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DRESDEN / Frauenkirche: MATTHÄUSPASSION von J. S. Bach unter Ludwig Güttler

Dresden/Frauenkirche: J. S. BACHS MATTHÄUS-PASSION UNTER LUDWIG GÜTTLER – 28.3.2015

 Im mitteldeutschen Raum, speziell in den Musikzentren Leipzig und Dresden gibt es eine lange Kirchenmusiktradition, bei der, vor allem zurückgehend auf die beiden Leipziger Thomaskantoren Karl Straube (1873-1950) und Günther Ramin (1898-1956) und nicht zuletzt bis zu Felix Mendelssohn-Bartholdy, vor allem Wert auf hohen musikalischen Anspruch und ein Erfassen der geistigen und geistlichen Tiefen eines kirchenmusikalischen Werkes gelegt wird, immer weitergegeben von Schülern und Enkelschülern bis in unsere Zeit.

 Erfahrungsgemäß beruht eine gute Aufführungspraxis kirchenmusikalischer Werke auf dem Erfassen des Charakters eines jeden Werkes, optimalem (nicht extremem) Tempo – weder zu schnell, noch „schleppend“, der Beachtung möglichst vieler musikalischer Details – ohne die große Linie aus den Augen zu verlieren, und einer geistig Anteil teilnehmenden Auffassung, weder lammoriant noch leichtfertig oder zu opernhaft. Das Gleichgewicht liegt naturgemäß in der Mitte. In Extreme verfallen, bedeutet eine sehr einseitige Sicht, lässt vieles Wertvolle unbeachtet und ist gerade bei der Musik Bachs, des Meisters der inneren Harmonie, nicht angebracht.

 Um die Osterzeit werden besonders J. S. Bachs „Johannes- und Matthäuspassion“ in zahlreichen Kirchen, aber auch Konzertsälen aufgeführt. Dabei sind viele Aufführungen mit, höchsten Ansprüchen genügendem, Niveau in Erinnerung geblieben, die immer wieder alle Generationen von Musikliebhabern und „Einsteigern“ begeistern. Gute Traditionen muss man nicht umstürzen.

 Für die Aufführung von J. S. Bachs „Matthäuspassion“ in der Frauenkirche standen Ludwig Gütter, dessen Können als Trompeter unbestritten ist, ein sehr guter und gut vorbereiteter Chor, das Sächsische Vokalensemble, das an dieser Stelle schon Großartiges geleistet hat, und der Knabenchor am Heinrich-Schütz-Konservatorium Dresden als Cantus-firmus-Chor (Einstudierung beider Chöre: Matthias Jung) sowie ein sehr sicher und stilvoll musizierendes Orchester, das 1987 in Weimar von Studenten der Hochschule für Musik  gegründete Mitteldeutsche Kammerorchester und erfahrene Solisten zur Verfügung. 

 Güttler bevorzugte bei den Chören zu Beginn und am Ende ein überhöhtes Tempo, das den sehr guten Chor in seiner internen Abstimmung und Harmonie fast aus dem Gleichgewicht brachte und in diesen Fällen auch leider etwas „diffus“ erscheinen ließ – warum eigentlich? Wer sich Zeit nimmt, die im allgemeinen dreistündige „Matthäuspassion“ zu hören, nimmt sich auch Zeit, die herrlichen Chöre in Andacht zu erleben.

 Der Eingangschor als feierlicher Introitus zur geistigen und geistlichen Einstimmung auf das kommende Passionsgeschehen wurde extrem schnell genommen und noch mehr der Schlusschor. Bei letzterem hatte niemand Zeit, sich „mit Tränen nieder“ zu setzen und die Passion in innerer Ruhe ausklingen zu lassen. Der Chor glich eher einer Flucht vor Gefühlen und Trauer. Bei dem Chor „Wo willst du, dass wir dir bereiten, das Osterlamm zu essen“ schienen die Jünger sehr ungeduldig zu sein, d. h. der sonst und auch im weiteren Verlauf der Aufführung exakt und klangschön singende Chor, der je nach Situation auch in kleinerer Besetzung (etwa halber Chor) auftrat, konnte trotz aller Fähigkeiten dem vorgegebenen Tempo nur mit Anstrengung zu Lasten der Klarheit folgen. Weniger an Tempo wäre da mehr gewesen. Bei dem dramatischen, die Aufregung des Volkes darstellenden Chor „Sind Blitz, sind Donner in Wolken verschwunden“ war diese Temposteigerung schon eher angebracht, wenn auch nicht unbedingt erforderlich.

 Bei den Chorälen war das Tempo mitunter auch grenzwertig, aber noch „angemessen“, so dass der Chor jeden Ton und jedes Wort verständlich und mit einiger Innigkeit herüberbringen konnte. Bei den Chorälen „Befiel du deine Wege“, „Wie wunderbarlich ist doch diese Strafe“ und dem Chor „Lass ihn kreuzigen“ in gemäßigterem Tempo konnten sich die Stimmen des sehr guten Chores dann entsprechend entfalten.

 Ein bisschen mehr Beschaulichkeit während der gesamten Passion hätte es schon sein dürfen. Vielleicht sollte das überhöhte Tempo die Passion lebendiger erscheinen lassen, aber für Abwechslung und Lebendigkeit hat schon Bach selbst durch die Kontraste zwischen dramatischen und lyrisch-beschaulichen Passagen in genialem Wechsel von Rezitativen, Ariosi, Arien, Chören und Chorälen gesorgt, so dass auch über die Dauer von (üblichen) ca. 3 Std. keine „Längen“ entstehen. Diese Aufführung dauerte ca. 2,5 Std., nicht wegen des forcierten Tempos, sondern vor allem durch (gekonnte) Striche in der Partitur, die kaum spürbar waren und nur „Insidern“ aufgefallen sein dürften.

 Die Solisten taten ihr Möglichstes. Barbara Christina Steude beeindruckte mit ihrer klangvollen Sopranstimme vor allem in den lyrisch-beschaulichen Arien wie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“. Sie harmonierte sehr gut in dem innig und voller Anteilnahme gesungenen Duett „So ist mein Jesus nun gefangen“ mit der hell-timbrierten Altstimme von Susanne Krumbiegel, die auch in den Alt-Arien mit Transparenz, perfekter Stimmführung und sehr guter Textverständlichkeit eine niveauvolle, reife Leistung bot und mit der Arie „Erbarm es Gott“ einen Höhepunkt der Aufführung schuf. Besonders im 2. Teil der Passion kamen stimmliche Qualitäten, Klangschönheit, Stilgefühl und Verständnis der beiden Solistinnen zur Geltung.

 Mit viel Ausdruck und guter Textverständlichkeit widmete sich Ulrich Cordes der Evangelistenpartie. Er sang die erzählenden Texte weniger rezitativisch, sondern ariosohaft und sehr lebhaft, zuweilen mit jugendlichem Überschwang und eine Idee zu laut. oft auch mit einem „Hauch von Oper“, anfangs mit  klarer, leicht metallischer Stimme, mit der er besser hätte disponieren sollen, denn später machten sich „kleine Kratzer“ (leichte Anzeichen von strapazierter Stimme) bemerkbar. Dennoch bewältigte er die Tenor-Arie gut.

 Ebenfalls gut artikulierend, mit entsprechender Diktion, und guter, kraftvoller Stimme (wenn auch mitunter etwas zu laut) bot Clemens Heidrich einen weniger würdevoll verklärten, sondern ziemlich irdischen, menschlichen Jesus.

 Die kleineren Rollen der männlichen Nebenpersonen und die großen Arien hatte Egberth Junghanns mit Engagement übernommen. Die weiblichen Nebenrollen wurden von Sängerinnen aus dem Chor gesungen, die 1. Magd erstaunlich gut, die 2. Magd mit ehrlichem Bemühen und das Weib des Pilatus mit sehr schöner Stimme.

 Das Orchester bildete ein sicheres, kontinuierliches Fundament. Es stellte auch die guten Instrumentalsolisten für die Vor- und Zwischenspiele und die Begleitung der Arien: Oboe, Oboe d’amore, Flöte (sehr gute Begleitung der Alt-Arie „Buß und Reu‘ „), eine sehr gute Solo-Violine und die „blitzsauber“ und hinreißend schön spielende Viola da Gamba, die begleitet vom Kontrabass die innig-beschauliche Arie „Komm süßes Kreuz“ umrahmte.

 Bachs Musik verfehlt bei keiner Aufführung ihre Wirkung. Dennoch hätte man sich an dieser Stelle mehr innere Ruhe und Beschaulichkeit gewünscht.

 Ingrid Gerk

 

 

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