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DRESDEN/ Semperoper: 1. AUFFÜHRUNGSABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN

Dresden / Semperoper: 1. AUFFÜHRUNGSABEND DER SÄCHSISCHEN STAATSKAPELLE DRESDEN – 17.9.2014

Auch das gibt es noch: zum Sommerausklang und Saisonauftakt ein heiter beschwingtes Konzertprogramm mit Musik, die „einfach nur glücklich ist und glücklich machen kann“, unbeschwert und ganz ohne ernstes, betroffen machendes, bedrohliches oder schockierendes Werk, einfach nur schöngeistig unterhaltend, zum Genießen und Entspannen auf allerhöchstem Niveau. Der 1. Aufführungsabend der neuen Spielzeit stand bei der Sächsischen Staatskapelle Dresden mit Werken von Antonín Dvorák und Joseph Haydn ganz im Zeichen heiterer Gelöstheit. Er begann mit der “Serenade für Streicher E Dur“ (op. 22), die Dvorák in nur 12 Tagen schrieb, in einer Zeit persönlichen Glücks. Er war glücklich verheiratet und junger Vater. Die ersten Lieder seiner „Klänge aus Mähren“ legten bereits den Grundstein für seinen weiteren Ruhm und brachten ihm neue Aufträge ein. Es war eine Zeit ungebremster Schaffensfreude, in der er an seiner großangelegten „5. Symphonie“ schrieb und „nebenbei“ einen unbeschwerten Walzer, ein schwungvolles Scherzo und ein heiteres, von den böhmischen Tänzen inspiriertes Finale zu Papier brachte, die Bausteine seiner „Streicherserenade“.

Unter der Leitung von Dirigent Omer Meir Wellber, der an der Semperoper W. A. Mozarts „Così fan tutte“ und von R. Strauss „Ariadne auf Naxos“ und „Daphne“ dirigiert, spielten die Musiker der Sächsischen Staatskapelle sehr exakt, aber auch etwas zurückhaltend, um nicht zu sagen „nüchtern“, sachlich. Das ausgelassene Temperament böhmischer Tänze samt leichter Melancholie und Dvoráks typische Klangschönheit „lugten“ nur gelegentlich hier und da hervor. Diese Serenade, die Dvorák im Zustand vollkommener Zufriedenheit schuf, hätte etwas mehr Leidenschaft und Verve vertragen. Trotz Wellbers tänzerischer Dirigierbewegungen fehlte etwas von der beschwingten Leichtigkeit einer Serenade, die auch diese 5 Sätze prägt. Den “Bann“ brach Norbert Anger, seit 2013 Konzertmeister der Violoncelli der Sächsischen Staatskapelle, mit seinem „singenden Cello“ in Joseph Haydns “Konzert für Violoncello D Dur“ (Hob. VIIb:2), dessen umstrittene Urheberschaft nun unbestritten Haydn zugeordnet werden kann, nachdem in den 1950er Jahren das von Haydn eigenhändig signierte Autograph in Wien aufgefunden wurde. Man sagt, dass der Ton des Cellos dem der menschlichen Stimme am nächsten kommt. Anger ließ sein Cello vom ersten Takt an singen. Die überaus sensiblen Piano- und Pianissimo-Passagen seines verinnerlichten Spiels und seine Kadenz, bei der sich Wellber als „Zuhörer“ unter die Musiker mischte, ließen das Publikum den Atem anhalten, so dass man – obwohl das Opernhaus bis auf den letzten Platz gefüllt war – die berühmte Stecknadel hätte zu Boden fallen hören. Sein sehr persönlicher, sehr sympathischer Stil, der virtuose Ansätze genauso einschließt wie einen leichten Hang zur Romantik, zeugt von hoher Musikalität. Mit scheinbarer Leichtigkeit lotet Anger alle Richtungen aus. Selbst die leichten, vielleicht ungewohnten, aber wirkungsvollen Ritardandi hatten einen Bezug zum Werk. Bei ihm kommt alles von innen heraus. Bei aller Individualität ist er immer ehrlich gegen das Werk und ehrlich gegen sich selbst und bleibt in gewissen Toleranzgrenzen immer dem Werk und sich selbst treu, vor allem aber lässt er das Cello „singen“, um den Feinheiten der Melodik nachzuspüren. Das Publikum entließ ihn erst nach einer Zugabe, der ebenso feinsinnig musizierten „Sarabande“ aus der „3. Suite für Cello solo“ von J. S. Bach in der, ihm eigenen, sehr gewinnenden Interpretationsart. Haydn experimentierte zeitlebens mit Tönen und Formen und ihrer Wirkung auf das Publikum. Symptomatisch für Haydns Witz und Experimentierfreude ist auch der Beginn seiner „Symphonie Es-Dur“ (Hob I:103) „Mit dem Paukenwirbel“, bei der in der Partitur am Anfang nur eine ganztaktige Note mit Fermate für die Pauke notiert und mit „Intrada“ überschrieben ist, womit Haydn seinerzeit das Londoner Publikum in den „Opera Concerts“ überraschen wollte. Da keine Angaben zu Lautstärke und Ausführung im Autograph enthalten sind, wird das Paukensolo sehr unterschiedlich interpretiert, in der Regel aber als Wirbel, an- und abschwellend, oft von Pianissimo bis Fortissimo. Wellber ließ es als Improvisation und längeres „Paukensolo“ vom Paukisten ausführen, der es in zurzeit oft praktizierter Länge, aber sehr guter Qualität gestaltete, sehr niveauvoll, mit gutem „Ton“ und Stilgefühl. Der Anfang der Symphonie schien überhaupt zum Experimentieren zu verleiten. Wellber „stülpte“ Haydns Musik ein bewährtes, erfolgversprechendes Interpretationsschema über, das (meist) passt und sehr beeindruckt, bei einer so bekannten Symphonie aber befremdlich wirkte. Mit dieser, seiner vorletzten Symphonie nähert sich Haydn zwar durch raschen Wechsel der Klangfarben, Stimmungen und Tempi den Grenzen zur Romantik, bleibt aber dennoch immer seinem Wesen und seinem Humor treu. Wellber nutzte die Neuartigkeit gegenüber Haydns früheren Symphonien für eine eigene Interpretation. Er ließ den 1. Teil des 1. Satzes mit einer eingeschobenen, langsamen Einleitung und raschem Wechsel von Klangfarben, Stimmungen und Tempi vor allem romantisch verfremden, dann wieder mit mozartscher Leichtigkeit „getupft“ und in sehr raschem Tempo spielen. Die Musiker hielten mit und spielten dieses Stück „Haydn-Wellber“ mit unbedingter Exaktheit, bis sich Haydns Musik wieder „Bahn brechen“ konnte. Haydn hat eigentlich genug Humor und „Geistesblitze“ in seine Werke einfließen lassen, um sie immer spannend, abwechslungsreich und kurzweilig wirken lassen. Da genügt es, einfach den Intentionen des Komponisten nachzuspüren, was die Mitglieder der Staatskapelle denn auch mit schönen solistischen Passagen wie der sensiblen gefühlsbetonten Flöte, Oboe(n) und Fagott sowie überhaupt ihren schönen Bläsern und guten Streichern anklingen ließen, wobei sich dann auch die Pauke sehr einfühlsam einfügte. Die vielversprechende Fröhlichkeit der ausgewählten Werke und der angekündigte beschwingte Zustand fielen bei diesem Aufführungsabend etwas zurückhaltender aus, obwohl gerade Haydn und Dvorák den Klang der Kapelle maßgeblich mitgeprägt haben.

Ingrid Gerk

 

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