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DRESDEN/ Semperoper: 8. SYMPHONIEKONZERT" DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – „PALMSONNTAGSKONZERT“

Dresden / Semperoper: 8. SYMPHONIEKONZERT“ DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – „PALMSONNTAGSKONZERT“ – 29/30.3.2015

 

Das, auf einer langen Tradition beruhende, alljährlich stattfindende „Palmsonntagskonzert“ der Sächsischen Staatskapelle Dresden – früher meist mit L. v. Beethovens „IX. Symphonie“ – wurde in einer wesentlich jüngeren „Tradition“, bei der im Gegensatz zum sonstigen Programm der Staatskapelle, Barock-Musik auf dem Programm steht, nun zum 3. Mal von Reinhard Goebel geleitet. Als Liebhaber Alter Musik hatte er je ein sehr bekanntes Werk der beiden bedeutendsten und bekanntesten Vertreter der Barockzeit in einer weniger bekannten Version gewählt: G. F. Händels „Ode auf St. Caecilia“ in der Bearbeitung von W. A. Mozart (KV 592) und die “Missa für Sopran, Alt, Tenor, Bass, Chor und Orchester (BWV 232) von J. S. Bach in der Fassung von 1733, dem Kernstück der späteren fünfteiligen „h-Moll-Messe“.

 Händel huldigt in seiner „Cäcilienode“ nach einem Gedicht des englischen Dichters John Dryden (1631-1701) mit jedem Ton der Märtyrerin und Schutzheiligen der Bedrängten und (infolge eines Übersetzungsfehlers) auch der Kirchenmusik. Nun mag sich mancher fragen, warum ein so geniales Werk später einer Bearbeitung bedurfte, wenn auch von einem Meister wie Mozart. Es war einfach der damaligen Aufführungspraxis geschuldet. Die Instrumente der Barockzeit waren nicht mehr in Gebrauch, die versierten Spieler dieser Instrumente alt oder nicht mehr verfügbar. Der Stil galt in seiner Opulenz mit den zahlreichen Verzierungen und wegen der schwierigen Ausführbarkeit als veraltet. Um diese Werke überhaupt aufführen zu können, mussten diese Kompositionen für das damals moderne Instrumentarium bearbeitet und dem Zeitgeschmack angepasst werden.

 Der Wiener Hofbibliothekar Gottfried van Swieten, u. a auch Mäzen Beethovens und „Pate“ für Haydns Oratorien, hatte Mozart auf das Werk aufmerksam gemacht. Mozart erhielt schließlich den Auftrag einer Einrichtung der „Cecilienode“ für eine Aufführung bei einer Cäcilienfeier in Wien. Er führte Passagen für Flöten, Klarinetten, Fagotte, Hörner, Posaunen und Kesselpauke ein. Anfangs meinte man sogar eine Nähe zur „Zauberflöte“ zu erkennen.

 Darüber, warum man allerdings heute noch auf eine solche Bearbeitung zurückgreift, kann man geteilter Meinung sein. Die versierten Musiker der Sächsischen Staatskapelle sind durchaus auch mit der Ausführung von Barockmusik vertraut, was sie schon oft genug bewiesen haben. Alte Instrumente bzw. stilgerechte Nachbildungen und entsprechende Virtuosen auf diesen Instrumenten gibt es gegenwärtig durchaus. Nicht zuletzt verfehlt Händels (Original-)Musik auch mit modernem Instrumentarium ihre Wirkung nicht. Auf jeden Fall wirkt die Originalfassung „zündender“, mitreißender und begeisternder. Bei Mozart und Händel stoßen trotz Mozarts Begeisterung für Händels Musik bei heutigem Musikempfinden zwei Stilepochen aufeinander, die für unsere Ohren nur bedingt harmonieren. Mozarts Bearbeitung „bremst“ letzten Endes doch die überwältigende Wirkung des Werkes um einiges aus.

 Die Mitglieder der Sächsischen Staatskapelle verstanden es dennoch, die Mozartsche Fassung zu spielen und dem Charakter des Originals sehr nahe zu kommen. Sie hielten die Balance zwischen beiden Musizierstilen und ließen das Werk frisch und in barocker Klangfülle erstehen, leicht „paukenorientiert untermalt“.

 Das zweite Werk des Abends bestand nur aus dem „Nucleus“ (dem Kern) der „h-Moll-Messe“ von Bach, wie sich Goebel im Einführungsgespräch ausdrückte. Bach hatte zunächst nur die beiden Teile „Kyrie“ und „Gloria“ beim Sächsischen Kurfürsten und König von Polen eingereicht, aus Anlass eines „Stellengesuches“ bzw. mit der Bitte um Erlangung eines „praedicat der Dresdner Hofkapelle mit dem Versprechen, auf Verlangen des Herrschers für die „Componirung der Kirchen Musique sowohl als auch zum Orchestre“ seinen „unermüdlichen Fleiß“ aufzubringen. Etwas später durfte er sich königlich polnischer und kurfürstlich sächsischer Compositeur bey dero Hoff-Capelle nennen.

 Die Staatskapelle spielte hier „traumhaft“ schön, mit entsprechender Begeisterung für das Werk. Durch die Mitwirkung bei den Aufführungen des Dresdner Kreuzchores konnten die Musiker auf wichtige Erfahrungen zurückgreifen. Sie spielten „ohne Abstriche“, mit wunderbarem Klang und blieben dem Werk nichts schuldig.

 Aus ihren Reihen traten bei beiden Werken sehr gute Instrumentalsolisten hervor, Simon Kalbhenn mit seinem warmen, singenden und berührenden Cellosolo, Kai Vogler mit seiner stilvollen Begleitung einer Alt-Arie, Sebastian Römisch mit feinsinniger Oboe, Sabine Kittel mit ihrem zuverlässigen, sanften Flötensolo, die sehr ausdrucksvollen Streicher, das im genau richtigen Maß begleitende, klangschöne Orgelspiel von Johannes Wulff-Woesten, das längere Hornsolo von Erich Marquardt usw. Die gewissenhaft musizierenden Blechbläser konnten allerdings nicht ganz diese Feinheiten wie unter Thielemann und manch anderem Dirigenten erreichen, da Goebel offenbar Wert auf Lautstärke und massiven Klang legte.

 Der von Michael Käppler hervorragend einstudierte Dresdner Kammerchor, dessen Mitwirkung auch Tradition hat, sang nicht nur von Harmonie, er setzte sie auch in die Tat um. Mit sehr guten Stimmen, geführt von den sehr sicheren Sopranen, war er mit seiner Intonationssicherheit, seinem homogenen Klang, seiner exakten Ausführung und guten Textverständlichkeit eine der Säulen der Aufführung, setzte in seinen wenigen Auftritten starke Akzente und trug durch sein hohes Können wesentlich zum Gelingen der Aufführung bei. Trotz sehr zügigem Tempo sang er das Gloria“ (Bach) wunderbar transparent und sorgte mit dem, ebenso wunderbar gesungenen „Cum Sancto Spiritu“, zusammen mit dem Orchester, für einen beeindruckenden Konzertabschluss.

 Die mit alter Musik vertrauten Gesangssolisten stellten sich ihren Aufgaben mit entsprechendem Engagement. Obwohl bei der klangvollen, etwas „schweren“ Sopranstimme von Sibylla Rubens mitunter die Mühe bei den nicht leicht zu singenden Arien zu spüren war, sang sie als stilerfahrene Sängerin Alter Musik die Arien mit „echt barocker“ Diktion, sehr sauberen, klaren Verzierungen und besonders schönen Trillern und berührender Innigkeit. In den Duetten mit Daniel Johannsen und Anke Vondung (Bach) setzte sie ihre Stimme mit Intelligenz für ein sehr gutes Miteinander ein.

 Anke Vondung faszinierte mit ihrer sehr schönen Altstimme in natürlicher Selbstverständlichkeit. Scheinbar mühelos und ohne Hürden meisterte sie in faszinierender Weise die Arien souverän und klangschön und mit „perlenden“ Verzierungen. In völliger Übereinstimmung in Stimmführung, Diktion und geistigem Verständnis wurde auch das Duett „Domine Deus“ mit Daniel Johannsen zum Hörgenuss.

 Daniel Johannsen, der neben seiner Tätigkeit u. a. an der Wiener Volksoper, gegenwärtig zu den besten Oratorien-Tenören gehört, vertiefte sich mit äußerster Genauigkeit in Rezitative und Arien und brachte die Musik mit allen Feinheiten und Details zu Klingen. Selbst die a‑capella-Passagen sang er sehr klar, sicher und wortverständlich. Mit seinem schlanken, hell-timbrierten, variationsfähigen Tenor brachte er die Tenorpartie in aller Lebendigkeit zum Klingen, konnte seine Stimme kraftvoll, aber auch sehr sanft, leise, verhalten und bedeutsam einsetzen und somit jeder Nuance den entsprechenden Ausdruck verleihen.

 Georg Zeppenfeld hatte in beiden Werken je eine anspruchsvolle Bass-Arie zu singen und widmete sich ihr jeweils mit seiner klangschönen, in allen Tiefen und Höhen ungewöhnlich gut klingenden Stimme und seinen gesangstechnischen Tugenden, auf die er sich immer verlassen kann. Er sang mit kräftiger Stimme, klarer Diktion und Detailtreue.

 Einige „Wermutstropfen“ gab es dennoch. Man hätte sich seitens des Dirigenten mehr gestalterische Inspiration gewünscht. Er ermunterte die sehr guten und versierten Ausführenden oft zu raschen Tempi und Lautstärke, was nicht selten zu Härten führte und zu Lasten der Klangschönheit ging, die man bei diesen Werken erwartet. An den Ausführenden lag es nicht. Sie folgten ihm sehr diszipliniert, auch wenn er das Tempo plötzlich anzog. Während die Ausführenden aus Erfahrung, Verantwortungsbewusstsein und Liebe zur Musik auch Wert auf die inneren Werte dieser Musik legten, orientierte Goebel mehr auf Spannung und äußerliche Effekte durch Tempo und Lautstärke, die der Aufführung manches von den hohen Ansprüchen, die Solisten, Chor und Orchester an sich selbst stellten, nahm.

 Leider nahmen auch die längeren Pausen, bis die Solisten von ihren „Seitenplätzen“ auf einem längeren Weg bis zur Rampe gelangten, einiges von der Geschlossenheit der beiden Werke und der Konzentration der Zuhörenden. Man hatte nicht selten den Eindruck einer „losen“ Folge einzelner, wenn auch sehr gut ausgeführter Teile, deren unmittelbare Aufeinanderfolge für Lebendigkeit und spannungsreiches Erleben gesorgt hätten. Wenn die Sänger nicht während der gesamten Aufführung vor dem Orchester sitzen sollen – eine althergebrachte, aber immer noch zweckmäßige Variante – könnten sie sich doch wenigstens schon leise während der vorhergehenden Nummer von ihren Plätzen erheben und an den Standort wandeln, um die Geschlossenheit der Aufführung zu wahren. Ein wesentliches Gestaltungselement liegt vor allem bei Bach nicht zuletzt im kontrastreichen, unmittelbaren Aufeinanderfolgen von Arien, Duetten, Orchesterpassagen und Chören.

 Ingrid Gerk

 

 

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