Opernhaus Dortmund Paul Abraham „Roxy und ihr Wunderteam“. Premiere am 29. November 2014. 3 : 1 für die Musik
Foto: Thomas Jauk, Stage Picture
Neidisch blicken Theaterintendanten auf die Massen von Zuschauern bei Fußballspielen. Um davon einen kleinen Teil in die Theater zu locken, werden Theaterstücke aufgeführt, die Fußball und seine Fans thematisieren. Obwohl Heimat nur des Drittligisten Preussen Münster gibt es im Theater Münster einen „Fußball-Liederabend“, der mit dem Lied endet „Ich würd´ niemals zum FC Bayern gehen“ Da würden auch sicher Schalker Fans einstimmen, wo es im Musiktheater im Revier Gelsenkirchen auch einen „Fußball-Liederabend“ unter dem Titel „Männer“ zu bestaunen gibt. Natürlich unternimmt Dortmund auch in dieser Hinsicht die meisten Anstrengungen. Schon im II. Akt der „Götterdämmerung“ ließ Christine Mielitz Hagens Mannen ein wenig Fußball spielen. In der Intendanz von Jens Daniel Herzog gab es dann im Opernhaus „Fangesänge“.
Jetzt hat man eine ziemlich vergessene „Fußball-Operette“ von Paul Abraham auf Texte von Alfred Grünwald und Hans Weigel mit dem Titel „Roxy und ihr Wunderteam“ gefunden, die 1937 in Wien uraufgeführt dann nicht mehr gespielt werden durfte, da Abraham Jude war.
Deshalb als Deutsche Erstaufführung bezeichnet war am vergangenen Samstag im Opernhaus Premiere unter der musikalischen Leitung von Philipp Armbruster in der Inszenierung von Thomas Enzinger. Da nur noch ein Klavierauszug, einige Orchesterstimmen und die Musik des nach der Operette entstandenen Tonfilms „Die entführte Braut“ existierten, übernahmen es Henning Hagedorn und Matthias Grimminger daraus für die Aufführung in Dortmund eine praktikable Rekonstruktion herzustellen.
Heute kaum zu glauben wurde die Bezeichnung „Wunderteam“ inspiriert von der Erfolgen nicht des BVB sondern der Österreichischen Nationalmannschaft zwischen 1931 und 1933. In der Operette geht es um die ungarische Mannschaft, die nach einer Niederlage gegen Schottland von ihrem Manager Baron Szatmary von London zum Training unter Mannschaftskapitän Gjurka Karoly in ein Lager am ungarischen Plattensee geschickt wird. Nicht sonderlich förderlich dafür ist das Auftauchen einer Gruppe Schülerinnen eines Mädchenpensionats veranlaßt durch Szatmarys Verlobte Aranka von Tötössy. Gjurka selbst wird von der Nichte Roxy des schottischen Mixed-Pickles-Herstellers Cheswick abgelenkt, die inkognito sozusagen als Maskottchen mit der Mannschaft nach Ungarn gereist ist, um ihrer Hochzeit mit Bobby, dem Neffen von Cheswick, zu entfliehen. Nach Operetten-üblichem Sträuben – Training soll ohne Sex und Alkohol sein – werden Roxy und Gjurka sowie Cheswick und Aranka Paare. Wieder Operetten-Logik folgend kommt es dadurch zum Fußball-Sieg und aus der Mannschaft wird „Roxys Wunderteam“
Foto: Thomas Jauk, Stage Picture
Eine solche wenig glaubwürdige Handlung kann dem Publikum nur durch eine witzige abwechslungsreiche Inszenierung Spaß machen. Dafür sorgte im natürlich runden Bühnenbild auf runder Drehbühne nach hinten begrenzt durch verschiebbare Wände mit einem riesigen Fußball als Zwischenvorhang (Bühne und fußballgerechte Kostüme von Toto) ganz gekonnt Thomas Enzinger. Das begann gleich mit dem Auftritt der altersklapprigen greisenhaften Mannschaft, die die Handlung als Erzählung ihrer früheren Erfolge feierte. Es folgten dann vor allem nach der Pause viele gelungene Gags bis hin zum choreographisch geschickt dargestellten Fußball-Sieg zum Schluß. Dafür und für die gesamte Choreographie gebührte Ramesh Nair grosses Lob. Nicht nur die Tanzpaare, auch Sängerinnen und Sänger brillierten im Step-Tanz, bei Nacht tanzten die Mädchen des Pensionats in ihren Schlafsäcken, beim unvermeidlichen Ball tönten Cocktail-Mixer im Rhythmus der Musik, auf dem Plattensee bewegte man sich mit Luftmatratze, Ruderboot und Surfbrett.
Dafür setzte Dortmund seine besten Sänger-SchauspielerInnen aus dem Opernensemble ein, weshalb sehr schön und auch dank Mikroports textverständlich gesungen und fast immer in akzentfreiem Deutsch gesprochen wurde. In der Titelpartie brillierte mit beweglichem Sopran Emily Newton. Ihren Gegenspieler und späteren Ehemann spielte „stürmerisch“ und sang mit tenoralem Schmelz Lucian Krasznec. Ganz grossen Spaß machten die Darsteller der witzigen Partien, vor allem Dortmunds Publikumslieblinge Johanna Schoppa als die Handlungsfäden ziehende Leiterin des Mädchenpensionats und natürlich Ks. Hannes Brock als schottische Sparsamkeit lobender Sam Cheswick. Letztere parodierte er auf einem Steg vor dem Orchestergraben – heute gar nicht mehr so selten – auch mit zeitkritischem Couplets: so Kanzlerin Merkels angeblich übertriebene Sparsamkeit, den mit Tore schiessen so sparsamen BVB (siehe am Tag nach der Aufführung!) oder viel zu wenig sparsam die Kosten des Dortmunder „ U“ . Eine Klasse für sich war Fritz Steinbacher als der unglückliche abgelehnte Verlobte von Roxy. Passend klang sein heller Tenor immer etwas weinerlich, als Werber im Schottenrock mit Dudelsack sang er auch Koloraturen. Das Duett mit Ks. Brock „Willst Du glücklich sein, laß dich nicht auf Liebe ein“ war so ein amüsanter Höhepunkt. Tanzend, auch Step, und singend begeisterten aus den Ensembles des Fußballteams Jens Janke als Torwart Jani und der Pensionatsschülerinnen Tina Podstawa als Ilka. Ihr komödiantisches Talent in gleich mehreren Rollen zeigten Frank Voß als Fußball-Manager Baron Szatmary, rasender Fußball-Reporter und östereichischen Dialekt beherrschender Zöllner sowie Thomas Günzler als Verwalter und salbungsvoller Pfarrer. Den Chor hatte wie immer Granville Walker perfekt einstudiert.
Dies alles hätte keinen Erfolg gehabt ohne die Dortmunder Philharmoniker mit Sebastian Plate am Jazz-Klavier, die unter Leitung von Philipp Armbruster big-band-reif Abrahams Musik und ihre raffinierte Instrumentation hören liessen, etwa schmachtende Soul-Klänge beim „Wunder“- Duett zwischen Roxy und Gjurka auf dem Plattensee. Auch die swingenden Jazz-Rhythmen im Stil der Zwanziger Jahre gelangen mitreissend, ebenso die ungarische Operetten- Folklore beim grossen Ball. Hier gebührte dem Solo-Geiger Alf Hoffmann kostümiert auf der Bühne feurigen Csardas spielend ein besonderes Lob. Den anderen Ball „im Savoy“gab es nicht weit entfernt zu sehen. Zwar fallen Ähnlichkeiten zwischen diesen Operetten Abrahams auf, aber die hier vorgestellte Fassung von „Roxy“ lohnte trotzdem die Wiederentdeckung.
Das Publikum im gut besetzten Opernhaus applaudierte schon nach einzelnen Gags und Musiknummern und auch zum Schluß bis zum unvermeidlichen Klatschmarsch auf den nicht übermässig geistreichen Refrain „Sport, Sport, Sport ist das allerbeste Wort“, insgesamt ein vergnüglicher Abend nicht nur für Fußballfans, sondern auch für Liebhaber von Operettenmusik zwischen Revue und Tonfilm wechselnd.
Sigi Brockmann 1. Dezember 2014