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DORTMUND: ELIAS „I have a dream oder ich beschloss prophetischer Politiker zu werden“ – als „Szenisches Oratorium“

07.04.2012 | KRITIKEN, Oper

I have a dream oder Ich beschloss,  prophetischer Politiker zu werden – Felix  Mendelssohn-Bartholdy: Elias – szenisches Oratorium; Premiere 3.3.2012, besuchte  Vorstellung 6.4.2012


Foto: Bettina Stöß

Felix Mendelssohn-Bartholdy träumte Zeit seines Lebens von der großen Oper,  Projekte scheiterten vor allem an der minderen Qualität der Libretti. Könnte  aber nicht sein großes Oratorium „Elias“ vielleicht sein Vermächtnis für das  andere Medium sein? Dortmunds Regie führender Intendant Jens-Daniel Herzog und  sein Ausstatter Mathis Neidhardt experimentieren in einer Versuchsanordnung  damit, um Mendelssohns Oratorium szenisches Leben einzuhauchen. Das Ergebnis kann nicht anders als zwiespältig ausfallen, zumal wenn man allzu diesseitige  Bilder bemüht.

Zugegeben, ein barfüßiger Prophet in Wallegewänden überzeugt  heute wohl kaum noch und entlockte allenfalls ein Lächeln, mit dem man heute Hollywood-Schinken a la „Die Zehn Gebote“ begegnet. Elias als einen  Realpolitiker zu  zeichnen, der nicht unbedingt von seinen Idealen überzeugt ist, sondern an sich und seinen „Fans“ zweifelt, ist vom Ansatz her zwar  interessant, stellt aber auch eine ungeheure Gratwanderung dar. Jens Daniel Herzog kann mit  diesem Ansatz am ehesten im dramaturgisch dichteren zweiten Teil überzeugen, im ersten häufen sich fatal oberflächliche klischeehafte Plattitüden die gerade  eben an Peinlichkeiten vorbeischrammen. Herzog macht es sich zu einfach, wenn er  den israelischen „Wutbürger“ als Teil unserer Gesellschaft zeichnet, der sich  eher über erhöhte Benzinpreise echauffiert, denn über ausbleibenden Regen.
Dürreperioden haben unsere Breitengrade recht selten und eher peripher  betroffen, da hätte man die Szenerie schon konsequenterweise in
Katastrophengebiete wie die Sahelzone verlegen müssen. Die Showeffekte, vor  allem das missglückte erste Finale, rückt doch fatal in die Nähe
von Trashproduktionen a la Bibel-TV oder „Day Star“ und der Politikerprophet erscheint hier doch sehr als männlicher Joyce-Meyer-Verschnitt: „Halleluja,  preiset den Herrn! O Herr, lass es regnen und schenke uns Beach-Parties!“

Dass dieses gutgemeinte Projekt nicht ganz zum Scheitern verurteilt ist,  verdankt Herzog allein seinem Elias-Darsteller Christian Sist. Der hünenhafte Baß-Bariton erscheint als Idealbesetzung des zweifelnden Propheten. Unprätentiös  im Spiel, stellt Sist einen Charismatiker dar, der uns sein Leiden, sein Zweifeln  aber auch seine Ideale glauben lässt. Dabei singt er das hinreißend mit seinem  warmen Baßbariton, ohne in pastosen Prophetenton zu verfallen, ergreifend seine  große Arie „Es ist genug“,  aber auch seine „Horeb-Rede“.
Trotz aller szenischer Widrigkeiten, die musikalische Seite ist vor allen  Zweifeln erhaben. Kapellmeister Motonori Kobayashi dirigiert mit seinen exquisit  aufspielenden Dortmunder Philharmonikerneinen Mendelssohn der Extrtaklasse,  dabei nie der Versuchung verfallend, den Hochromantiker – trotz der Anklänge –  in die Nähe Wagners zu rücken. Kobayashis Mendelssohn kommt luftig, ja schon fast mit impressionistischer Clarte daher, eine grandiose Leistung.Eigentliche  Hauptrolle ist in Mendelssohn-Bartholdys Oratorium neben dem Propheten der Chor  und da durfte man in Dortmund auch wieder Großes erwarten. Für einen  Opernchor stellt der Ausflug in die ungewohnten Gefilde der Konzertliteratur  stets eine besondere Aufgabe dar und die Dortmunder, unter der souveränen  Einstudierung Granville Walkers, bewältigten dies in ergreifender Grandezza.
Klangschön mit stupenden Piani dabei aufwühlend in den expressiven Stellen,  solche Perfektion hört man selten – ein großes Lob. Doch nicht genug,
die komplexen Solostellen der Engel-Ensembles ertönen in Dortmund in  berückender, ja fast verklärter Schönheit, dass man meint, wirklich „englische“  Musik zu vernehmen.Im schlichten Kammerton, als handle es sich um romantische  Liederspiele verströmte das Engelssextett Anke Briegel, Katharina Breetz, Diane Blasis, Martin Müller-Görgner, Hyun Seung Oh und Karl Heinz Lehnerihre Weisen.Zum ergreifenden Höhepunkt geriet auch Julia Amos Klage der Witwe „Höre Israel“  zu Beginn des zweiten Teils. Als des Propheten Pressesprecher Obadja ließ John  Zuckerman mit leichtem Tenor aufhorchen, den göttlichen Wetterbericht gab ein  Knabensopran der Chorakademie Dortmund in bewegender Weise.Ob das szenische Experiment gelungen ist, sollte jeder Zuschauer für sich selbst entscheiden,  manch angebotene szenische Lösung konterkarikiert,ja erdrückt  die kontemplative  Bildgewalt der Textvorlage – musikalisch allerdings ist die Aufführung in  Dortmund mehr als lohnenswert, wie die dankbare Aufnahme des fast  ausverkauften Saals an diesem Karfreitag unter Beweis stellte.

Dirk Altenaer

 

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