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DRESDEN/ Semperoper: DER ROSENKAVALIER

04.10.2013 | KRITIKEN, Oper

Dresden: DER ROSENKAVALIER – 3.10.2013

 „Und immer wieder dieses Ziehen in der Magengrube. Oder ist es die Herzgrube? Sind es Hirnströme? Es wird wohl alles zusammen sein. Die ersten Takte des Rosenkavalier-Walzers lösen dieses Gefühl regelmäßig in mir aus. Wellen von Sehnsucht und Weite nehmen mich mit, wenn das Terzett anhebt: „Hab mir’s gelobt…“. So beschreibt es eine, die zuerst die dritte adelige Weise, dann Annina im „Rosenkavalier“ gesungen hat und deren Octavian (RD 1967 München) zu ihren unvergessenen Paraderollen zählt: Brigitte Fassbaender (Die Zeit, Nr.40 vom 26.9.13, S. 74).

Sänger und Musiker wissen, in wie hohem Maße es vom Dirigenten abhängt, ob das Terzett auch wirklich „anhebt“ und dann abhebt, um am Ende in nur 4 Takten von Terz zu Terz aus Des-Dur himmelan in diesen großen E-Dur-Akkord hinein zu schweben. „Heut hast du’s erlebt“, kann ich mit dem von Strauss so geschätzten Richard Wagner sagen. Und natürlich nicht nur das. Wenn Peter Schneider am Pult steht, garantiert das authentischen Strauss und gerade deshalb den Genuss von vielen, vielen orchestralen Höhepunkten in dieser detailreichen Partitur.

Den schmerzlichen Ausbruch der Marschallin „Heut oder morgen…“ vollzieht das Orchester ebenso mit wie ihr stilles, fast verlöschendes pp „der Herr Graf weiß ohnehin“ im Finale des 1. Aktes. Die Musik stürmt und schwelgt (herrlich im kurzen Vorspiel des 2. Aktes), weil Tempi und Dynamik stimmen. Und wenn Peter Schneider die Dresdner Staatskapelle mit  Lust in die Glissandi der Walzer loslässt, strahlt das Publikum. Der „Tonfall“ stimmt einfach!

Es gibt wohl wenige Opern, in denen man sich sogar am Tumult delektieren kann. Aber Strauss ist auch da genial. Wenn der verletzte Ochs „Mord!“ brüllt, beteiligen sich alle Instrumente des Orchesters einschließlich Becken und großer Trommel in ff daran und von diesem Moment an wird es immer chaotischer. Triller und Läufe überschlagen sich, Lerchenauer singen gegen Faninals Dienerschaft an, es ist ein köstliches Hin-und-her-Wogen, in dem sich bei crescendierendem Forte Sophie und Octavian nur noch rufend verständigen können. Dann folgt Faninals Ausbruch und Wortgefecht mit Sophie, bis Ochs ihn schließlich mit seinem unnachahmlichen „Is gut!“ zur Ruhe bringt. Das zu hören, ist köstlich. Wenn es szenisch gut gemacht ist, umso besser.

Im 3. Akt setzt Strauss noch eins drauf, wenn er Ochs musikalisch von der Größe der Verschwörung gegen ihn überzeugt. Der Walzer vom „Lerchenauisch Glück“ wird ebenso schwungvoll wie ironisch vom ganzen Orchester gespielt, darin verzerrte Fetzen seines „Leibliedes“, laut und lärmend. Auf seiner Flucht begleitet ihn das Motiv, das er – wie lange ist es her?! – seinem Mariandel weltmännisch zugesungen hat: „Ein Kavalier läßt alles, was ihm nicht konveniert, da draußen vor der Tür…“

Dass Strauss einige Instrumente mit besonderem Witz einsetzt – man denke an die Klarinette, die so oft zu hören ist, wenn es komisch wird (z.B. bei „Da ist nix“ wenn die erste „Erscheinung“ in Beisl zur Unzeit kommt), ist Hörspaß pur. Dass wir aber zur gleichen Melodie lachen („Nein nein, ich trink kein Wein…“) und weinen können („Hab mir’s gelobt…“), ich wette, das hat Strauss bewusst kalkuliert. Die Solisten, jederzeit liebevoll vom Pult aus unterstützt, setzen es so um, dass die unglaubliche Schönheit dieser Musik einfach überwältigt.

Soile Isokoski ist eine Marschallin mit Autorität und Herz! Angesichts von Tatsachen (Octavian&Sophie!) macht sie ihren Schmerz nicht öffentlich. Im Grunde hat sie schon im 1. Akt Abschied genommen von ihrem Quinquin. Was im 3. Akt zu tun bleibt, ist, die jungen Leute ihren Weg finden und gehen zu lassen, ohne sich dazwischen zu stellen, denn sie ist es, die von Liebe am meisten versteht. Wie Frau Isokoski das singt und darstellt, authentisch, mit warm strahlender Stimme, jederzeit wortdeutlich das ist großartig. Bei all ihrer Bescheidenheit – sie gehört zu den ganz Großen ihres Fachs!

Daniela Sindram ist für mich der idealtypische Octavian – stimmlich und optisch gleichermaßen. Da sind power, Energie und Schönklang in der Stimme vereint; szenisch ist ihre Wandlungsfähigkeit beachtlich. Glücklich auch die Besetzung der Sophie mit der in Rumänien geborenen Valentina Farcas, der 2002 der Sprung vom Meininger Theater an die Komische Oper gelang und die heute international auch im Konzertbereich sehr erfolgreich ist.

Peter Rose singt (!) den Ochs mit samtig weichem Bass mit Tendenz zum Bariton von vorn bis hinten durch, kostet die lyrischen Stellen aus und flüchtet sich nie in poltrigen Sprechgesang. Leider überzieht er die Komik hin und wieder (Ende 2. Akt, Tet a tet mit Mariandel im 3.Akt), da ist er mehr Falstaff denn Ochs.

Zwei Rollendebuts gab es am 3. Oktober. Adrian Eröd sang an diesem Abend seinen ersten Faninal mit Bravour. Ihm gelang vor allem auch auf Anhieb, die vorhandene Komik seiner Rolle mit gebührendem Ernst zu behandeln. Christa Mayer aus dem Ensemble der Semperoper sang ihre erste Annina und ich konnte nichts hören, was sie noch besser hätte machen können. Gratulation! Rollendeckend ihr Bühnenpartner Ulrich Reß als Valzacchi.

Nicht aus der Marschallin, sondern unterstützt von Jessica Karge (Kostüme) hat der Friseur hier leider aus Irmgard Vilsmaier ein zumindest älteres Weib gemacht, schade. Dabei ist ihre Leitmetzerin so agil, so präsent, da sitzt jeder Blick, jede Geste und vor allem die Stimme. Immerhin hat sie sich inzwischen die Brünnhilde und Isolde erobert und studiert gerade die Elektra (Leipzig).

Genau so schön wie der Sänger (Atalla Ayan, Lever des 1. Aktes) klang seine Begleitung aus dem Orchestergraben (Hörner, Fagotte). Polizeikommissar Tom Martinsen war in Gestalt und Stimme eine imposante Erscheinung und wie immer verlässlich: Jörg Schneider (Wirt) Matthias Henneberg (Notar) und die Sänger der übrigen Nebenrollen. Dass einige von ihnen mit Möbeltragen v.a. im 2. Akt nicht wenig beschäftigt waren, gehört zu dem sich mir nicht erschließenden angestrengten Humor der Inszenierung – ebenso die Schuhe, die die Modistin präsentiert und die so gar nicht gespenstischen Erscheinungen im Beisl (Hure, Boxer).

Das „leading Team“ Laufenberg-Schubiger-Karge hat die Inszenierung „dem letzten großen Regisseur des bürgerlichen Theaters Regisseur Rudolf Noelte“ gewidmet, das Bühnenbild Alfred Roller (hätte er sich über barocke Anklänge im ersten und die Marmor-Goldstuck-Elemente im Semperoper-Stil wirklich gefreut?) und die Kostüme „unserer Vergangenheit“ (s. Vorwort Programmheft). Letztere sind am wenigsten gut gelungen, denn der Stilmix sagt alles und nix, garnix. Den musikalisch so imposanten Auftritt der Marschallin im 3. Akt macht ihr Kostüm jedenfalls nicht mit.

 Sei’s drum! Dieser Rosenkavalier war – der Vergleich sei mir gestattet – musikalisch ein deliziöses Wiener 3-Gänge-Menü mit einem bezaubernden Betthupferl, der Pantomime am Schluss. Da sucht nicht allein der kleine Mohr (Amala Boashie) sondern die ganze „Papa-Papa“-Kinderschar (bestens studiert von Andreas Heinze) nach dem Taschentüchlein; sogar im Orchestergraben wird es vermutet. Aber da ist eitel Freude; es gibt Bravi für Peter Schneider, dem die Semperoper sehr viel verdankt, und für die Marschallin.

Ein gelungener Auftakt des Richard-Strauss-Schwerpunktes (es folgen Elektra, Guntram, Ariadne, Salome, Feuersnot und ein Ballettabend) in der Spielzeit 2013/14.

Kerstin Voigt

 

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