezeichnete Technik und innere Anteilnahme allem, was sie singt, Glanz verleiht, einen ersten Höhepunkt, dem ein Ausflug in das „Silberne Zeitalter“ der klassischen Operette, dem letzten großen Höhepunkt dieses Genres folgte, wo noch einmal „unverwüstliche Ohrwürmer“ entstanden.
Simeon Esper beteuerte „Ich küsse ihre Hand Madame“ von Ralph Erwin, und R. Incontrera huldigte dem „Strahlenden Mond“ aus Künnekes „Vetter aus Dingsda„. Dann behauptete T. Oliver „Du bist die Welt für mich“ aus „Der singende Traum“ von Richard Tauber, der nicht nur der weltberühmte Sänger war, dessen Karriere in Dresden begann und der mit seiner Stimme vielen Operetten zum Welterfolg verhalf, sondern auch Komponist! Den Spuren des Sängers Tauber folgten dann G. Hupach sehr eindrucksvoll mit dessen speziellem „Hit“, dem „Wolgalied“ aus „Zarewitsch“ von Franz Lehár und A. Pegram mit „Dein ist mein ganzes Herz“ aus „Land des Lächelns“. Den besonderen Höhepunkt nicht nur des Operetten-Teils, sondern auch des gesamten Programmes setzte aber wieder Ute Selbig mit „Liebe, du Himmel auf Erden“ aus „Paganini“.
Schließlich konnten die Sängerinnen und Sänger bei Nummern aus diversen Musicals noch einmal zeigen, was noch so in ihnen steckt. A. Liebold schlug mit Kurt Weills „Surabaya-Johnny“ aus dem Musical „Happy End“ eine ganz andere Seite an, die unterschwellig aber auch die empfindsame, verletzliche Frau erkennen ließ. A. Boxer steuerte die viel strapazierte „Moritat von Mackie Messer“ bei und A. Pegram versuchte mit „Puttin‘ in the Ritz„, dem unvergleichlichen Fred Astaire mit schwingendem Stöckchen nachzueifern, wenn er auch nicht die Figur und die eleganten Bewegungen Astaires aufweisen konnte.
Als „echte“ Diva der „Goldenen Zwanziger“ mit reifer Stimme und einem leicht verrückten „gewissen Etwas“ trat Christel Lötzsch vom Jungen Ensemble in Marlene Dietrichs Fußstapfen mit dem Song „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt„, der der Dietrich damals zum Durchbruch verhalf, und mit „Wer wird denn weinen, wenn man auseinander geht“ von Hugo Hirsch, schien es als wäre sie gerade für dieses Genre geschaffen.
Den bekannten Song „Singing in the Rain“ von Nacio Herb Brown wandelte Esper „aus aktuellem Anlass“ witzig in „Singing in the Snow“ ab. „Someone to watch over me“ aus dem Musical „Oh Kay!“ von G. Gershwin und „I wanna be loved by you“ aus dem Musical „Good Boy“ von Harry Ruby & Herbert Stothart hatte sich Emily Duncan-Brown vom Jungen Ensemble ausgesucht und brachte es mit heller, klarer Stimme und revueartigen Bewegungen bei denen sie (nur äußerlich) bis „in die Knie ging“, zu Gehör.
Kleine Requisiten wie Schirm, weißer Frack des Pianisten, dezenter Federbusch bei den Damen usw. unterstrichen den heiter-gelösten Charakter der Matinee. Nicht immer gelangen die angedeuteten Nachahmungen der weltberühmten Originale ganz perfekt, da fehlte manchmal noch etwas mehr der „Impuls von innen“, aber sie erinnerten an diese „glanzvollen“ und doch auch problematischen Jahre des europäischen Kunst- und Gesellschaftslebens.
Um der bunten Palette noch eine ungewöhnliche Farbe hinzuzufügen, leitete Musical Director Johannes Wulff-Woesten einen besonderen A-capella-Sprechchor aus allen 12 Sängerinnen und Sängern, der aus der Suite „Gesprochene Musik“ von Ernst Toch die „Fuge aus der Geographie“ „sang“ bzw. sprach. Wulff-Woesten oblag auch der Löwenanteil der Klavierbegleitung, zuweilen unterstützt von der jungen Pianistin Keiko Iwabuchi, die das „Klavierstück“ Op. 33 a von Arnold Schönberg beisteuerte, um an die, zu dieser Zeit entstehende Zwölftonmusik zu erinnern, wobei sie sich sehr auf die technische Seite der Komposition konzentrierte.
Ingrid Gerk