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DRESDEN: MANON LESCAUT – Premiere

03.03.2013 | KRITIKEN, Oper

DRESDEN / Semperoper: „MANON LESCAUT“ oder “LADY LIBERTY”– Premiere  2.3.

 
 Norma Fantini und Thiago Arancam (Foto: © Matthias Creutziger)

 Wer sich von Stefan Herheim nach seinen großartigen Inszenierungen wie “Carmen”, “Rusalka” oder “Eugen Onegin” diesmal einen weiteren großen Wurf erwartet hatte, der wurde von der Neuinszenierung von Puccinis “Manon Lescaut” in der Semperoper (die bereits vor einem halben Jahr an der Grazer Oper gezeigt wurde)  bitter enttäuscht. Diese Inszenierung scheint mir eher ein Rückschritt in der künstlerischen Entwicklung des norwegischen Regisseurs zu sein.

Die Aufführung beginnt mit dem berühmten Intermezzo, das normalerweise vor dem 3. Akt erklingt. Auf der Bühne sehen wir die Werkstatt des französischen Bildhauers Frédéric-Auguste Bartholdi. Der junge Bildhauer arbeitet an einem kleinen Modell der Freiheitsstatue, während im Hintergrund einige Teile der Statue
(Fackel und Kopf)  in Großformat bereits fertiggestellt sind. Hinter einem Schleiervorhang sitzt Giacomo Puccini an seinem Schreibtisch, liest in einem Buch (Abbé Prévosts Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut oder das daraus entstandene Libretto der Oper) und beginnt begeistert zu komponieren. Puccini
bleibt jedoch nicht an seinem Schreibtisch, er eilt zu dem Bildhauer und gibt ihm das Buch; auch dieser ist von der Geschichte fasziniert und verwandelt sich in Chevalier des Grieux. Puccini greift immer wieder in die Handlung ein, kommuniziert mit seinen Figuren, die langsam zum Leben erwachen, lebt und liebt und leidet mit ihnen, drückt ihnen die soeben frisch komponierten Noten in die Hand und führt sogar Regie. Die Einführung des Komponisten als aktive Figur kennen wir bei Herheim jedoch schon, hat er doch in der Inszenierung der „Madama Butterfly“ an der Wiener Volksoper genau das Gleiche getan. Wohl um sich nicht dem Vorwurf des Plagiats seine eigene frühere Inszenierung betreffend aussetzen zu müssen, hat er nun noch einen zweiten Kunstgriff in der zusätzlichen Einführung Bartholdis angewandt. Obwohl zwar einige Gemeinsamkeiten bestehen (Manons Drang nach Freiheit; sowohl Manons Geschichte als auch die der Lady Lyberty, wie man die Freiheitsstatue auch nannte, beginnt in Frankreich und endet in Amerika), bringt dies für den Ablauf der Handlung außer weiterer Verwirrung nichts. Nur gelegentlich blitzt das Genie Herheims durch, etwa im großen Liebesduett im zweiten Akt, das eigentlich ein Pas de trois ist: Wenn Manon „M’avavi tanto! Non m’ami più“ abwechselnd zu des Grieux und zu Puccini singt, dann entsteht plötzlich eine unglaubliche Spannung zwischen diesen drei Protagonisten, die man zuvor leider vermisst hat. Ähnlich stark ist dann nur noch das Finale des letzten Aktes, wenn Manon verzweifelt „Non voglio morir!“ zu Puccini singt, dieser sich aber von ihr abwendet und sie sterben lässt. Man hätte sich gewünscht der Regisseur hätte durchgehend solche Spannung erzeugen können. Aber das für Herheim typische Ineinanderfließen unterschiedlicher Zeit- und Handlungsebenen hat diesmal leider nicht geklappt. Der Tenor muss dauernd zwischen Des Grieux und Bartholdi wechseln, die Bühne muss sich ununterbrochen drehen, wie immer macht Herheim bisweilen des Guten zu viel. Ein Sonderlob muss man jedoch der Technik des Hauses und den Bühnenarbeitern zollen, denn dass die ununterbrochenen Verwandlungen ohne Probleme und auch zeitlich immer auf den Punkt genau funktionierten, grenzt direkt an ein Wunder.
Ebenfalls ein großes Lob gebührt der Beleuchtung (Fabio Antoci), der es gelang mit immer neuen Lichtvarianten im sich nur marginal verändernden
Bühnenbild (entworfen von Heike Scheele) immer wieder neue Stimmungen zu erzeugen. Wie so oft bei Herheim bieten die Kostüme von Gesine Völlm eine Zeitreise durch mehrere Jahrhunderte.

Norma Fantini sang die Manon dank der sängerfreundlichen Begleitung mehr lyrisch als dramatisch und vermied es dadurch zu viel Vibrato einsetzen zu müssen. Von den zarten, lyrischen Tönen eines jungen Mädchens (dass sie leider viel zu reif aussah ist wohl der Kostümbildnerin anzulasten) über die lodernde Leidenschaft
im Liebesduett bis zur subtil ausgekosteten Dramatik in ihrer großen Schlussarie findet sie wirklich alle Zwischentöne. Den Jubel bei ihrem Schlussapplaus hat sie damit zu Recht verdient. Leider hatte sie in Thiago Arancam als des Grieux keinen gleichwertigen Partner. Dieser erst 31-jährige brasilianische Tenor, der vor einem Jahr bei seinem Debüt an der Wiener Staatsoper als Don José aufhorchen ließ, präsentierte sich in katastrophalem Stimmzustand. Die Mittellage und die Tiefe sprechen überhaupt nicht mehr an, da produziert er nur noch heiße Luft. Nur die Höhe funktioniert (gelegentlich), aber auch da nur mit Druck. 
Dieser Abend war wohl für ihn selbst als auch für die Zuhörer eine Qual. Der fesche junge Tenor sollte sich sofort eine Auszeit nehmen und mit einem guten Gesangslehrer versuchen zu retten, was noch zu retten ist. Wenn er so weitersingt, wird er binnen kürzester Zeit am Ende seiner Karriere angelangt sein. Und das wäre wirklich schade. Dagegen war es erfreulich einmal den Geronte nicht von einem ausgesungenen Sänger sondern von Maurizio Muraro mit seinem fundierten Bass  zu hören (der sich – wohl der schlechteste Einfall des Abends – mit den vier Madrigalistinnen im Bett vergnügt, während er Manon eine Eifersuchtsszene liefert). Dass die Dresdner Oper im eigenen Ensemble auch über ausgezeichnete Kräfte verfügt, davon konnte man sich bei Christoph Pohl, der mit seinem kernigen Bariton und schöner Phrasierung einen ausgezeichneten Lescaut verkörperte, und bei Giorgio Berrugi, der neben einem stimmschönen Edmondo auch noch zusätzlich den Tanzmeister und den Laternenanzünder sang, überzeugen. Großartig in seiner Homogenität und Spielfreude der Sächsische Staatsopernchor Dresden (Einstudierung Pablo Assante).

Das wirkliche Ereignis des Abends fand jedoch im Orchestergraben statt. Was Christian Thielemann aus seiner Sächsischen Staatskapelle Dresden herausholte, war wirklich sensationell. Ich habe wirklich seit der letzten „Bohème“ von Carlos Kleiber an der Wiener Staatsoper (und das ist nun auch schon 28 Jahre her) keinen so wundervollen Puccini-Klang mehr aus einem Orchestergraben gehört. Der Maestro ließ das Orchester präzise aber reich an Klangfarben, wuchtig und aufblühend (Streicher) aufspielen. Thielemanns Interpretation war weit entfernt von Sentimentalität, setzte viel mehr auf schöne Phrasierungen und arbeitete die kammermusikalischen Feinheiten der Partitur heraus Die Soli (Cello im Vorspiel, Holzbläser in Manons Schlussarie) waren von einer vollendeten Schönheit, dass man es kaum fassen konnte. Ja, man meinte sogar viele Details in dieser Oper überhaupt zum ersten Mal gehört zu haben. Ein solcher Abend müsste sogar die größten Puccini-Skeptiker à la Mortier von der Qualität dieser Musik überzeugen.

Das Publikum überschüttete daher den Maestro und das Orchester sowie die Titelrollensängerin mit Jubel, während das Leading Team mit mäßigen Buhrufen und der Tenor mit einem starken Buhorkan verabschiedet wurden.                                

Walter Nowotny

 

 

 

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