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DRESDEN/ Semperoper: ELEKTRA. Premiere

20.01.2014 | KRITIKEN, Oper

Dresden / Semperoper: „ELEKTRA“ MIT STARBESETZUNG“ – 19.1.2014  Pr.

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Rene Pape, Evelyne Herlitzius. Foto: Matthias Creutziger

 Klytämnestra: Waltraut Meier, Elektra: Evelyn Herlitzius, Chrysothemis: Anne Schwanewilms und last but not least René Pape, der Dresdner mit Weltkarriere als Orest, im Orchestergraben die Sächsische Staatskappelle Dresden, am Pult: Christian Thielemann – eine traumhafte Konstellation mit dem für die Musik von Richard Strauss prädestinierten Orchester, dem idealen Dirigenten sowie hervorragender und vor allem stimmiger Besetzung der Hauptrollen. Was will man bei einer Neuproduktion der „Elektra“ mehr! Damit war eine Aufführung von höchster Qualität vorprogrammiert, ein  Paukenschlag zur  Eröffnung des Strauss-Jahres, bei dem die höchsten Erwartungen noch übertroffen wurden.

 Trotz der herausragenden Leistungen der Protagonisten sei hier die Sächsische Staatskapelle an erster Stelle genannt, die sich unter Thielemanns Leitung zur Höchstform entfaltete. Hier fand die Handlung nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem auch im Orchestergraben statt, so dass jene seltenen Momente entstehen konnten, die man zu Recht als die Sternstunden der Musik bezeichnet. Unter Thielemanns zwingend inspirierender Leitung harmonierten Sänger und Orchester nicht nur in schönster Weise. In wechselseitigen Beziehungen gingen Gesang und Orchesterklang ineinander über. Sie ergänzten und inspirierten sich gegenseitig. Die technische Perfektion war hier nur das Fundament, auf dem sich die geistige Welt dieses Seelendramas entfalten konnte, um u. a. die damals neuen Erkenntnisse der Psychoanalyse Siegmund Freuds in einer Oper zu gestalten. Ich muss gestehen, dass mir die inneren psychologischen Zusammenhänge dieser Oper noch nie so deutlich bewusst wurden wie in dieser Aufführung. Dem Publikum schien es ähnlich ergangen zu sein, denn es dankte am Schluss mit über 20minütigem Applaus.

 Hofmannsthal griff für die Tragödie eine bestimmte Phase der griechischen Mythologie mit ihrer Welt von Mord und Grausamkeiten heraus, ungeachtet der Vorgeschichte. Agamemnon hatte seine und Klytämnestras Tochter Iphigenie geopfert, um die Götter für seine glückliche Rückkehr aus dem Trojanischen Krieg günstig zu stimmen und Klytämmestra war auch erst seine Gattin nach einem Mord an seiner ersten Frau geworden. So ist die Frage von gut und Böse hier kaum zu beantworten.

Christian  Thielemann beschränkte sich nicht – wie andernorts oft üblich – auf Kraft und Lautstärke als Ausdruck der Expressivität, sondern nahm das Orchester mit großer Rücksicht auf die Sänger zurück, und arbeitete die besonderen Feinheiten heraus. Die Kapelle folgte ihm in jeder Phase und setzte seine Intentionen perfekt um. Dadurch gewannen Musik und Aussage an Intensität. Es wurden viele Passagen hörbar, die sonst im allgemeinen „Getöse“ untergehen. Hier wurde deutlich, dass die Oper auch wunderbare, gefühlsbetonte Musik enthält, die in exzessiven Szenen eine gewaltige Steigerung erfährt und dann bis an die Grenzen der Tonalität und Harmonie ausgereizt wird. Man denke nur an die wunderbare, emotional aufwühlende „Wiedererkennungsszene“ zwischen Elektra und Orest, die so feinsinnig nur sehr selten zu erleben ist. Bei dieser Aufführung wurde die höchste Ekstase durch sängerisches Können und nicht nur durch Lautstärke erreicht.

 Dem inneren Zwiespalt der Elektra verlieh Evelyn Herlitzius mit ihrer großen Stimme Gewicht und Glaubwürdigkeit. Es ist nicht alltäglich, die eigene Mutter zu ermorden. Das erfordert eine Bandbreite an Emotionen, die sie ausdrucksstark in Stimme und Gestik „über die Bühne brachte“. Vom ersten bis zum letzten Ton vollbrachte sie eine Meisterleistung an Kondition und Einfühlungsvermögen. Wie sie die innere Zerrissenheit der rachsüchtigen Tochter mit dem zur „fixen Idee“ gewordenen Gedanken der Blutrache an ihrer Mutter und deren Geliebten Aegisth darstellt, sucht ihres gleichen. Letztendlich stößt sie aber doch, wenn es um die Ausführung des Mordes geht, an die Grenzen ihres Frauseins, denn „eine Frau tut so etwas nicht!“. Als sie sich nach der Todesnachricht, die Orest selbst in Umlauf gesetzt hat, dennoch zu dem Mord entschließt, kommt Orest gerade noch im richtigen Moment, um dieses letzte Tabu nicht zu brechen. Evelyn Herlitzius trifft genau den richtigen Ton zwischen Ekstase und (wirklichem) Gesang und tanzt wie eine Mänade, wenn sie, dem Wahnsinn nahe, von Siegestänzen nach der vollbrachten Rache träumt.

 Den extremen Kontrast dazu bildete Anne Schwanewilms als ihre sanftere, in der traditionellen Rolle der Frau befangene Schwester Chrysothemis im roten Kleid der 50er Jahre (mit Petticoat), die von Kindern und Familie in Freiheit träumt. Sie beeindruckt durch die Schönheit ihrer Stimme und ihre äußerst sensible, feinnervige Art. Thielemann nahm das Orchester hier sehr zurück, damit ihre schöne, gefühlvolle Stimme, mit der sie so viel ausdrücken kann, voll zur Geltung kommen konnte, ohne dass das Geringste an instrumentaler Ausdruckskraft im Orchester verloren gegangen wäre.

 Eine Klyrämnestra, vor der alle zittern und die deutlich sichtbar vor ihrem eigenen Tod zittert, brachte Waltraud Meier auf die Bühne. Sie vertieft sich so in diese Rolle, dass sie davon selbst beeinträchtigt wird. Die Partie greift sie seelisch und mental an. Bei ihr müssen Gesang und Darstellung zusammen passen, „sonst kann man die Partie nicht singen“, bekennt sie. Sie lebt in dieser Rolle und leidet darin. Man fühlt sogar mit ihr, wenn sie vor Angst zittert, weil ihr Elektra den eigen Tod prophezeit hat. Ihre technische Perfektion ist nur das Fundament ihrer großen Ausdrucksfähigkeit. Sie spielt echt. Einziges störendes Element ist hier nur das „Kostüm“, das besser die Aussage der Rolle unterstützen sollte. Hier geht es um mehr als nur eine gepflegte, bürgerliche Erscheinung im kontrastreichen Gegenspiel mit ihrer Tochter in verschlissener „Glanzrobe“.

 Man leistete sich sogar den Luxus, Ute Selbig, eine hervorragenden Sängerin, die in letzter Zeit besonders als Donna Elvira („Don Giovanni„) und Contessa („Hochzeit des Figaro„) von sich reden machte, als Schleppträgerin zu besetzen (die in dieser Inszenierung gar keine Schleppe zu tragen hat, denn Klytemänestra erscheint im engen Kostümrock der 50er Jahre) – eine Luxusbesetzung für diese kleine Rolle, was für die Aufführung jedoch einen zusätzlichen Glanzpunkt bedeutete. Sie bewegte sich in der Schar der Bediensteten auf einsamer Höhe und machte mit den wenigen Sätzen, die sie mit ihrer schönen Stimme, klarer Diktion, hervorragender Textverständlichkeit, entsprechendem Ausdruck und Engagement sang und ihren ausdrucksvollen Gesten (wie in allen ihren Rollen) in den kurzen Auftritten die Bedeutung auch dieser „Neben“-Rollen deutlich, denn bei Hofmannthal ist jeder Satz wohlüberlegt und für die Handlung wichtig.

 Den männlichen Sängerdarstellern kommen in dieser frauendominierten Oper die kleineren Rollen zu, aber bei René Papes Orest hatte jedes Wort und jeder Ton Gewicht, unterstützt von seiner klangvollen Stimme. Dass er relativ unbeweglich dasteht, was man der Rolle anlasten kann, vergisst man, wenn er singt. Schließlich ist er doch der unsichere Orest, der sich seiner Pflicht als Rächer bewusst ist und doch Skrupel hat, die Bluttat auszuführen.

 Letztendlich kommt das dann auch durch Klytämnestras Schreie zum Ausdruck, wenn er zweimal zuschlagen muss für den ersehnten „Befreiungsschlag“, nach dem dann Chrysothemis im weißen (Braut-)Kleid erscheint, um sich ihren Lebenstraum zu erfüllen und Elektra frohlocken und tanzen will, aber zu schwach geworden ist und zu Boden sinkt. Vernünftigerweise wird die schreckliche Mordszene auch in dieser Inszenierung nur hinter den Kulissen, aber im Orchester sehr plastisch und psychologisch durchdacht „realisiert“.

 Gegen die Glanzleistungen der Hauptakteure hatten es die anderen Sängerinnen und Sänger nicht leicht. Frank van Aken war als Aegisth vor allem mit seinem Spiel als Fiesling überzeugend. Als Pfleger des Orest setzte Peter Lobert seine kraftvolle Stimme mit Durchsetzungsvermögen ein. Bei den Auftritten der Diener und Mägde kam man dann „auf den Boden der Realität“ zurück.

 Durch die fortwährende innere Spannung und die musikalischen Höchstleistungen gingen die 105 Minuten wie im Rausch vorüber – ein würdiger  Auftakt zu Beginn des Strauss-Jahres anlässlich des 150. Geburtstages von Richard Strauss, zu dem die Dresdner Oper eine besonders enge Beziehung hat. Schließlich wurden hier 9 seiner 15 Opern unter den Generalmusikdirektoren Ernst von Schuch, Fritz Busch und Karl Böhm uraufgeführt, „Elektra“ 1909. In Dresden sang u. a. auch Marianne Schech, deren 100. Geburtstag ebenfalls in diesem Jahr gedacht wird, die Chrysosthemis. Sie war bis 1951 Mitglied der Sächsischen Staatsoper und bis 1970 der Bayrischen Staatsoper München. Sie sang an allen großen Opernbühnen der Welt, u. a. in Wien, Paris, London, Barcelona, Lissabon, Rio de Janeiro, Brüssel, London, Hamburg, Stuttgart und San Francisco.

 Spielte die 1. Neuinszenierung der „Elektra“ in der wiedererrichteten Semperoper im Schwimmbad mit Sprungturm (Inszenierung: Ruth Berghaus), so stieg sie jetzt in der Inszenierung von Barbara Frey zum Flughafen auf. Auf den ersten Blick schien es ein simpler Palast zu sein. Viele Besucher hielten das Bühnenbild (Muriel Gerstner) für einen Justizpalast wegen einer Eule – Symbol der Weisheit und Sinnbild von Athen – und dem in großen Buchstaben über der Bühne prangenden Spruches „JUSTITIA FUNDAMENTUM REGNORUM“ („Die Gründung des Reiches der Gerechtigkeit“). Im Einführungsvortrag erfuhr man dann, dass es sich um einen nie fertiggestellten Flügel des Flughafens Berlin-Tempelhof im faschistischen Baustil handeln soll, der marode vor sich hindämmert. Barbara Frey kommt vom Schauspiel (zurzeit Intendantin des Schauspielhauses Zürich), stellte aber erfreulicherweise die Musik in den Vordergrund.

 Die Inszenierung ist weniger archaisch, aber nicht gegen die Oper inszeniert. Es gibt keine Rattenschwänze, keine Biogasanlage oder Affenplaneten, nur die üblichen Elemente wie große Wände mit Balkon, wenigstens 1 Stuhl (ohne den es offenbar immer noch nicht geht), 1 Podest, über das Aegisth stolpern kann, sowie die obligatorische Verkleinerung der Protagonisten, die hier als 2 kleine Kinder die Erinnerung Elektras an die Zeit, als sie ihren jüngeren Bruder Orest zum letzten Mal sah, eingesetzt wird. Statt Fackeln leuchtet Elektra mit einer auf der grooßen Bühne fast verschwindenden kleinen Taschenlampe! Die Inszenierung ist relativ schlicht und stört weder Musik noch Handlung, was heutzutage schon sehr viel ist. Einziges störendes Element sind die Kaufhaus-Kostüme von Bettina Walter.

 Wäre es nicht interessant, den jugendlichen Besuchern, die man doch so gern in der Oper haben möchte und die gelegentlich doch hin und wieder in der Oper gesichtet werden, deutlich zu zeigen, dass es seelische Verletzungen durch Krieg, Gewalt und Familienfehden schon in archaischer Zeit gab. So viel Geschichtsverständnis haben auch die jugendlichen Besucher, dass sie diese Problematik aus der Vergangenheit in die Gegenwart projizieren können.

 Ingrid Gerk

 

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