Dresden / Semperoper: „LE NOZZE DI FIGARO“ 13. 10. 2013
„Verachtet mir“ den Mozart „nicht“, möchte man angesichts der, die Oper (beinahe ignorant) nur skizzierenden Inszenierung von David Mouchtar-Samorai sagen, die der ursprünglich sehr brisanten Oper die Brisanz nimmt und sie auf die reine, flüchtig ablaufende Handlung reduziert, verstärkt durch das simple Bühnenbild und die Alltagskostüme. Alles läuft so schnell ab, dass sich – mit einigen Ausnahmen – kaum eine Szene wirklich entfalten kann.
Es war die letzte Vorstellung dieser Spielzeit (oder die letzte überhaupt?). Inszenierung, Bühnenbild (Heinz Hauser) und Kostümen (Joachim Herzog) muss man nicht nachtrauern, aber der von Ute Selbig so wunderbar gesungenen und gestalteten Rolle der Contessa d’Almaviva umso mehr. Sie gibt dieser Oper ihre ursprüngliche Bedeutung zurück. Wenn sie die Bühne betritt – jede Bewegung eine junge, schöne, edelmütige Gräfin mit Gefühl und Mitgefühl für ihre Untergebenen – wird es plötzlich still im Zuschauerraum, so gebannt erwartet jeder etwas Großartiges, und er wird nicht enttäucht, im Gegenteil, es werden alle Erwartungen noch übertroffen. Ute Selbig erregt die Gemüter, ohne Sentimentalität, einfach durch schichte Größe und ihr, wie selbstverständlich wirkendes, großes Können. Wenn sie in der Verkleidungsszene aus Furcht vor dem Zorn des Grafen „kleinlaut“ haucht „Cherubino“ und seinen (damals anstößigen) Zustand eingesteht („… bloß die Arme …“), um den Grafen milder zu stimmen, ist jeder Ton und jede Silbe noch klar im großen Opernhaus zu vernehmen und berührt tief. Das ist große Opernkunst!
Sie singt nicht nur alle Arien ausdrucksstark, mit Gefühl und Hingabe und mit schöner, gut im Raum tragender Stimme, sehr deutlicher Artikulation, feinster Phrasierung und passenden Verzierungen. Sie verleiht auch jeder Ensembleszene „das gewisse Etwas“. In genau richtigem, wohldosiertem Mass setzt sie Glanzpunkte. Dann schwebt ihr schöner, klarer Sopran über den Stimmen aller Beteiligten, ohne zu vordergründig zu sein, und verbindet alles in idealer Weise zu einer großartigen Endembleszene. Allein die letzte große Arie der Gräfin wurde zur ganz großen Szene, die berührte.
Im Duett verbanden sich sehr schön die beiden Stimmen von Gräfin und Susanna alias Carolina Ullrich, die mit sehr hübscher, aber relativ kleiner Stimme, der Kammerzofe als Mädchen aus dem Volke stimmliche Anmut verlieh.
Dem Conte d’Almaviva lieh Zachary Nelson seine volle und auch klangvolle Stimme (wenn auch nicht immer mit dem Orchester ganz konform) und die Gestalt einer durchaus bestimmenden Persönlichkeit (soweit das in dieser Inszenierung möglich ist).
Von seinem Widersacher Figaro hatte er in dieser Besetzung nichts zu fürchten. Tomislav Lucic war ein eher zaghafter, denn aufmüpfiger Figaro. Er vermaß bereits am Beginn der Oper recht gemessenen Schrittes sein neues Zimmer und stand auch später nicht selten fast reglos da, wie ein wohlerzogener junger Mann, der noch keine wirkliche Bekanntschaft mit dem Leben gemacht hat, denn ein aggressiver Figaro. Seine Stimme mit angenehm klingender Mittellage, aber nicht gerade sicherer Höhe wirkt für die Semperoper nicht kräftig genug. Obwohl das Orchester nicht zu laut spielte, wurde er zuweilen „zugedeckt“. So wenig energisch wie er „Nun vergiss leises Flehen, …“ sang, war klar, warum hier Cherubino, mit wesentlich kräftigerer Stimme, von Gala El Haddi eher als Lausbub, denn als verzärtelter Page dargestellt, keinerlei Einschüchterung oder Hemmungen zeigt, was vom Kostüm ohnehin vorgegeben ist.
Eine elegante Erscheinung ist laut Regie und Kostüm hingegen die Marcellina, der Andrea Ihle Gestalt und gute Stimme verleiht, wobei ihr die Regie leider wenig Spielraum im wahrsten Sinne des Wortes gestattet.
Als ihr Partner traf Andrea Porta ziemlich echt den Charakter des Dr. Bartolo, der energisch den „Schurken“ Figaro zu Fall bringen will, aber doch nicht mit letzter Konsequenz kann. Da passte es zur Rolle, dass seine Stimme nicht in jedem Detail so wollte wie er. Als Don Curzio brachte Timothy Oliver ein sehr gewöhnungsbedürftiges Timbre ein, das nicht so recht zur Ensembleszene passen wollte.
Vom Jungen Ensemble wirkten mit: als nette Barbarina Norma Nahoun, die auch stimmlich überzeugte, Mert Süngü als Don Basilio und Julian Arsenault als kaum geeigneter Gärtner Antonio mit wenig Stimme und nicht gerade passenden Bewegungen. Selbst kleinere Rollen sollten stimmig besetzt sein, haben sie doch eine nicht unbedeutende Funktion im Handlungsablauf.
Beim Chor fielen am ehesten die schönen Frauenstimmen auf und die der beiden Mädchen, dargestellt von Kira Tabatschnik und vor allem der für diese Rolle prädestinierten Heike Liebmann.
Unter der Leitung von Josep Caballé-Domenech, der sehr auf die Sänger einging, spielte die Sächsische Staatskapelle Dresden zunächst leicht und locker, dann aber immer intensiver und beeindruckender und mit sehr viel Rücksicht auf die Sänger, so dass der Gesamteindruck der Aufführung trotz mancher Einschränkungen positiv war. Die Rezitative wurden sehr zuverläsig und mitgesaltend von Clemens Posselt am Hammerklavier begleitet.
Am Ende siegt immer Mozarts Musik. Wenn auch die auf „Sparflamme“ orientierte Regie nicht gerade dazu angetan ist, junge Sängerinnen und Sänger zu großen Leistungen anzuregen und einige, erst am Anfang stehende Sänger ihre Rolle noch nicht voll ausfüllen konnten, spendete das zahlreich erschienene Publikum viel Beifall, der wohl unbewusst auch Mozart und seiner Musik galt, die so geschickt und wirkungsvoll komponiert ist, dass sie ihre Wirkung nie verfehlt, selbst wenn manches noch zu wünschen übrig lässt.
Ingrid Gerk