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DRESDEN: LA CLEMENZA DI TITO – Premiere

27.05.2012 | KRITIKEN, Oper

Dresden Semperoper: „LA CLEMENZA DI TITO (TITUS)“ – Pr. 25.5.2012


Foto: Matthias Creutziger

Mozart schrieb die Oper als Auftragswerk für die Feierlichkeiten der Krönung Kaiser Leopolds II. zum böhmischen König und griff aus diesem Anlass noch einmal auf die barocke Form der Opera seria mit ihren accompagnierten (vom Orchester begleiteten) Rezitativen und Arien zurück, erfüllte aber – wie in allen seinen späteren Opern – auch diese erstarrte Form mit Leben und starker Gefühlstiefe. Man erhoffte sich seinerzeit einen wohlwollenden Herrscher, der seine Macht (auch) im Sinne der Humanität einsetzen würde, worauf die „Story“ zwischen Staatsraison und humanistischer Milde hinweisen sollte.

Bettina Bruinier, die u.a. in Dresden 2010/11 Weills „Street Scene“ inszeniert hat, wollte hier mit ihrer Neuinszenierung vom politischen Realismus weg und mit Hilfe einer „Tierfabel“ einen „politischen Sommernachtstraum“ inszenieren, bei dem die archäotypischen Figuren „ihre eingefahrenen Muster verlassen und etwas Neues beginnen“.
Mareile Krettek schuf mit ihren „Tierkostümen“ zwischen modernem Anzug und Tier-„Accessoires“ im „Grenzgang zwischen Mensch und Tier“ „Mischwesen“, die im Verlauf der Vorstellung immer menschlicher werden“ und das zum Schluss durch Abwerfen von „tierischen“ Kostümteilen verdeutlichen sollen. Bei den gut geschneiderten Kostümen musste man aber schon wissen, um welches Tier es sich eigentlich handeln sollte.

Durch die unterschiedliche Körpergröße der Protagonisten kommt es zu optischen Disproportionen. So erscheint Publio, der Staatsvertreter im ziemlich groß angelegten Kostüm eines Feuersalamanders (eigentlich ein kleines Tier) und weist als mächtiger Staatsdiener das zierliche Hirschlein (Annio) und die für eine Taube ziemlich groß erscheinende Servilia energisch in die Schranken. Übrigens, wie sollte ein Hirsch eine Taube heiraten, und eine Füchsin (Vitellia) den Adler (Titus)?

Bei den (eingeblendeten) Texten, hat man den Eindruck, dass die handelnden Personen eine deutliche Sprache sprechen und ausschließlich der oberen Kaste angehören. Trotzdem war man seitens der Regie der Meinung, dass früher bestimmte Dinge an die Obrigkeit nicht direkt, sondern besser in Form einer Tierfabel gesagt werden konnten. Das Volk, für das das zutraf, wird vom Chor repräsentiert und – wie auch die Hofbediensteten – sinnigerweise mit Riesenschwänzen als Echsen oder besser Kriechtiere bedacht. Mozart charakterisierte die einzelnen Figuren durch seine Musik.

Die ursprünglich zentrale Gestalt des Tito Vespasiano wird von der Regie eher zurückgenommen. Im Kostüm eines einarmigen, pardon einflügeligen Adlers erscheint er als (labiler) Herrscher weniger bedeutend, aber der australische Tenor Steve Davislim, der schon an allen großen Opernhäusern gesungen hat und mit dieser Premiere sein Rollendebüt als Titus gab, dominierte mit seiner vollen, angenehm klingenden und ausdrucksvollen Stimme, die er mühelos in allen Lagen einsetzen konnte – eine Stimme, die sich unbedingt enprägt.

Fast ausnahmelos waren alle Partien mit guten Solisten besetzt, die ihren Rollen sehr gut gerecht wurden. Mit strahlend schöner Stimme gestaltete Anke Vondung einen perfekten Sesto, den „Motor des Geschehens“, zwischen (leichter) Dramatik und echt Mozartschem Stilgefühl. Sie konnte sich dann auch über den begeisterten Szenenapplaus des gesamten Publikums freuen. Amanda Majeski wirkte durch ihre Körpergröße und Schlankheit, mit viel Fuchspelz behangen, als Vitellia nicht sonderlich vorteilhaft, wenn sie immer in leicht gebückter Haltung gehen muss, nicht zuletzt, um sich den anderen, nun einmal zufällig kleineren Mitwirkenden anzupassen, was ihren unbedingten Herrschaftsanspruch, ganz gleich auf welchem Wege und über welche Ehe, nicht gerade unterstreicht. Bei ihrer anspruchsvollen Gesangsrolle traf sie mit Sicherheit alle Höhen und Tiefen der risikoreichen Sprünge, nahm allerdings mehr und mehr ihre Stimme zurück, so dass der eigentliche, unterschwellige und intrigante Charakter der Vitellia in den Hintergrund geriet. Das Orchester nahm erfreulicherweise sehr viel Rücksicht.
Stephanie Atanasov überzeugte als Annio vor allem mit ihrem Gesang. Warum aber musste sie unbedingt als Hirsch mehrmals laut mit dem „Huf“ aufstampfen, um sich zu Wort zu melden und dabei die geniale Musik Mozarts zu stören, obwohl Mozart doch mit jeder Note so viel zu sagen hat?

Tilmann Rönnebeck war in der Gestik ganz Feuersalamander, in seiner kräftigen Stimme aber ganz Staatsvertreter Publio. Er meisterte die Balance zwischen äußerlich tierischem Gebaren und stimmlicher Verkörperung der Staatsraison.  Über die Einführung eines Friedensengels als lebende „Statue“ kann man geteilter Meinung sein.

Volker Thiele schuf mit seinem Bühnenbild einen geschickten Bezug zur psychologischen Abgrenzung der agierenden Personen in ihren „Partikularinteressen“. Ein großer, fast leerer Raum deutet den Herrscherpalast an. Durch zwei große Fensteröffnungen fällt der Blick auf das historische Zentrum Roms, den ursprünglichen Handlungsort der Oper. Im Hintergrund ragen als Bezug zur Gegenwart Hochhäuser auf. Eine Wand mit den Gips-Büsten der Ahnen (von denen Titus 60, Vitellia in ihrem kleinen Gemach aber nur 3 hat), dreht sich aus ihrer vertikalen Lage bei Beginn der Oper um 90 Grad und wird zur „altrömischen Stuckdecke“, von wo aus die Ahnen in Reih‘ und Glied herabsehen und – offenbar aus Empörung über das Geschehen – vereinzelt auch herabfallen und zerschellen. Ein Regieeinfall, der für Belebung sorgt, ebenso wie das Herabwehen von Brandfetzten als Synonym für das brennende Kapitol (anstelle des sonst üblichen Schnees „von gestern“). Die Verschiebung der kleineren Räume in- und gegeneinander, sorgt für Abwechslung im Fortgang des Geschehens und eine stimmige, sehr abwechslungsreiche Folge von Einsichten in die unterschiedlichen Handlungsabläufe. Hier werden Musik und Handlung geschickt gegenwartsbezogen umgesetzt, ohne sie in ihrem ursprünglichen Sinn zu verfälschen.

Der Sächsische Staatsopernchor (Einstudierung: Pablo Assante, Christof Bauer) sang sehr exakt und fügte sich gut in die gesamte, musikalisch sehr beeindruckende Aufführung ein.
Die Rezitative wurden am Hammerklavier von Johannes Wulff-Woesten begleitet, was der Klangwirkung und den Sängern sehr zugute kam.
Am Pult der, nach etwas zu kräftigen Anfangstakten mit Hingabe und dem richtigen Gespür für Mozarts Musik spielenden Sächsischen Staatskapelle Dresden stand Tomas Netopil, Musikdirektror des Prager Nationaltheaters und des Ständetheaters, wo „Titus“ einst uraufgeführt wurde.

Ingrid Gerk

 

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