Dresden/Semperoper: BALLETT „PEER GYNT“ VON JOHAN INGER ALS WIDERSPIEGELUNG SEINES EIGENEN LEBENS – 25.10.2024
Als Johan Inger auf er Suche nach einem Konzept für eine neue Choreografie erneut „Peer Gynt“ von Henrik Ibsen las, erkannte er vielen Ähnlichkeiten und Parallelen zu seinem eigenen Leben und hatte das Gefühl, er könnte seine gesamte Lebenserfahrung einfach in Peer Gynts Fußstapfen formen, wie er selbst konstatierte. Er gestaltete das Leben des Abenteurers in einem Ballett in zwei Akten auf der Grundlage der „Peer-Gynt-Suite“ von Edvard Grieg als Biografie eines Tänzers, witzig, kurios und grotesk, mit Erweiterungen, „Ergänzungen“ und Verfremdungen und inszenierte es an der Semperoper (Premiere: 2022). Jetzt läuft es in einer Wiederaufnahme und sorgt oft für ausverkauftes Haus.
Da wird nicht nur zur Musik von Edvard Grieg und auch Pjotr I. Tschaikowsky und Georges Bizet munter und äußerst abwechslungsreich durch sinnliche und abstrakte Tanzwelten und Tanzstile vom klassischen Ballett über den Personalstil von Mats Ek und Jiří Kylián bis hin zu Ingers persönlicher Handschrift in ständiger Betriebsamkeit getanzt, gewalzt und gewuselt ohne dass Ibsen und Grieg außen vor bleiben. Wenn auch „Carmen“ anklingt und der „Schneeflocken“-Walzer aus Tschaikowskys „Nussknacker“-Ballett etwas anders vertanzt wird, hört man auch „Solveigs Lied“ zu trauter Zweisamkeit in sehr bescheidener häuslicher Idylle.
In 2 Stunden, 15 Minuten ist ständig etwas los auf der Bühne und wird für Abwechslung gesorgt. Es gibt immer wieder neue, kuriose, witzige Begebenheiten, mit denen die Geschichte des „Helden“ in bunten Bildern mit Ironie (und vielleicht auch Selbstironie) erzählt und die einzelnen Episoden mit menschlichen Lauten unterstrichen werden, vom unartikulierten Laut bis zum gesprochenen Wort und ganzen Zitaten, was beim Ballett ungewöhnlich ist, aber zu Ingers Ausdrucksmöglichkeiten gehört. Aufmunterung und Szenenwechsel wird zuweilen mit einer, an der Proszeniumsloge angebrachten Glocke eingeläutet. Zu Beginn setzt Peer seine Mutter am Giebel ihres Hauses „kalt, um sich von der häuslichen Enge und ihrer Bevormundung zu befreien, am Schluss sitzt er selbst da.
Ebenso witzig-abstrakte Dekorationen zieren die Bühne (Leticia Cañán, Curt Allen Wilmer – EstudiodeDos), die schnell auf- und abgebaut und auch schon mal („vom Baumarkt“) geliefert werden – ein ständiger Wechsel mit immer neuen, humorvollen Überraschungen, zu denen die bunt gemischten Kostüme (Catherine Voeffray) das Pendant bilden.
Das Semperoper Ballett ist für seine guten Leistungen bekannt. Aus der Fülle der sehr guten Solo- und Gruppen- Leistungen, zum Teil in Rollendebüts, seien hier nur stellvertretend genannt. Der Erste Solist des Semperoper Balletts Christian Bauch tanzte als meist Beschäftigter die Titelrolle mit Bravour und wurde an diesem Abend mit dem „Rudi-Häussler-Preis“ der Stiftung Semperoper geehrt.
Kanako Fujimoto war die entführte Braut Ingrid, Stefanie Knorr die Solveig. Casey Ouzounis charakterisierte böswillig übersteigert und mit viel Humor Mutter Aase als männlich-hausdrachenartige Person, aus deren Dominanz sich Peer befreien wollte (wie Inger von seiner dominanten Mutter). Jón Vallejo verkörperte Den Krummen/Boigen, Zarina Stahnke Die Grüne und Antony Bachelier den Trollkönig/Mats Ek. Als die drei Milchmädchen tanzten Francesca Cesaro, Yo Nakajima, Bianca Teixeira) und sangen Sol Her, Elena Patsalidou, Anna-Maria Tietze). Die Geige spielte Elsa Klockenbring auf der Bühne. Drei (junge Tänzerinnen (Jenny Laudadio, Nastazia Philippou und Ayaha Tsunaki zeigten ihre Tanzkünste in unterschiedlichen Stilrichtungen und persönlicher Eigenart beim Vortanzen vor einer „Jury“, die natürlich die Attraktivste (Ayaha Tsunaki) für die Rolle der Anitra auswählte.
Der Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: Jonathan Becker) und die Sächsische Staatskapelle Dresden unter der musikalischen Leitung von Thomas Herzog waren wie immer sehr zuverlässige, mitgestaltender Partner und bildeten das Fundament, auf dem dieser bunte “Reigen“ an Episoden, Begebenheiten und witzigen Einfällen, zu einer Einheit gefügt, stattfand.
Ingrid Gerk