Thielemanns fulminanter letzter Ring in Dresden: Wehmutsvoller Abschied!
Ricarda Merbeth, Andreas Schager. Foto: Ludwig Olah
Zweiter Durchlauf, Teil II
- und 10. Februar 2023
Oft hängen zyklische Aufführungen von Wagners Tetralogie in der Mitte mal durch. Davon konnte beim letzten Dresdner Ring unter Christian Thielemanns Leitung nicht die Rede sein, er war von A bis Z eine Wucht!
Ein Garant dafür war freilich schon der Ausnahmetenor Andreas Schager, der von Anfang an in die Vollen geht, wenn sich andere noch ihre Reserven für den letzten Akt aufsparen. Eine Fülle des Wohllauts entströmt seiner Kehle. Der Österreicher steht wirklich im Zenit seiner Laufbahn, so oft ich ihn schon in früheren Jahren in dieser und anderen Wagner-Partien hörte: So herausragend wie jetzt war er noch nie. Noch dazu gibt er mit seiner jugendlich schlanken Erscheinung einen Siegfried wie aus dem Bilderbuch und empfiehlt sich als ein begnadeter, spielfreudiger Darsteller, der mit Elan wirklich einen jungen, übermütigen Waisen glaubhaft macht, der nicht weiß, wo er mit seiner ganzen Kraft hin soll.
Leichte Anflüge von Humor, die Willy Decker wagnergerecht in seine Inszenierung einbringt, lockern die Trilogie zwischen ihren hochdramatischen Teilen Walküre und Götterdämmerung zudem sympathisch auf. Ein großer Teddy als Siegfrieds Bärengesell lässt ebenso schmunzeln wie der Drache als ein mehrgliedriger Gliederwurm mit einer sehr drolligen Schnauze.
Stephen Milling gibt diesen monströsen Fafner mit mächtiger röhrender Stimme zu den unheilvollen Klängen von Wagner- und Kontrabasstuben. Das gesamte Blech samt Posaunen, Trompeten und Hörnern der Sächsischen Staatskapelle Dresden, teils gestopft und mal aus der Ferne spielend, präsentiert sich farbreich mit einer keineswegs selbstverständlichen Makellosigkeit und Brillanz. Gerade diese Instrumente brauchen, je massiver sie im Kollektiv auftreten wie in einer Brucknersinfonie Zeit, um ihre Wirkung optimal zu entfalten. Christian Thielemann gibt sie ihnen, entschleunigt die Musik, lässt sie sich aus der knisternden Spannung hauchfeiner Tremoli oder völliger Stille in majestätischer Breite erheben.
Es ist schon vielfach geschrieben worden, aber man kann es nicht oft genug betonen: Christian Thielemann ist der König unter den heutigen Wagnerdirigenten, vor allem wohl auch deshalb so unwiderstehlich gut, weil er sich für die Musik verzehrt, sie bis in kleinste Zellen hinein in allen ihren Ausprägungen zwischen tiefster Abgründigkeit und reinster Liebe durchlebt, jeden einzelnen im Orchester dazu bringt, seine maximale Höchstleistung abzurufen. Und so kommt auch den Hörnern, der risikoreichsten Gruppe im Blech, an den letzten beiden Abenden kein Patzer unter.
Jedes, aber wirklich jedes Instrument samt Pauke und Harfen bekommt im Laufe der Tetralogie seinen bedeutsamen Auftritt. Streicher und Holzbläser-Solisten spielen so sublim wie die Wiener Philharmoniker, die Thielemann einst bei seinem Antritt als Chef der Sächsischen Staatskapelle schon als großen Bruder bezeichnete als es unter Fabio Luisi aber längst noch nicht die Klasse hatte wie nun. Unter den zahlreichen magischen Höhepunkten seien nur das zauberhafte lichte Waldweben und der gloriose Trauermarsch zu Siegfrieds Tod hervorgehoben.
Auf der Bühne erlebte ich eine rundum reife, treffliche Ensembleleistung einschließlich der kleineren Rollen von Erda (Christa Mayer), Rheintöchter (Lea-an Dunnbar, Stepanka Pucalkova, Ann-Beth Solvang), Nornen (Michal Doron, Daniela Köhler, Kristina Stanek) und Waldvögelchen (Mirella Hagen). Mit Thomas J. Mayer, den ich schon in meinem Bericht zur ersten Halbzeit ausführlicher würdigte, hat die Wagnerwelt einen großartigen Wotan und Wanderer dazugewonnen.
Unschlagbar gut aber auch der Alberich von Bass-Bariton Markus Marquardt. Er läuft vor allem bei seiner Wiederbegegnung mit dem traurigen Gott vor Fafners Neidhöhle zur Hochform auf. Sein Zorn auf den Dieb seines Horts blitzt ihm da aus allen Poren, entlädt sich in einer Bärenkraft seines schlank geführten Bass-Baritons bei exquisiter Deklamation seines Texts.
Als eine weitere Traumbesetzung – um noch kurz beim Siegfried zu bleiben – erwies sich der Mime von Jürgen Sacher, stimmlich wie darstellerisch ungemein vif, zwar seitens der Personenführung nicht ganz so im Sportlichen gefordert wie einst Graham Clark in seinen unvergesslichen Auftritten in Bayreuth und Berlin, aber ein ebenbürtiger Kollege für diese Rolle.
In der Götterdämmerung wurde Stephen Milling – nunmehr als Hagen – zur Number one in den Pausengesprächen dank seines mächtigen, dunklen Bassbaritons prädestiniert für diese abgründigste Partie des gesamten Zyklus. Adrian Eröd verkörperte an seiner Seite überzeugend mit der gebotenen Unscheinbarkeit den Gunther, der ja letztlich eine undankbare Figur ist als feiger Waschlappen das Gegenstück zu Siegfried und Hagen.
Ebenso legte auch Anna Gabler ihre Gutrune mit einem etwas kleineren aber hübschen Sopran glaubwürdig als graue Maus an, die Siegfried nur mittels eines Vergessenstranks zum Mann gewinnt.
Keine Partie ist heute vermutlich so schwierig zu besetzen wie die Brünnhilde.
Ricarda Merbeth hatte ich bislang nicht ausreichend gewürdigt. Ihr fehlt zwar die Leuchtkraft einer Mödl, Varnay oder Kirsten Flagstad. Aber wer hat die heute schon? Wie Merbeth mit den hohen Ansprüchen an diese Partie fertig wird, sowohl im Spitzenregister als auch in der tiefen Lage, wo sie so sonor und füllig tönt wie ein Mezzo, wie sie mit großer Durchschlagskraft, profunder Tiefe und trefflicher Textverständlichkeit den großen Schlussgesang „Starke Scheite schichtet mir dort“ bewältigt – alle Achtung!
Wenn die Unglückliche, von Siegfried mithilfe seiner Tarnkappe getäuschte, an den Ort der Gibichungen verschleppt, den Saal betritt, beschert schließlich auch der Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: André Kellinghaus) eine Sternstunde mit seiner sehr dynamisch angelegten Begrüßung der beiden Hochzeitspaare.
Die Theaterstuhlreichen oder besser gesagt Relikte davon, zieren im zweiten Teil nur noch zeitweilig als surreale Dekoration Wolfgang Gussmanns schlichte Bühne, die weitgehend zeitlos anmutet und doch Raum lässt für zarte Romantik, und sei es nur mit einer leicht verwaschenen Waldesidylle am Rhein im Hintergrund, die mich an Gemälde von Caspar David Friedrich oder Carl Blechen erinnert.
Natürlich lag auch eine wehmutsvolle Stimmung über der Götterdämmerung angesichts des näher rückenden Abgangs von Christian Thielemann aus Dresden und dem berührenden Abschied von Waltraud Meier. Die große Wagnersängerin, den meisten noch unvergessen als Isolde und Kundry, gab ihre letzte Waltraute und damit eine ihrer wohl letzten Opernvorstellungen überhaupt, hat sie doch alle größeren Partien schon zuvor abgelegt.
Großartig, wie Meier diese Figur noch einmal mit 67 Jahren gemeistert hat, einem Alter, wo die meisten Karrieren schon längst zu Ende sind. Ich kann mich noch erinnern, wie sie 2015 ihre letzte Isolde an der Berliner Staatsoper sang und weiland Daniel Barenboim als Dirigent des Abends sie für ihre Klugheit bewunderte, die Rolle abzulegen in einem Moment, wo sie sie noch vollkommen singt. Und nicht erst, wenn das Publikum denken mag, es wurde auch Zeit.
So war es diesmal auch. Meier, eigentlich ursprünglich mehr Mezzosopran als Sopran, beeindruckte mit Leuchtkraft in den Spitzen, tönte eher in den Tiefen mittlerweile ein bisschen dünn. Aber die Gestaltung der Rolle, und wie sie sich vor der Brünnhilde aufbaute und nachdenklich-grüblerisch lauschte, das offenbarte doch noch einmal die große Sängerdarstellerin. Diesmal nun war es Thielemann, der in die stehenden Ovationen des jubelnden Publikums Worte des Dankes an die Sängerin richtete, den historischen Moment damit krönte. Ein bewegender, aber auch trauriger Abschied. Halten wir es an dieser Stelle kurz und schmerzlos mit der Marschallin aus dem Rosenkavalier: Ist halt vorbei.
Schlussapplaus. Foto: Kirsten Liese
Kirsten Liese