Dresden / Semperoper: MAHLERS 2. SYMPHONIE „AUFERSTEHUNG“
IM 12. SYMPHONIEKONZERT DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 7.7.2014
Mit Gustav Mahlers „Symphonie Nr. 2 c‑Moll“, „Auferstehung“ setzte der 1. Gastdirigent in der Geschichte der Sächsischen Staatskapelle Dresden, Myung-Whun Chung, der seit 2001 mit dem Orchester in Symphoniekonzerten und Opernaufführungen („Don Carlo“), auf Tourneen durch Europa, die USA und Asien sowie in seiner Doppelfunktion als Dirigent und Pianist auf dem Gebiet der Kammermusik und bei den Osterfestspielen Salzburg eng verbunden ist, seinen Dresdner Mahler-Zyklus fort.
Ganz anders als seinerzeit Bernard Haitink an gleicher Stelle, setzte Chung auf überbordende Lautstärke bis an die Grenzen des mit normalem Instrumentarium Machbaren und vor allem Hörbaren, mit Pauke, Schlagwerk und Becken, als wollte er die natürlichen Grenzen noch sprengen (oder das Konzert fände mindestens in der Carnegie Hall statt). Bei der sehr guten Akustik der Semperoper ist das nicht nötig. Die intensivere Wirkung hatten letzten Endes doch die Mezzoforte- und Piano-Passagen, bei denen die viel gerühmten Tugenden der Kapelle zur Geltung kommen konnten. Man denke nur an die herrliche solistische Tuba, die Trompeten und die Flöte. Da waren die minimalen „Kratzer“ bei den Hörnen am Beginn nicht relevant. Bei allzu großer Lautstärke verliert der berühmte Streicherklang der Staatskapelle in den Fortissimo-Passagen viel von seinem Glanz. Lediglich Violin- und Cellosolo konnten sich behaupten.
Dieses gewaltige, weltumspannende Werk zwischen Diesseits und Jenseits, Vergänglichkeit und Ewigkeit erfordert zwar einen Riesen-Aufführungsapparat von 180 Mitwirkenden, der allein schon für eine gewaltige Klangfülle sorgen kann, aber die Satzbezeichnungen lauten: „Allegro maestoso. Mit durchaus ernstem und feierlichem Ausdruck“ (1. Satz ), „Andante comodo. Sehr gemächlich. Nie eilen“ (2. Satz), „In ruhig fließender Bewegung“ (3. Satz), „Urlicht – Sehr feierlich aber schlicht. Nicht schleppen“ (4. Satz) und „Im Tempo des Scherzos. Wild herausfahrend – Wieder zurückhaltend – Langsam. Misterioso“ (5. Satz). Was sollte da eine so ungewöhnlich exzessive Wiedergabe, die stellenweise eher ein mörderisches Hölleninferno assoziierte als eine umfangreiche Totenfeier in aufgewühltem innerem Erleben?
Während das Orchester und später der Chor sehr auf die Auslotung der Gefühlstiefe und innige Klangschönheit orientierten, wurde vor allem das Orchester von Chung immer wieder zu überbordender Lautstärke und schockierenden Klangballungen aufgefordert. Zweifellos lebt das Werk auch von Kontrasten, die aber hier durch eine einfühlsamere Gestaltung wahrscheinlich mehr an Ausdruckskraft und Gestaltungsfreiheit für die Musiker gebracht hätte. Es ging zu viel von der, wenn auch oft herben und mitunter fast verbitterten, Klangschönheit der Symphonie verloren. Es ist vielleicht doch nicht so einfach für einen Dirigenten, der in einem anderen Kulturkreis aufgewachsen ist, Mahlers Gedanken- und Gefühlswelt nachzuempfinden. Hier standen wie im gegenwärtigen Mainstream dann doch mehr die äußerlichen Effekte im Vordergrund.
Neben für damalige Zeit revolutionären Neuerungen wie die Fünfsätzigkeit, der enorme Orchesterapparat und Chor, die uns heute fast „normal“ erscheinen, setzt Mahler zum ersten Mal die menschliche Stimme als Auferstehungssynonym ein, 2 Frauenstimmen und gemischten Chor.
Trotz seiner Größe setzte der von Heiko Reintzsch sehr gut vorbereitete MDR Rundfunkchor mit feinstem Piano ein. Er sang ausgesprochen exakt, wunderbar homogen und besonders klangschön.
Die japanische Mezzosopranistin Mihoko Fujimura beeindruckte mit ihrer Pianokultur und ausgefeilter Gestaltung, einschließlich guter Artikulation. Sie hatte den Sinn ihrer Partie verinnerlicht und ihn berührend wiedergegeben. Sie war eins mit der Komposition. Mit ihrer sanften Stimme „zelebrierte“ sie die Worte, nicht sonderlich laut, aber jeder Ton gut verständlich. Trotz Entfernung verschmolz ihre Stimme in schöner Weise mit dem Chorklang, ohne ihre Führungsfunktion aufzugeben.
Rachel Willis Sorensen, Sopran gelang es hingegen nicht, sich gegen Orchester und Chor wirklich durchzusetzen (abgesehen von einigen Intonationstrübungen). Die Sopranpartie als eigentlicher Höhepunkt blieb leider ziemlich blass.
Im Verlauf der Aufführung gab es – außer den vom Komponisten vorgeschriebenen – keine organisatorisch bedingten Pausen oder Zäsuren, so dass alle Voraussetzungen für eine in sich geschlossene beeindruckende Wiedergabe gegeben gewesen wären, wenn nicht die stellenweise infernalische Lautstärke eine zu tiefe Kluft zwischen hingebungsvoller Gefühlstiefe und allzu drastischen Ausbrüchen des Orchesters, wie sie Chung forderte, aufgerissen hätte. Es gab sehr schöne Einzelpassagen und doch schien etwas an einem großartigen Gesamteindruck zu fehlen. Mahler ist eben doch nicht so leicht in seiner tiefen, äußerst sensiblen Empfindung, Gedanken- und Gefühlswelt zu verstehen.
Ingrid Gerk