Opernhaus Dortmund Händel „Saul“ szenisch. Premiere am 25. April 2015 – besuchte zweite Aufführung am 8. Mai 2015
Neid frisst Seele auf
Foto: Björn Hickmann Stage Picture
In Wien hat Nikolaus Harnoncourt im März eine halbszenische Aufführung geleitet, in NRW gab es mehrfach szenische Aufführungen, nämlich des Oratoriums „Saul“ von Georg Friedrich Händel auf ein Libretto von Charles Jennens, jetzt auch an der Oper Dortmund unter der musikalischen Leitung von Motonori Kobayashi in der Inszenierung von Katharina Thoma.
Der altisraelitische König Saul ist zunächst erfreut über den Sieg seines Feldherrn David über Goliath und dessen Krieger. Dann begehen Israels Frauen den Fehler, David mehr zu preisen als Saul – Saul hat tausend Feinde besiegt, David aber zehntausend. Von da an verzehrt sich Saul jähzornig vor Neid und Angst um seinen Thron Als Folge fallen zunächst sein Sohn Jonathan und seine Tochter Michal, die David liebt, von ihm ab, dann seine ältere Tochter Merab, die zunächst David wegen seiner niedrigen Herkunft verachtete, schließlich sein ganzes Volk. Saul wendet sich von Gott ab, sucht Rat bei der Hexe von Endor. Von ihr angerufen sagt der Geist des Propheten Samuel Sauls Niederlage im Kampf und seinen Tod voraus. Von Gott verlassen fallen Saul und sein Sohn Jonathan. Nach Trauer über deren Tod und die Niederlage im Kampf schöpfen die Israeliten wieder Mut mit der Aussicht auf neue Stärke unter König David.
Diese Handlung spielte auf einer schwarzen Einheitsbühne begrenzt nach oben und unten mit je einem weissen Quadrat, wobei das obere je nach Bühnensituation gedreht werden konnte (Sybille Pfeiffer) Die Kostüme der Solisten waren wenig phantasievoll vornehm modern (Irina Bartels), David trat immer mit Rucksack auf, König Saul erhielt einen grossen weissen Königsmantel mit zugehöriger Krone fast gegen seinen aber nach Gottes Willen vom Volk aufgezwungen. Dies findet sich nicht bei Händel, steht aber im Alten Testament und wurde zur Ouvertüre pantomimisch dargestellt. Das Volk trat in zeitlich wechselnden Kostümen auf, von solchen in feierlichem Barock, um ihrem König zu huldigen, bis hin zu jüdisch-nachempfundenen in schwarz, etwa um die Niederlage zu beklagen, manchmal plakativ ergänzt durch weisse Handschuhe.
Foto: Björn Hickmann Stage Picture
Eine über die Bebilderung des Oratoriums hinausgehende Deutung – oder Umdeutung – des Geschehens strebte Katharina Thoma nicht an. Einige Szenen beeindruckten, etwa, wenn zum grossen Chor, in dem die schreckliche Wirkung von „Neid“ beklagt wird, Zacken aus Sauls Krone gebrochen wurden. Musikalisch hätte man sich die Oktavschläge der Begleitung dieses Chors etwas akzentuierter gewünscht. Wenn Sauls Untergang von der verzerrten Erscheinung von Samuels Kopf hinter der jetzt rot gefärbten Platte von Morgan Moody Lautsprecher-verstärkt prophezeit wurde, wenn Saul von den beiden Platten zerquetscht sein Ende fand, oder wenn zum Trauermarsch die Särge von Saul und Jonathan langsam hochgefahren wurden, konnten solche Einzelheiten beeindrucken. Der Chor trat stets als einheitliche Masse auf, was das Singen erleichterte. Allerdings störte das Geräusch der Schritte auf dem hölzernen Bühnenboden, wenn er hin- und herlief. Einige Male verläßt Händel selbst den Rahmen des Oratoriums, etwa wenn Saul dreimal einen Speer schleudern soll, aber nie trifft, zweimal gegen David und einmal gegen seinen eigenen Sohn Jonathan . In Dortmund genügte dafür ein Schwert und – wie kann es heutzutage anders sein – es wurde ein Stuhl geworfen! Der Kopf Goliaths, den David mitbringen soll, lag während der ganzen Aufführung als zerbrochener Kopf einer Monumentalstatue im Hintergrund.
Diese Inszenierung wertete die musikalische Seite auf.. Für die Titelpartie kann man sich kaum einen passenderen Darsteller vorstellen als Christian Sist, schon von der Gestalt her „er war eines Hauptes länger als alles Volk“, wie es in der Bibel heißt. Stimmlich treffsicher in Koloraturen konnte er mit seinem voluminösen Baß Emotionen wie Neid und Wut auf den erfolgreichen jungen Nebenbuhler aber auch Verzweiflung ausdrücken und spielte das Schicksal des immer tiefer ins Unheil fallenden Königs glaubhaft und eindrucksvoll. Zudem sang er vor allem in den Rezitativen weitgehend textverständlich.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten steigerte sich Ileana Mateescu als David stimmlich neben Koloraturen besonders in weichen lyrischen für ihren Mezzo sehr passenden Arien, wenn sie etwa mit dem Lied auf der Harfe Saul beruhigen wollte – erfolglos – oder den Tod ihres „Bruders(?)“ Jonathan beklagte. Darstellerisch spielte sie den Siegertyp, der sich leisten kann, bescheiden zu bleiben, bis sie selbst als David zum Königsamt gedrängt wurde.
Jonathan sang Lucian Krasznec mit hellem besonders in den Koloraturen bestens fokussiertem Tenor. Ein Höhepunkt waren Rezitativ und Arie, wo er, als sein Vater ihm befiehlt, David zu töten, zwischen Kindespflicht und Freundschaft schwankt und letztere siegt.
„Saul“ wurde in Dortmund aufgeführt als Kooperation mit dem Staatstheater Kassel. Für die besprochene Aufführung wurden die Rollen der beiden Töchter Sauls von dortigen Sängerinnen übernommen. Mit sehr lyrischem weichen Sopran gestaltete Ani Yorentz die Partie der Michal, später Davids Geliebte und Frau. Nach einem Stipendium der vom Hamburger Getreidehändler Alfred Toepfer gegründeten Stiftung FVS gehört sie erst seit 2012 zum Kasseler Ensemble. Ihre Liebesduette mit David waren musikalische Höhepunkte des Abends. Auch gerade in Kassel engagiert sang Jaclyn Bermudez die Rolle der zunächst auf ihre Vornehmheit als Königstochter eingebildeten Merab mit dazu passender zickig-dramatische gefärbter Stimme, wenn auch etwas schrill in den Spitzentönen
Gleich mehrere Rollen übernahm Ks. Hannes Brock. Als würdig schreitender Oberpriester durfte er einen siebenarmigen Leuchter mehrfach herein- und heraustragen, zeigte in seinen kurzen Arien makellose Intonation. Wie erwartet machte er aus der kurzen Rolle der Hexe von Endor ein schauspielerisches und sängerisches Kabinettstückchen.
Was sonst auch bei schwierigsten Chorpartien wohl noch nie vorkam, der von Granville Walker einstudierte Chor ließ leichte Unsicherheiten hören – es lag wohl an der langen Zeitspanne zwischen Premiere und dieser zweiten Aufführung.
Musikinstrumente werden schon häufig im Text erwähnt. Die israelischen Frauen ziehen mit Glockenspiel auf die Bühne, David singt zur Harfe – im Orchester nachgeahmt von Streichern. Unter Leitung von Motonori Kobayashi zeigten die Dortmunder Philharmoniker dabei ihre gewohnte Qualität. Erwähnt seien die Traversflöten im Trauermarsch – Deutschlands Standard – Trauermarsch bei Staatsbegräbnissen – oder die Fagotte bei der Erscheinung von Samuel. Von der begleitenden Continuo-Gruppe mit Cembalo und Orgel sei besonders gelobt Andreas Nachtsheim an der Theorbe.
Alles ist relativ! Wer sich erinnert, wie schlecht vor etwa zehn Jahren ein konzertanter „Saul“ im Konzerthaus besucht war. freute sich, daß das Publikum im Opernhaus nach diesem langen Händel-Abend auch lang und herzlich applaudierte mit einigen Bravos für die Sängerin des David.
Sigi Brockmann 10. Mai 2015