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DRESDEN/ Semperoper: 3 X ROSENKAVALIER mit Elina Garanca

17.06.2013 | KRITIKEN, Oper

Dresden / Semperoper: 3 X „ROSENKAVALIER“ MIT ELINA GARANCA – 9., 12. und 16.6. 2013


Nur mit dir …“ Ochs (Wolfgang Bankl, aus einer Aufführung 2012) und Sophie (Daniela Fally). Foto: Semperoper

 Der erste Auftritt Elina Garancas an der Semperoper in einer ihrer Paraderollen, dem Octavian (zuvor war sie nur einmal in einem Konzert mit der Sächsischen Staatskapelle aufgetreten), schien unter keinem guten Stern zu stehen. „Das Wasser rauscht, das Wasser schwoll…“ bedrohlich nahe im Flussbett der Elbe, die schon weit über die Ufer getreten war, so dass vorsorglich der nach der Flut 2002 eigens für solche Fälle konstruierte „Schutzwall“ um die Semperoper aufgebaut wurde. Glücklicherweise stand dieses Mal die historische Altstadt nicht wieder unter Wasser, aber die Kulissen konnten nicht antransportiert werden. Gespielt wurde trotzdem – „halbszenisch“, vor einer der Konzert-Dekorationswände mit einigen beweglichen Requisiten. Das störte niemand. Die Sänger waren ob dieses ungewöhnlichen Umstandes in unkonventioneller Stimmung, konnten und mussten improvisierten und taten das sehr geschickt. Das durchweg sehr gut besetzte Solistenensemble brauchte nicht viel Kulissen und Regie, um die Hauptrollen gut herüberzubringen. Sie hatten den Ausdruck in Stimme und Gesten, die genügten, um die Handlung deutlich zu machen und das auszudrücken, was die Rolle verlangt.

 Man konnte sich voll und ganz auf ihre großartigen Leistungen und das Dirigat von Christian Thielemann, das die Sächsische Staatskapelle Dresden in wunderbarer Weise umsetzte, konzentrieren. Letztere bereiteten den Sängern das Feld, auf dem sie sich entfalten konnten und bildeten das klangschöne Fundament der Aufführung. Thielemann hatte alles „im Griff“. Bei den leisesten Gesangspassagen reagierte er mit großer Umsicht auf die Sänger, nahm das Orchester zurück und ließ es ausmusizieren, um die feinsten Gesangslinien in bewundernswerter Weise mitzugestalten, setzte aber auch auf Expressivität bei entsprechend sich zuspitzenden Handlungsabläufen. Die Kapelle spielte unter seiner engagierten Leitung prächtig, beherrschte alles perfekt, von den gefühlvollen großen sensiblen Szenen über heftige Gefühlsausbrüche bis zur beschwingten Wiener Walzerseligkeit.

 Elina Garanca fügte sich sehr gut in das Sängerensemble ein, als hätte sie diese Rolle schon immer hier gesungen. Mit ihrer großen Ausdrucksskala von expressiven bis zu milden, gefühlvollen Passagen, bei denen dann die Stimme ihre ganz besondere Schönheit entfaltete, gestaltete sie die Rolle des jungen Mannes, anfangs kraftvoll und jugendlich unbekümmert, auch ein wenig herb, aber später bei der Überreichung der Silbernen Rose und im Miteinander mit Daniela Fally als Sophie voller Seligkeit und Schönheit des Gesanges, betörend und mit Schmelz und Innigkeit.

 Daniela Fally war eine reizende Sophie. Sie vertiefte sich ganz, in die Rolle des unschuldigen, zurückhaltenden, weil streng erzogenen, jungen Mädchens, das sich gerade erst das Leben erschließt und auch schon mal in bürgerlicher Direktheit leicht „aus der Rolle fällt“ (auch das gehört dazu!). Ihre sensible Stimme mit der schönen, klaren Höhe unterstrich diese zarte Gestalt noch mehr. In turbulenten Szenen kam sie aber auch mühelos über das Orchester. In der 3. Vorstellung war dann Anna Prohaska eine umjubelte Sophie.

 Eine Marschallin par excellence, wie sie Richard Strauss entsprechend seinen Äußerungen vorgeschwebt haben mag – jung (Anfang 30), sehr schön, sehr begehrenswert – das war Anne Schwanewilms. Selbst in dem Kostüm (Jessica Karge), das schon manche ihrer Vorgängerinnen unvorteilhaft erscheinen ließ, wirkte sie elegant und grazil. Ihrer gesellschaftlichen Stellung gemäß erschien sie mit natürlicher Noblesse und vor allem edel in ihrem Wesen. Allein, wie sie vom feinstem Piano ins Pianissimo „glitt“, ganz im Einklang mit dem Orchester, als sie in der großen und großartigen Szene über Zeit und Vergänglichkeit philosophiert und ihren Gedanken über ihre vergehende Jugend an der Seite des wesentlich älteren Hofmarschalls nachhing, die sie durch ihre Liebe zu dem jungen Octavian aufzuhalten versucht, berührte zutiefst – eine großartige Gesangsleistung, mit der sie die feinsten Linien der Musik in wehmütiger Schönheit bis zum Ende des leise verhallenden 1. Aktes, unterstrichen von der Solovioline, nachzeichnete. Sie war „von Kopf bis Fuß“ die Inkarnation einer Marschallin mit Stimme, Gestalt und Gestaltung, mit berührendem Charme, edel, vornehm, wohlwollend und bei allem sehr natürlich, nicht aufgesetzt oder gar gekünstelt, eben eine „echte Person von Stand“ mit Zartgefühl, das sie mit ihrem Gesang auszudrücken vermochte.

 Ganz im Gegensatz dazu steht natürlich der Ochs auf Lerchenau, den Peter Rose etwas vornehmer als üblich gab. Spätestens seit Kurt Böhme verbindet man mit dieser Rolle den urwüchsigen, poltrigen, bäuerischen Landadligen mit ebensolchen Manieren und einer guten Portion „ungewollter“ Komik. Rose war ein immer noch stattlicher, auf seine Weise sogar noch vornehm wirkender Mitgiftjäger, der Haltung bewahrt, aber unverhohlen und anmaßend seine primitiven Absichten kundtut, was die zarte, naive Sophie schockiert. Nicht unbedingt mit voller Bassstimme und profunder Tiefe, aber doch sehr sicher, mit guter Kondition und von Vorstellung zu Vorstellung intensiverem Spiel, nahm er sich schon auch einmal eine „Zutat“ heraus und hielt mit langem Atem aus, länger als üblich! Zwischen kraftvollem Gesang und Zurücknahme der Stimme, um humorvolle Einlagen bemüht, beherrschte er die Rolle und ging immer mehr „aus sich heraus“. Thielemann legte auch zur besseren Gestaltung an der richtigen Stelle eine „Kunstpause“ ein. Solche „Sondereinlagen“ entsprechen alten Theatergepflogenheiten, die durchaus zu einer heiteren Oper passen, wenn sie nicht übertrieben werden.

 Mit ziemlich harter Stimme und ebensolcher Gestaltung verkörperte Martin Gantner den Herrn von Faninal, der als Heereslieferant ohne Skrupel zu Reichtum und einem Stadtpalais gekommen ist und dem zu seinem Glück nur noch der alte Adel fehlt. In dem Fiasko nach der Verwundung des Barons Ochs wurde seine Stimme weicher, was gut zur Situation passte.

 Dann wäre noch der Sänger, dem Bryan Hymel seine Stimme mit viel Schmelz, bravouröser Sänger-Geste und auch ein wenig von der berühmten „Träne in der Stimme“ verlieh. In großer Kantilene „überstrahlte“ er die turbulente Händlerszene, bei der neben Elizabeth Zharoff und Norma Nahoun vom jungen Ensemble auch eine gestandene Sängerinn wie Barbara Senator als eine der drei adeligen Waisen auftrat.

 Einziger, der nicht so recht in diese großartige Besetzung passen wollte, war Dan Karlström in der 1. und 2. Aufführung. Klein und schlank von Gestalt, wollte er nicht sonderlich als Wirt mit „zwielichtigem Gewerbe“ passen, zumal auch Stimme und Spiel eher zaghaft wirkten. Nebenrollen sind nicht immer nebensächlich. Sie haben oft eine nicht unbedeutende Funktion und sollten deshalb gut zur Gesamtkonzeption passen.

Der stimmgewaltige Peter Lobert hingegen passte sehr gut in die Rolle des Polizeikommissars – groß, stattliche Erscheinung, kräftige Stimme und sicheres Auftreten. Gut füllten auch Imgard Vilsmaier mit energischer Stimme und eher statischem Spiel als strenge „Anstandsdame“ Jungfer Leitmetzerin, und das Intrigantenpaar Helene Schneiderman als wendige Annina und Thomas Ebenstein als Valzacchi mit spitzigem „Ausländerdeutsch“ ihre Rollen aus. Nadja Mchantaf war als Modistin unterfordert. Sie kann wesentlich mehr.

Der Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: Pablo Assante) sang lautstark. Die „ungehobelten“ Lerchenauischen, die sich entsprechend Regie „nicht benehmen“ können, sangen als „ kleiner“ Männerchor sehr gut und ausgewogen, ganz im Gegensatz zu den vier „vornehmen“ Bediensteten der Hofmarschallin, deren unterschiedliche Timbres so gar nicht zusammenpassen wollten.

 Bereits die erste Aufführung war „eine Offenbarung“ und dennoch war von Aufführung zu Aufführung eine weitere Steigerung, eine Intensivierung und Verfeinerung in vielen Details zu beobachten bis hin zum harmonischen Terzett am Ende des 3. Aktes und dem glücklichen Schlussduett zwischen Sophie und Octavian. Die Aufführungen waren geprägt von einer großen Harmonie zwischen Dirigent, Sängern und Orchester.

 Es waren berührende, großartige „Rosenkavalier“–Aufführungen voller musikalischer Schönheiten, die auch zeigten, wie selbst mit wenigen Ausstattungsmitteln, aber sehr guten Sängerinnen und Sängern gute Oper gemacht werden kann. Wichtig ist, dass die Musik stimmt. Mit und ohne Kulissen war es ganz große Oper, wie man sie selten erlebt, ganz der Schönheit der Strauss‘schen Musik verpflichtet.

 Ingrid Gerk

 

 

 

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