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DRESDEN/ SEMPEROPER: COSÌ FAN TUTTE – Leichte Kost mit Slapstick

23.03.2014 | KRITIKEN, Oper

Dresden / Semperoper: „COSI FAN TUTTE“ – LEICHTE KOST MIT SLAPSTICK 22.1.2014  Pr.

Unbenannt
Foto: Matthias Creutziger

 Trotz Zeiten knapper Kassen leistet sich die Semperoper immer wieder neue Inszenierungen der gleichen Opern, die vor geraumer Zeit noch auf dem Spielplan standen, obwohl es doch so viele Opern gibt, die hier sehr lange nicht oder überhaupt noch nicht aufgeführt worden sind und an anderen renommierten Häusern wie London, Wien, New York usw. gute, 20 und 30 Jahre alte Inszenierungen gehütet und gepflegt werden und nicht nur bei den einheimischen Opernbesuchern, sondern vor allem bei dem touristischen Publikum und sehr jungen Besuchern große Zustimmung finden.

 Schauspielregisseur Andreas Kriegenburg brachte nun (schon) wieder eine neue „Cosi fan tutte“ als Auftakt des neuen Mozart-daPonte-Zyklus auf die Bühne. Immerhin hat er sich dabei auf die vielfältige Bühnentechnik der Semperoper besonnen und die Drehbühne „in Schieflage“ eingesetzt, auf deren Rand wahlweise die Sängerinnen oder Sänger sitzen und je nach Handlungsablauf „herangedreht“ werden. Lange weiße, immer leicht wehende Stoffbahnen, zuweilen durch entsprechendes Lichtdesign (Stefan Bolliger) in modernes Hell-Lila getaucht, bilden zusammen mit einer seitlichen „Säule“ einen offenen, luftigen Raum im säuselnden Wind. Das Stück spielt schließlich in Neapel. Nach der Pause erscheint der halbrunde Hintergrund in sattem dunkelrot – Blut oder Farbe der Liebe (?), obwohl es doch hier eher etwas blutarm zugeht. Die handelnden Personen werden vor allem durch die Musik zum Leben erweckt.

 Die Veränderung der psychischen „Schieflage“ der beiden verliebten Damen geht mit einem successiven „Entblößen“ einher, wenn ihre Liebe und Treue zu ihren ursprünglich Verlobten wankt, aber nicht zu weit. Zuerst nimmt Fiordiligi die Perücke ab und setzt sie wieder auf, wenn sie sich besinnt, mit ihrer Schwester zu ihren Freunden ins vermeintliche „Feld“ zu eilen. Dann sitzt Dorabella bereits im Unterkleid da, ihrer zweifelhaften Perücke – wie die einer zerzausten Puppe – ledig. Man leistete sich hier sogar Perücken und was für welche (!). Bei der von Don Alfonso stand offenbar Karl Lagerfeld Pate. Für Fiordiligi und Despina gab es brünette Perücken, obwohl deren eigenes Haar viel schöner ist, und man leistete sich auch zweimal Kleider für die beiden Damen, erst in den „Limonadenfarben“ orange mit Petticoat (für Fiordiligi) und zitronengelb mit Lampion-Optik (für Dorabella), später in weiß für die Bräute, vorher rosa illuminiert.

 Die beiden Herren können sich dann im Verwechslungsspiel nur noch das Wenden ihrer Jacketts leisten, um sich als Albaner zu verkleiden. Beide sind von Anfang bis Ende als Slapstick-„Helden“ a la Charlie Chaplin verkleidet (fehlt nur das Stöckchen), der große Guglielmo und der kleine Ferrando wirken außerdem wie Pat und Patachon oder „der große und der kleine“ Chaplin.

 Eigentlich lassen die Kostüme von Andrea Schraad kaum eine klare Linie erkennen. Man fragt sich, in welcher Stilepoche sie eigentlich angesiedelt sind. Die beiden Damen sind offenbar überdrehte Modepuppen. Die beiden Liebhaber machen sich durch ihr Outfit zum Trottel. Die Uniformen aber weichen erfreulich vom üblichen Klischee ab. Sie könnten zur Abwechslung mal der preußischen Armee des 19. Jh. entlehnt sein.

 Im zweiten Teil verwandelt sich das Bühnenbild in eine Art Kur- oder Vergnügungspark mit Gartenparty-Beleuchtung. Die sonst üblichen Stühle mutierten hier zu 10 Parkbänken, gleichmäßig im Rund verteilt, aber die obligatorischen Stühle kommen auch noch – etwas später. Jeder der 3 Herren bekommt einen, einen sehr eleganten. Sogar eine (IKEA-)Leiter spielt mit –
warum eigentlich, nur damit Guglielmo mal kurz hochsteigen kann, um den „Überblick“ zu gewinnen oder seine „steigende“ Aufregung zu zeigen? (Bühne: Harald Thor).

 Obwohl auch hier die derzeit üblichen Inszenierungs- und Bühnenelemente in abgewandelter Form und leichter Tendenz zu „Eleganz“ eingesetzt wurden (es gibt doch noch mehr Gestaltungsmöglichkeiten!) und nicht eigentlich Neues bieten, wird immerhin die Handlung unverfremdet, wenn auch überhöht lächerlich erzählt.

 Vieles wurde ins Grotesk-Komische gezogen, aber Mozarts Musik ist unverwüstlich. Sie erreicht immer ihre Wirkung, zumal die Sächsische Staatskapelle Dresden Repertoire, wie die „Cosi„, im Schlaf spielen kann, und wie! – manchmal „traumhaft schön“.

 Am Pult agierte der junge israelische Dirigent Omer Meir Wellber, der an der Semperoper bereits „Daphne“ (2010) und „Guntram“ (2014) von Strauss dirigiert hat, demnächst die „Ariadne“ leiten wird, und an diesem Abend seine erste Mozart-Oper dirigierte, durchaus engagiert, nur wirkte das Orchester am Beginn für kurze Zeit etwas irritiert und das Tempo bis zur Pause zu rasch, mehr als für Mozart gut ist, vielleicht um die inszenierten Pausen ohne Musik, wo man wartet, dass es endlich weitergeht, wieder wettzumachen. Die Musiker konnten mitunter kaum ausmusizieren. Man ist hier schließlich durch Christian Thielemanns Meisterleistungen verwöhnt! Nach der Pause „glätteten sich die Wogen“, was der musikalischen Seite und den Sängern sehr zugute kam. Viele Impulse kamen aus der Kapelle selbst. Wellber gab auch den Sängern Einsätze und begleitete die Rezitative, die hier unmittelbar in die Arien übergehen, am Hammerklavier, wo er sich einige Verzierungen im Sinne der Entstehungszeit dieser Oper leistete, was Aufmerksamkeit in verschiedene Richtungen erfordert.

 Nicht nur in ihrer äußeren Erscheinung, Typ und Statur waren die 6 Protagonisten sehr unterschiedlich, sondern auch in ihren sängerischen und darstellerischen Leistungen. Georg Zeppenfeld setzte wie immer seine stimmlichen Qualitäten und sein schauspielerisches Talent als Don Alfonso ein. Er versteht es, Mozart mit der gleichen Intensität und Noblesse zu singen wie Wagner oder Verdi.

 Groß und überbordend erschien Rachel Willis-Sorensen als Fiordiligi, nicht nur in ihrer Statur (wobei die Kostümbildnerin offenbar noch kräftig nachgeholfen hat), sondern auch mit großer, gut klingender Stimme. Wenn bei ihr auch die für Mozarts Musik so wichtigen Zwischentöne oft zu kurz kamen, sang sie doch mit viel Enthusiasmus, großem Einsatz und Verve, vielleicht für Mozart ein wenig zu viel des Guten – man hört bei ihr immer schon die große Wagnerstimme durch -, aber der Jubel des Publikums war ihr gewiss.

 Rachel Frenkel blieb dagegen als Dorabella mit ihrem dunkel gefärbten, leicht gutturalen Mezzosopran die eher unterschwellig agierende Schwester.

 Christoph Pohl, mit Mozart-Gesang vertraut, gestaltete als Guglielmo mit seiner schönen, geschmeidigen Bariton-Stimme seine große Arie mit ehrlichem Gefühl und glaubhafter Empörung, wobei das Komische seiner Kleidung in störendem Kontrast dazu stand.

 Christopher Tiesi vom Jungen Ensemble bildete als Ferrando mit seiner relativ kleinen Statur und nicht allzu großen Belcanto-Tenor-Stimme ein seltsames Pendant zur üppigen Fiordiligi – ein „schönes“ (!) Paar, das die angeblich gegenseitige Zuneigung mit Heiterkeit betrachten ließ. Vielleicht war auch das als Inszenierungselement gedacht.

 Bei Ute Selbig, die an gleicher Stelle immer eine hervorragende Fiordiligi gesungen hat, konnte man als Despina eine köstlich humorvolle Seite entdecken. Allein wenn sie zu Beginn „Schaum schlägt“, vermutlich Süßspeise, „da liegt Musike drin“ in ihren Rührgeräuschen. Sie verstand es, das Publikum niveauvoll zu erheitern. Mit ihrer schönen, strahlenden, ausdrucksstarken und unverbrauchten Stimme ist sie prädestiniert für Mozart und begeisterte mit ihrer Arie, einschließlich ihrer feinsinnigen Verzierungen. Sie vertieft sich in jede Rolle und bewegt sich sicher auf dem Grat, der die Spezifik der Mozartschen Musik in ihrer Ausdruckstiefe ausmacht. Zudem versteht sie auch das entsprechende Spiel mit Charme und Witz in der genau richtigen Intensität, ohne zu überzeichnen.

 Trotz unterschiedlicher Stimmen und Timbres gab es schöne, harmonische kleine Ensembleszenen, Duette, Terzette usw., für die sich alle Beteiligten gleichermaßen einsetzten.

 Der Männerchor des Sächsischen Staatsopernchores Dresden (Wolfram Tetzner) sang als vorgetäuschtes Militär vorwiegend laut, später aber zusammen mit den Damen sehr angenehm und ausgewogen. Sie alle waren schwarz-weiß als merkwürdige Wesen mit „Vatermörder“ und Schürze wie Sämänner verkleidet, um Blumen für‘s Hochzeitsfest zu streuen. Sie wirkten wie Fledermäuse ohne Flügel oder Pinguine ohne Eis.

 Am Ende siegte – wie immer – Mozarts Musik. Diese „abgespeckte“ und ins Witzige überhöhte Lesart der „Schule der Liebenden“, wie es im Untertitel heißt, ist leicht und luftig und nicht gegen das Stück inszeniert. Der tiefere Sinn rutschte allerdings in den Orchestergraben und kam bei den einzelnen Sängerinnen und Sängern nur mehr oder weniger durch. Mozart steht zwar bei vielen Menschen, offenbar auch bei Regisseuren, in dem Ruf, leicht und tändelnd zu sein, aber das ist er – abgesehen von seinen Gelegenheitskompositionen – ganz und gar nicht. Seine Musik ist von „erschütternder Ausdruckstiefe“ (Alfred Einstein), selbst bei einem solchen Verwirrspiel, das einst als „unmoralisch“ galt. Diese heitere, luftige und lustige Inszenierung schwebt über alle Gefühlstiefen hinweg. Die ursprüngliche Problematik ist somit keine wirkliche mehr.

 Ingrid Gerk

 

 

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