Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

DRESDEN / Semperoper: „LIEBESERKLÄRUNGEN“ IM 2. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN

Dresden / Semperoper: „LIEBESERKLÄRUNGEN“ IM 2. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 30.10.2014

Anton__Wit_Credit_J.Multarzynski

Antoni Wit. Foto: Multarzynski

 Mit „Liebeserklärungen“ sehr unterschiedlicher Art im Programm, kehrte der polnische Dirigent Antoni Wit nach 42 Jahren „Abstinenz“ an das Pult der Sächsischen Staatskapelle Dresden zurück, wo er 1972 sein Debüt gab.

 Eine Liebeserklärung an den Genius Mozart brachte Olivier Messiaen mit seinem „Un sourire“ („Ein Lächeln“) zum Ausdruck, eine Hommage an Mozart in seiner ganz speziellen, individuellen Art, keine Zitate oder Anlehnung an Mozarts Kompositionsstil, sondern eine Art Seelenverwandtschaft, ein Lächeln mit dem Gedanken an Mozart und der genialen Leichtigkeit in seinen Werken, für Messiaen die scheinbare Überwindung der Erdenschwere in Zeiten von Schmerz, Entbehrung und Todesnähe.

 In ungewöhnlicher Orchesterbesetzung kontrastierten hier die leisen, schwebenden Streicher ohne Kontrabässe, d. h. für Messiaen ohne „Erdenschwere“, mit dreifach besetztem Holz, Piccoloflöte, Englischhorn, 4 Hörnern, 1 Trompete, Xylophon, Xylorimba, Röhrenglocken und Hängebecken als Synonym für die Stimmen der, sich zwischen Himmel und Erde bewegenden, Vögel. Die Musiker setzten ihr außergewöhnliches Können ein, dennoch blieb manches kaum schlüssig. Messiaen erschließt sich nicht so leicht wie Mozart, der für jeden etwas bringt. Bei dieser Interpretation konnte man nur schwerlich eine Verbindung zwischen den exzellent spielenden Streichern und den imitierten Vogelstimmen herstellen und Messiaens Gedankengängen nur mit Mühe folgen.

 Als Liebeserklärung an die Musik als „Sprache“ der stillen, unausgesprochenen Liebe und innersten Empfindungen, an Frédéric Chopin, an die Sächsische Staatskapelle und an das Publikum schien Rudolf Buchbinder Chopins „Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e Moll (op. 11) zu verstehen. In diesem Konzert sind – wie auch in Chopins 2. Klavierkonzert in f Moll – unwiderstehliche poetische Ausdruckskraft und Virtuosität miteinander eng verbunden. Die beiden Klavierkonzerte sind nicht vergleichbar den Klavierkonzerten anderer Komponisten von Bach bis Liszt oder Prokofjew.

 Hier geht es nicht vordergründig um Virtuosität und Brillanz, sondern um die innersten Gefühle und ungeahnten Geheimnisse eines ehrlich liebenden, jungen Komponisten, die er seinem Lieblingsinstrument, dem Klavier, anvertraut. Selbst die bewegten Sätze mit dem Temperament polnischer Tänze haben etwas von der Zartheit und Verletzlichkeit Chopins. Sie können deshalb nicht mit den üblichen Maßstäben gemessen werden. So, wie die Liebesromanze mit der jungen Sängerin Konstancja Gladkowska, die dem Konzert zugrunde liegt, ist das gesamte Konzert eine große Romanze in verschiedenen Stimmungen und Gedanken.

 Buchbinder verfügt über beides, Virtuosität und Sensibilität, stellte aber seine perfekte Virtuosität ganz in den Dienst dieses sensiblen Konzertes. Der Solopart, das Kernstück dieses empfindsamen Werkes lag bei ihm, dem ersten „Capell-Virtuosen der Sächsischen Staatskapelle“, der mit seinem Beethoven-Sonaten-Zyklus und dem Solopart in der „Burleske“ von Richard Strauss bei „Klassik Picknickt“ (Juli 2014) noch in bester Erinnerung ist, in den allerbesten Händen. Er verstand es, das Werk bei aller Virtuosität in seiner Sensibilität zu erfassen und auch so wiederzugeben.

 Bei seinem „perlenden“ Anschlag ist jeder Ton ein „Hörerlebnis“, aber sein Spiel lebt nicht nur vom Klang, sondern von einer geistigen Durchdringung, der man mühelos folgen kann und die jedes Werk, das er spielt, miterleben lässt. Man hätte sich sehr gut vorstellen können, dass er dieses Klavierkonzert – wie seinerzeit bei den Beethoven-Konzerten, mit denen er in Dresden für den erkrankten Welser-Möst eingesprungen war – auch ohne Dirigenten aufführen könnte, um sich noch individueller entfalten zu können.

 Eine ganz andere „Liebeserklärung“, eine an die polnische Nation und den großen instrumentalen Klangkörper der Warschauer Philharmonie, die nach Krieg und Holocaust ausgelöscht war und deren Wiedergeburt gefeiert werden sollte, schuf Witold Lutosławski, der Meister der polnischen Moderne, mit seinem „Konzert für Orchester“ (1954). Mit Anklängen an die traditionelle polnische Folklore sollte das zerrüttete polnische Nationalgefühl wieder gestärkt werden. Hier war Wit verständlicherweise ganz in seinem Element. Er legte das Orchesterwerk groß an, die Kapelle spielte mit vollem Einsatz und der ihr eigenen Gewissenhaftigkeit, doch fehlte irgendwie der „zündende Funke“, dominierte trotz aller Tragik und Ernsthaftigkeit der mehr unterhaltsame Charakter.

 Ingrid Gerk

 

 

 

Diese Seite drucken