Dresden / Semperoper: 5. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 08.01.2013
Myung –Whun Chung – ein Glücksfall für die Sächsische Staatskapelle
Der südkoreanische Dirigent Myung-Whun Chung ist in Dresden schon lange kein Unbekannter mehr. Seit 2001 war er mehrfach in Konzerten der Sächsischen Staatskapelle und als Operndirigent („Don Carlo“) sowie auf Tourneen des Orchesters (Europa 2001, 2005 und 2008), USA (2005) und Asien (2006) und bei Kammermusiken (zuletzt 2008) zu erleben. Jetzt ist er Erster Gastdirigent der Sächsischen Staatskapelle, ein Titel, den vor ihm noch niemand in der langen Geschichte dieses Orchesters führen konnte.
Mit dem 5. Symphoniekonzert der Kapelle gab er seinen offiziellen „Einstand“ in dieser Funktion und brachte von Olivier Messiaen die symphonische Medidation „L’Ascension“ („Die Himmelfahrt“) sowie Gustav Mahlers „Symphonie Nr. 1 D‑Dur „Titan“ in grandioser Wiedergabe zu Gehör.
Im Herbst 2008 hatte er mit Musikern der Sächsischen Staatskapelle im Rahmen des „Chung-Messiaen-Projektes“ das „Quartett auf das Ende der Zeit“ von Messiaen in beeindruckender Weise aufführte. Jetzt widmete er sich erneut diesem Komponisten mit besonderer Hingabe. Bereits
mit den ersten bedeutungsvollen Tönen der exzellenten Bläser war klar, dass hier ein außergewöhnliches Konzert mit einem außergewöhnlichen Dirigenten und außergewöhnlich sensiblen und leistungsfähigen Musikern bevorstand. Dirigent und Orchester hatten ein besonderes Gespür für diese verklärende, meditative Musik und vermochten die großen Gedanken Messiaens in ungewöhnlich eindrucksvoller Weise wiederzugeben. Man wurde unwillkürlich mit hineingenommen in diese emotionale Welt voller großer Gedanken. Es hätte bereits der Höhepunkt des Konzertes sein können, aber was folgte, übertraf noch einmal alle Erwartungen.
Diese Aufführung von Mahlers „Erster“ lässt sich schwer in Worte fassen. Selbst, wenn man meinte, diese Symphonie durch vieles Hören bestens zu kennen, erschloss sie sich hier in einer Weise, die ihresgleichen sucht. Die Symphonie wurde nicht nur in wunderbarer Abstimmung mit allen Feinheiten musiziert, sondern gleichsam zelebriert. Sie erschloss sich einfach neu in all ihren Tiefen, feinen Details und grausamen Schicksalsschlägen, vom Hoffen auf Ruhe in der Idylle der Natur mit unbekümmerten Vogelstimmen und dem einfachen Leben, angedeutet durch folkloristische Melodien, deren Fröhlichkeit der Komponist – ähnlich Goethes „Faust“ – nicht so recht zu folgen vermochte, bis hin zu den gewaltigen Schlägen des Schicksals mit großer Trommel, Pauke und Schlagwerk, die in diese scheinbare Idylle hereinbrechen. In logischer, folgerichtiger Entwicklung wurde man mit hineingenommen in Mahlers Gedankengänge und Gefühle, in seinen schweren seelischen Zwiespalt einer sehr empfindsamen, zerrissenen Seele zwischen der Sehnsucht nach Leben eines Ruhesuchenden in unterschwelliger Melancholie und dem Schicksal eines durch äußere Umstände schwer getroffenen Menschen. Mahlers Wesen lag plötzlich erschütternd offen. Nicht nur der 3. Satz mit seiner aufgewühlten, aufgeregten inneren Unruhe und Bestürzung ging unter die Haut, auch solche Feinheiten der Instrumente wie der Dialog zwischen Ersten und Zweiten Violinen, die Soli der Streicher und Holzbläser, das feinste Pianissimo bei Pauke, Blechbläsern und Becken und die „stehende Formation“ der Hörner beeindruckten klanglich zutiefst. Es gab keinen nur beiläufigen Takt, jede Note hatte ihren Platz im logischen Aufbau der gesamten Symphonie, inspiriert vom Dirigenten. Er „hört mit dem Herzen“ und gibt es so an die Musiker weiter, die es, ihm geistig folgend, mit höchster Akribie wiedergaben.
Es war ein Konzert der Superlative. Man kann sich auf weitere Begegnungen mit diesem Dirigenten nur freuen.
Ingrid Gerk