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DRESDEN/ Semperoper:  „EIN SOMMERNACHTSTRAUM“ / „VIER JAHRESZEITEN“ – ZWEITEILIGER BALLETTABEND VON FREDERICK ASHTON UND DAVID DAWSON

Dresden/Semperoper:  „EIN SOMMERNACHTSTRAUM“ / „VIER JAHRESZEITEN“ – ZWEITEILIGER BALLETTABEND VON FREDERICK ASHTON UND DAVID DAWSON –30.10.2023

Ein Ballettabend mit zwei sehr gegensätzlichen Choreografien bekannter englischer Choreografen verschiedener Generationen und Handschriften, die in sehr unterschiedliche  Welten führen und jede auf ihre Art überzeugen, erfreute sich jetzt an der Semperoper in sieben Aufführungen großer Beliebtheit.

Frederick Ashton (1904-1988), der Meister einer hoch virtuosen Körpersprache schuf 1964 anlässlich des 400. Geburtstages von Shakespeare mit seiner Adaption von „A Mitsummer Night’s Dream“ nach der Musik von Felix Mendelssohn-Batholdys Bühnenmusik (op. 61) in der Bearbeitung (Orchestrierung) von John Lauchbery in humorvoller Erzählweise ein Ballett, das am Royal Opera House (ROH) in London in seiner Originalchoreografie, einer von mehr als hundert von ihm choreografierten Ballette, und den bezaubernden Originalkostümen gehütet und gepflegt wird und zu einem Meilenstein der ballettartigen Shakespeare-Interpretationen wurde.

Nachdem „Ein Sommernachtstraum“ vor einiger Zeit per Live-Übertragungen aus dem ROH im Kino zu sehen war, gab es nun Gelegenheit, dieses einaktige Handlungsballett an der Semperoper mit der eigenen Ballettkompanie zu erleben. Es stellt hohe Anforderungen an die Tänzerinnen und Tänzer, aber für das Semperoper Ballett, einschließlich Gästen und Teilnehmern des Elevenprogrammes mit der Palucca Hochschule für Tanz keine Hürde dar. Sie konnten damit erneut ihr technisches Können, Ausdrucksstärke und Anmut unter Beweis stellen.

Der humorvolle, bisweilen an die romantische Ballett-Tradition erinnernde Ballett-Einakter, der in einem Wald in der Nähe von Athen in der Nacht vor der Hochzeit des Herzogs Theseus mit Hippolyta, der Königin der Amazonen spielt und wo zwei junge Athener Liebespaare durch Elfenzauber so verwirrt werden, dass plötzlich jeder einen anderen liebt, wurde der Handlung entsprechend in einem für Biedermeierzeit und Romantik typischen, von Elfen und Waldgeistern belebten Wald angesiedelt. Die Bühne ist nicht überfrachtet. Mit wenig Aufwand wurde sehr geschickt viel angedeutet. Alles Wichtige, einschließlich einer dekorativen Treppe ist vorhanden, um die Handlung zu illustrieren. Schöne Bilder unterstreichen geschickt mit wenig Aufwand Tanzszenen und Handlung, und auch die Kostüme sind biedermeierlich (Bühnenbild und Kostüme: David Walker).

Die beiden mit graziler Leichtigkeit tanzenden, wechselnden und verwechselnden Paare wurden von Rebecca Haw als Helena und Lilliana Hagerman als Hermia, Casey Ouzounis als Demetrius und Moisés Carrada Palmeros als Lysander mit Charme und Verve verkörpert. Vinzenzo Mola, Stipendiat der Stiftung Semperoper, machte seine Sache als Bottom gut, und der kleine Akim Weigel zeigte viel Spielfreude und Disziplin als Wechselbalg. Die Elfen tanzten sehr anmutig und grazil, wenn auch Bohnenblüte (Evelyn Bovo), Spinnweb (Swanice Luong), Motte (Simona Volpe) und Senfsamen (Nastazia Philippou) nicht immer ganz die gewünschte Synchronizität trafen, was ihrem sonstigen Charme aber keinen Abbruch tat.

Als Gegensatz dazu sorgte Jón Vellejo als idealer Puck, der das Ganze an unsichtbaren Fäden inszeniert, sehr wendig, sehr agil, mit perfekten Sprüngen und ausgefallenen, witzigen Figurenkombinationen für quicklebendiges Leben und Heiterkeit.

Ilaria Ghironi gestaltete mit ästhetischer Körperhaltung, Anmut, Grazie und Können die Titania und zusammen mit Denis Veginy, der seinerseits als Oberon brillierte, den Pas de deux mit synchron abgestimmten Bewegungen, die die Schwierigkeiten „federleicht“ erscheinen ließen, zum Höhepunkt der letzten dieser Aufführungen.

Der Tanz bildete mit der Musik, ausgeführt von der Sächsischen Staatskapelle unter Benjamin Pope und dem Sinfoniechor Dresden, Extrachor der Sächsischen Staatsoper, (Jonathan Becker) aus dem Orchestergraben mit den Gesangssoli der beiden Elfen (Sofia Savenko und Fernanda Allande vom Jugen Ensemble) eine Einheit.

In eine ganz andere Welt führte der zweite Teil des 2018 an der Semperoper uraufgeführten Ballettabends mit der Neuinterpretation von Antonio Vivaldis Musik der „Vier Jahreszeiten“ durch Max Richter, dem 1966 in Deutschland geborenen, in England aufgewachsenen, britischen  Komponisten, der die Musik als ein Zusammenspiel aus Farben, Klängen und Gefühlen versteht. David Dawson (*1972), der für Choreografie, Konzept, Libretto und Inszenierung verantwortlich zeichnet, schuf ein abstraktes neoklassizistisches Ballett in einer zeitgenössischen Lesart, in der er den Kreislauf des Lebens in abstrakter Weise mit tänzerischen Mitteln Revue passieren lässt.

Im kargen Bühnenraum von Eno Henze unterstreichen vier gegeneinander verschiebliche geometrische, neonbeleuchtete Bühnenelemente auf der Grundlage von Dreieck, Quadrat, Kreis und Balken die Situationen, denen der Mensch mit seiner Wahrnehmung ausgesetzt ist, Stille und Bewegung, ständiger Wandel, unterschiedlichste Momente der Wahrnehmung, die zwischen Leben und Tod changieren.

Schlanke grazile Gestalten in Trikots, je Szene in unterschiedlicher Farbe, schwarz, blau, grau, braun, rot oder hautfarben (Kostüme: Yumiko Takeshima) bewegen sich laufend, springend, tanzend, einzeln, paarweise sich findend und wieder verlierend oder in Gruppen bis zu zehn Paaren, jedes mit hohem Anspruch, über die Bühne, synchron und sehr exakt. Als Solisten zeigten vor allem Alessandro Azorín, Kanako Fujimoto, Richard House, Julian Amir Lacey, Curtney Richardson und Duosi Zhu ihr beeindruckendes Können. Bei diesem Ballett in 13 Teilen über den Lebenskreis des Menschen mit Aufbrechen, Erblühen, Verdorren und schließlich Zerfallen, bevor der Lauf der Jahreszeiten und des Daseins von neuem beginnt, ist immer alles in Bewegung, unterstützt und unterstrichen von der teilweise zelebrierten, teilweise dezent untermalenden Musik.

Beide Choreografen haben mit der tänzerischen Umsetzung der Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Antonio Vivaldi/Max Richter zeitlos gültiges Tanztheater geschaffen, bei dem die Sächsische Staatskapelle Dresden und das Semperoper Ballett kongenial zusammenwirkten.

Ingrid Gerk

 

 

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