Dresden/Semperoper: DIE „GOLDBERG-VARIATIONEN“ VON J. S. BACH MIT DEM DRESDNER STREICHTRIO IM 4. KAMMERABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 20.1.2023
In den „Kammerabenden“ der Sächsischen Staatskapelle Dresden treten die Musiker im Rahmen der orchestereigenen Kammermusik ohne Gage auf und haben Gelegenheit, einmal aus dem großen Orchester herauszutreten, Eigenes einzubringen und ihre solistischen Fähigkeiten zu präsentieren.
Dresdner Streich Trio
Der 4. Kammerabend gehörte ganz dem Dresdner StreichTrio, zu dem sich 1995 drei junge Musiker zusammenschlossen, um der im Schatten des Streichquartetts stehenden Gattung des Streichtrios zu neuer Blüte zu verhelfen, was ihnen par excellence auch gelang. Das Streichtrio avancierte zu einem der führenden internationalen Kammermusikensembles, gastiert bei renommierten Kammermusikfestivals auf etablierten Konzertpodien in Deutschland, Europa und Asien und erhält von Kritik und Fachpresse höchstes Lob, was bei diesem Kammerabend einmal mehr bestätigt werden konnte.
Zwei Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle, Jörg Faßmann (Stellvertreter, 1. Konzertmeister, Kammervirtuos), Violine, und Sebastian Herberg (Solobratscher, Kammervirtuos), Viola, sowie Michael Pfaender (1. Solocellist des MDR-Sinfonieorchesters), Violoncello, verführten das sehr zahlreich erschienene Publikum mit den „Goldberg-Variationen“ (BWV 988) von Johann Sebastian Bach in der, 1984 von dem Geiger und Dirigenten Dmitri Sitkovetsky geschaffenen Fassung für Streichtrio in eine besonders feinsinnige Klangwelt. Sitkovetsky verstand es, mit seiner Bearbeitung, die dem wenige Jahre zuvor verstorbenen Pianisten Glenn Gould gewidmet ist und 1985 anlässlich des 300. Geburtstages von J. S. Bach auf dem Musikfestival in Korsholm uraufgeführt wurde, das geniale Vartiationenwerk mit großem Einfühlungsvermögen für den modernen Hörer „aufzubereiten“. Das Dresdner StreichTrio setzte die geniale Mischung aus empfindsamer Barockmusik und klassischer Klarheit meisterhaft um.
Bach war ein Meister der Tasteninstrumente, sowohl hinsichtlich seiner Kompositionen, als auch als (sein eigener) Interpret. Seine Musik lässt sich aber auch variabel einsetzen und gut auf andere Instrumente übertragen. Er selbst hat seine Instrumentalwerke für unterschiedliche Aufführungszwecke für die verschiedensten Instrumente transcribiert, und so haben es auch nach ihm viele gewagt, seine Kompositionen zu interpretieren und zu bearbeiten. Man denke nur an Leopold Stokovski und seine großangelegte Bearbeitung der „Toccata & Fuge“ von Bach für großes Orchester.
Für die „Goldberg-Variationen“ gibt es die verschiedensten Interpretationen und Bearbeitungen, vom originalen Cembalo über Hammerklavier und modernes Piano bis hin zur Orgel, die alle – je nach Interpretation – ihren Reiz haben, aber Sitkowetskys Bearbeitung erschien bei der ausgezeichneten Wiedergabe durch das Dresdner StreichTrios besonders gut geeignet, dieses Werk vor allem auch Musikfreunden, die sich sonst kaum mit Musik der Barockzeit beschäftigen, nahezubringen.
Die äußerst feinsinnige Interpretation der drei, schon lange gemeinsam musizierenden Musiker, alle drei Meister ihrer Streichinstrumente, hob die klar herausgearbeiteten Feinheiten und kompositorischen Raffinessen dieses Variationenwerkes deutlich hervor. Sie verstanden es, die Zartheit des Cembaloklanges auf ihre Streichinstrumente zu übertragen und die feine Linienzeichnung in schönster Harmonie und Klarheit in einem ausgewogenen Miteinander mit fein differenziertem Ensembleklang, der kaum anderswo so zu finden sein dürfte, nachzuvollziehen.
Der Legende nach soll Bach die „Aria mit verschiedenen Veränderungen“ (wie auf dem Titelblatt zu lesen ist) für den russischen Gesandten am Dresdner Hof, Graf Keyserlingk, komponiert haben, seinem wichtigsten Mäzen, dessen Fürsprache er auch den Titel „Königlich Polnischer und Kursächsischer Hofcompositeur“ zu verdanken hatte. Da der Graf an Schlaflosigkeit litt, soll er sich dann die Nächte von seinem Hauscembalisten, Johann Gottlieb Goldberg, einem Schüler Bachs, mit Klaviermusik, speziell einigen „seiner“ Variationen, verkürzt haben. Auch wenn die Legende, die auf J. N. Forkel, den ersten Bach-Biographen, zurückgeht, der die Episode von Bachs Söhnen erfahren haben will, nicht ganz der Realität entsprechen kann, da besagter Goldberg zu der Zeit erst 13 Jahre alt war, klingt sie doch recht nett.
Mucksmäuschenstill, reglos und hoch konzentriert lauschten annähernd 1000 Besucher vieler Generationen von 18 bis 80 dicht an dicht im Parkett und bis zum 3. Rang hinauf wie gebannt auf jeden Ton, jede Phrase. Man hätte die berühmte Stecknadel zu Boden fallen hören können. Ohne äußerliche Effekte, ganz in die „Aria“ und ihre 30 Variationen vertieft, gestaltete das bestens eingespielte, intern perfekt abgestimmte, mit Barock und Klassik gleichermaßen vertraute Trio mit Hingabe jede einzelne Variation als kleine, feine Miniatur mit geschmeidigem Streicherklang, innerer Harmonie und schöner Homogenität zwischen Temperament und Feingefühl und behutsamer Dynamik.
Jede Variation hatte ihr eigenes Tempo, langsam, getragen oder rasch, und ihren eigenen Charakter, heiter, ernst, fast schwermütig und wieder fröhlich, gestrichen und gezupft, Legato und Pizzicato, bis zur Steigerung in dezenter Klangfülle, voller Farbigkeit und feinster Nuancen, melodisch und klangschön. Es war ein Hörgenuss, frisch und abwechslungsreich, voller interner Spannung – und keine Spur von etwa „trocken“ oder gar „langatmig“. Sitkovetskys Bearbeitung und die kongeniale Ausführung trafen genau den Nerv und Charakter der einzelnen Variationen und des Gesamtwerkes.
Eine Pause nach der 17. Variation zum Atemholen für Musiker und Zuhörer störte den geschlossenen Gesamteindruck nicht. Am Ende gab es auch eine kleine „Bedenkpause“ zum „Nachklingen“, bevor der Applaus „losbrach“, für den sich die drei Musiker mit der Wiederholung einer, in genialer Kombination von gezupft und gestrichen gespielten Variation als Zugabe bedankten.
Ingrid Gerk