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DRESDEN/ Frauenkirche: FRAUENKIRCHENBACHTAGE

Dresden/Frauenkirche: “FRAUENKIRCHENBACHTAGE“ – 2.10. bis 6.10.2013

 Obwohl sich J. S. Bach immer nur zu kürzeren Besuchen in Dresden aufhielt, war die Stadt doch für sein Leben und Schaffen von großer Bedeutung. Hier erhielt er wichtige Impulse für sein kompositorisches Schaffen durch die Mitglieder der damaligen Dresdner Hofkappelle (jetzt Sächsische Staatskapelle Dresden), die als bestes Orchester Europas galt und Beziehungen zu Italien unterhielt, u. a. zu Antonio Vivaldi. Hier hatte Bach Gönner und Unterstützer am Dresdner Hof, für den er u. a. seine berühmte „h-Moll-Messe“ schrieb.

 An fünf aufeinanderfolgenden Tagen fanden – wie alljährlich – die „Frauenkirchenbachtage“ mit gut abgestimmten und abwechslungsreichen Programmen statt, darunter die Aufführung der „Messe in h-Moll“ von J. S. Bach unter der Leitung von Matthias Grünert mit Hanna-Morrison, Damien Guillon, James Gilchrist, Peter Harvey, dem Kammerchor der Frauenkirche und dem Barockorchester Le Concert Lorrain (3.10.) sowie ein Kammerabend in der Unterkirche mit Albrecht Mayer, Oboe, Gabriel Schwabe, Violoncello und Vital Frey, Cembalo (4.10.).

 Den Auftakt bildete ein „Orgelspaziergang“ (2.10.) zwischen den drei großen Innenstadtkirchen, den beiden evangelischen Kirchen, Frauenkirche und Kreuzkirche und der katholischen Kathedrale (ehem. Hofkirche). Zurückblickend auf einen Orgelzyklus, den es bereits seit 8 Jahren gibt und bei dem im Wechsel zwischen diesen drei Kirchen Orgelkonzerte stattfinden, fand ein „Orgelspaziergang“ mit einer kleinen „Völkerwanderung“ zwischen den drei Konzerten durch die nächtlich erleuchtete Innenstadt, das (weitgehend) historische Zentrum, in dieser Form erstmalig statt und fand bereits regen Zuspruch.

 In einer guten Konzeption spielten in jeder Kirche alle 3 Organisten, Samuel Kummer (Frauenkirchenorganist), Holger Gehring (Kreuzorganist) und Thomas Lennartz (Domorganist) zu einem bestimmten Thema mit Bezug zu Bach, wobei der „Hausherr“ immer „das letzte Wort“ bzw. das erste Wort zur Begrüßung und den letzten Auftritt und damit „Heimvorteil“ hatte, wobei oft die „Gastorganisten“ an der jeweils „fremden“ Orgel besonders beeindruckten.

 Unter dem Motto „Bach und die französische Romantik“ standen an der Kern-Orgel der Frauenkirche, einer „Mischung“ aus den Orgelbau-Prinzipien beider Brüder Silbermann, Andreas (Straßburg) und Gottfried (Freiberg, Sachsen) neben J. S. Bach, der mit „Präludium Es-Dur“( BWV 552/1) und der Choralbearbeitung (BWV 663), dargeboten von Gehring und den von Lennartz besonders ansprechend, in flottem Tempo, aber sehr klar gespielten „Pièce d’Orgue“ (BWV 572), bei denen er es verstand, der Orgel die bestmögliche Wirkung zu entlocken und eine interessante und für den Raum genau richtige und für das 3. Stück (“Lentement“) eine besonders interessante Registerwahl zu treffen, vertreten war, standen Komponisten des 19. und beginnenden 20. Jh. auf dem Programm: Marcel Dupré (1886-1971) mit einer von Gehring vehement begonnenen und machtvoll und temporeich dargebotenen Transkription der Sinfonia aus der Bachkantate „Wir danken dir, Gott“ (BWV 29), bei der er mit geeigneter Registerwahl das Thema immer wieder aufleuchten ließ, Charles-Marie Widor (1844-1937) mit „Nr. 4 – Marche du Veilleur de Nuit“ aus „Bachs Memento“, bei dem Lennartz sehr gut den Bezug zum originalen Bach immer deutlich durchschimmern ließ und sowohl Widors als auch Bachs Stil in einer idealen Verbindung zum Ausdruck brachte, und „Nr. 2 – „Misere mei Domine“, von Kummer ansprechend und mit geeigneter Registrierung gespielt, sowie Adolf Friedrich Hesse (1809-1863), dessen romantische „Variationen über ein Originalthema“ (op. 47) mit ihrer eingängigen Melodik von Kummer sehr kontrastreich dargeboten wurde. Hesse und seine angenehm anzuhörende Orgelkomposition kennenzulernen, bedeutete für die Hörer eine Bereicherung.

 In der Kreuzkirche, der größten Kirche Dresdens mit einer großen Jehmlich-Orgel, erbaut 1961-63, drehte sich alles um B-A-C-H, Bachs musikalischen Namen, mit dem auch zahlreiche Romantiker in ihren Kompositionen eine große Verehrung für den Altmeister zum Ausdruck brachten.

 Zu ihnen gehören Franz Liszt, dessen „Präludium und Fuge über „B-A-C-H“, klar und gut durchdacht, von Kummer gespielt wurde, Robert Schumann, mit wirklich „sanften Stimmen“ bei „Nr. 3 aus „Sechs Fugen über B-A-C-H“ (op. 60) von Lennartz vorgetragen, wobei er nicht nur Wesen und Charakter der Musik Schumanns gerecht wurde, sondern auch der Besonderheit des Stückes, und „Nr. 5“, lebhaft gespielt von Gehring, und außerdem Carl Piutti (1846-1902 – Lehrer am Leipziger Konservatorium und Organist an der Leipziger Thomaskirche als Vorgänger von Karl Straube), mit einem „Fest-Hymnus“ und einem Choral vertreten, Camillo Schumann (1873-1946 – Organist und Komponist im thüringisch-sächsischen Raum), dessen „Fuge über B-A-C-H“ sehr ausgeglichen, frisch und abwechslungsreich von Lennartz gespielt wurde, und Max Reger mit der laut und „brausend“ von Gehring dargebotenen „Fantasie und Fuge über B-A-C-H“ (op. 46).

 Die Kathedrale, im italienischen Spätbarockstil von Chiaveri erbaut, führt mit ihrer 1755 geweihten (originalen) Silbermannorgel, einer der bedeutendsten historischen Orgeln Deutschlands, besonders dicht in die Nähe Bachs, wenn auch Bach bei der Weihe der Orgel schon 5 Jahre tot war. Er kannte aber viele Silbermannorgeln und auch Silbermann persönlich, mit dem er gemeinsam die Hildebrandt-Orgel in der Wenzelskirche zu Naumburg (Thüringen) geprüft und für gut befunden hat. Hildebrandt war Schüler und Geselle Silbermanns. Er hat bei der Orgel der Kathedrale mitgearbeitet und sie nach Silbermanns Tod fertiggestellt. Da die Orgel 1944 ausgelagert wurde, hat sie als einzige der 3 großen Dresdner Silbermannorgeln (auch Frauenkirche und Sophienkirche) den Bombenangriff 1945 überstanden und wurde durch Initiative (und Finanzierung) Otmar Suitners wieder restauriert und eingebaut und 1971 geweiht.

 2002 erneut restauriert und im Sinne der originalen Stimmung der Barockzeit wieder tiefer gestimmt, ist die Orgel jetzt ideal für die Wiedergabe barocker Orgelwerke geeignet, wovon man sich bei den Kompositionen von Bach und seinen Schülern sowie einem Ausschnitt aus dem „Gloria“ von Nicolas de Grigny (1672-1703 – Organist in Paris ), dessen Sammlung von Orgelwerken Bach sehr schätzte, von Gehring gespielt, überzeugen konnte.

 Bachs Schüler waren vertreten durch Friedrich Wilhelm Zachow (1663-1712), dem Lehrer G. F. Händels in Halle, von dem Kummer das „Capriccio in d“ und Johann Ludwig Krebs (1713-1780), von dem er „Präludium f-Moll“ vortrug und dessen „Fantasia sopra“ von Gehring gespielt wurde, Johann Christian Kittel (1732-1809), einen der letzten Schüler Bachs, der die „Bach-Tradition“ pflegte und weitergab und von dem Gehring „Präludium (Fantasie) D-Dur“ beisteuerte, sowie G. A. Homilius (1714-1785) ,wahrscheinlich Bachs erster Schüler und Organist an der Dresdner Frauenkirche und Kantor des Dresdner Kreuzchores), von dem Lennartz „Toccata und Fuge F-Dur (BWV 540) spielte. Als bekrönenden Abschluss interpretierte Lennartz außerdem Bachs berühmte „Toccata und Fuge F-Dur (BWV 540), besonders gut differenziert, mit klaren Linien und großen Spannungsbögen.

 Unter dem Thema „Bach und Dresden“ (5.10.) hatte Ludwig Güttler mit den von ihm gegründeten Virtuosi Saxoniae, einem Kammerorchester aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden, dem Sächsischen Vokalensemble (Einstudierung: Matthias Jung) und Solisten eingeladen und das Konzert mit J. S. Bachs “Messe F-Dur“ (BWV 233), die Bach später für seine berühmte „h-Moll-Messe“ mit verwendete, eröffnet.

 Es war ein Glücksfall, dieses ansprechende Werk in so guter Besetzung von Chor und Orchester kennenzulernen. Der Chor sang „lupenrein“ und zeichnete die polyphonen Linien in ihrer Verbindung und Gegenläufigkeit klar nach. Die schönen Stimmen der Chorsängerinnen und –sänger waren harmonisch aufeinander abgestimmt und bildeten zusammen mit dem Orchester, bei dem sich Bläser und Streicher ideal verbanden und dessen Qualitäten und Klangschönheit hier besonders in den reinen Orchesterpassagen zur Geltung kamen, die Voraussetzungen für eine ideale Wiedergabe.

 Anja Zügner sang die Sopranpartie zuverlässig und in gutem Zusammenklang mit dem Orchester (wenn auch mit leichter Schärfe in der Höhe und wenig Textverständlichkeit). Ebenfalls gut mit dem Orchester harmonierte auch Henriette Godde mit ihrer klangvollen Altstimme. Egbert Junghanns widmete sich seiner Partie mit Stilgefühl und Exaktheit, wenn auch mit dem gewöhnungsbedürftigen Timbre seiner vollen Bassstimme.

 Bei der Bachkantate „Eine feste Burg“ (BWV 80), die den Blick schon auf den Reformationstag (31.10.), den 8. Jahrestag der Einweihung der (neu erstandenen) Frauenkirche richtete, gesellte sich der junge Tenor Patrick Grahl zu den Solisten. Er verfügt über eine gute Stimme, deutliche Artikulation und sehr ansprechende Diktion und sang seine Partie souverän. Sehr schön gelang das Duett von Alt und Tenor mit Solovioline. Lediglich die kleinen Pausen zwischen den einzelnen, gut ausgeführten, Nummern störten und minderten etwas den sonst so positiven Gesamteindruck.

 Den Abschluss der Bachfesttage bildete die traditionelle „Sonntagsmusik“ (6.10.) in der zum Erntedankfest festlich geschmückten Frauenkirche, wobei der traditionelle Schmuck aus Getreide, Blumen und Früchten sehr stilvoll an die barocke Pracht des Bauwerkes angepasst war.

Mit lebensfroher Vitalität spielte das vielfach bewährte ensemble frauenkirche in relativ kleiner Besetzung, aber mit sehr schöner Klangfülle und der ihm eigenen Klangschönheit J. S. Bachs „Brandenburgisches Konzert Nr. 4 (BWV 1049). Matthias Grünert leitete das Konzert und die nachfolgende Bachkantate „Brich dem Hungrigen dein Brot“ (BWV 30) vom Cembalo aus.

 Jana Büchner sang in der Kantate nicht nur mit ihrer frischen, hellen, besonders schönen Stimme, begleitet von den zwei solistischen Flöten die Sopran-Arie mit der ihr eigenen Ausdrucksstärke und Ausstrahlung und makellosen Verzierungen, sie verlieh auch dem relativ kleinen Chor aus nur 9 Sängern, den 3 Solisten und 6 Sängern vom collegium vocale der Frauenkirche, Ausdruck und stimmlichen Glanz. Ihre sehr schöne Stimme mischte sich gut mit den übrigen Chorstimmen, die dadurch sehr gewannen. Annekathrin Laabs überzeugte mit warmer, leicht dunkel timbrierter Stimme in der Alt-Arie und besonders im Rezitativ. Bass-Rezitativ und -arie sang Sebastian Richter.

 Güttlers langjähriger Begleiter und musikalischer Mitstreiter, Friedrich Kircheis, füllte mit seinem Orgelspiel bei J. S. Bachs “Präludium und Fuge h-Moll“ (BWV 544) den Raum in angenehmer Weise. In geeignetem Tempo und mit wirkungsvoller Registrierung gestaltete er das Werk in großen Spannungsbögen „wie aus einem Guss“.

 Auch Bachs ältester Sohn, Wilhelm Friedemann Bach, hat eine enge Beziehung zu Dresden. Er war hier 14 Jahre lang (1733 -1746) Organist an der Sophienkirche, der evangelischen Hofkirche mit einer großen Silbermannorgel (nachdem der König und sein Sohn zum Katholizismus konvertiert waren, wurde die jetzige Kathedrale als katholische Hofkirche erbaut. Königin und Adel blieben jedoch evangelisch). Es war W. F. Bachs erste berufliche Station. Hier schrieb er seine Sinfonien, von denen die „Sinfonie in F-Dur“ (F 67) mit ihren sechs, sehr lebhaften und abwechslungsreichen Sätzen erklang.

Das kurze, aber sehr gut zusammengestellte und in sich ausgewogene Programm wurde ergänzt durch die „Fuge d-Moll“ (BWV 539, 2) von J. S. Bach, an der Orgel Matthias Grünert, der durch die deutliche Herausarbeitung der poylphonen Linien das Werk sehr klar in seiner Struktur erscheinen ließ.

 Ingrid Gerk

 

 

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