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Doris Knecht: DIE NACHRICHT

23.09.2021 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Doris Knecht 
DIE NACHRICHT
Roman
254 Seiten, Verlag Hanser Berlin, 2021 

Man greift zu diesem Buch nicht nur, weil man die  Autorin als Journalistin und Romanschriftstellerin kennt. Es geht auch darum, dass es kein Entkommen vor dem Thema gibt, das sie in ihrem jüngsten Werk „Die Nachricht“ anschneidet. Der Mensch von heute ist in der digitalen Welt gefangen, er ist ihr ausgeliefert. Nur dass der Durchschnittsbürger im Alltag vielleicht keine unmittelbare Drohung darin sieht. Doris Knecht zeigt, wie es sich anfühlt, wenn man betroffen ist, wenn plötzlich die Bedrohung aus dem Netz kommt.

Ich-Erzählerin Ruth kommt der Leserin, dem Leser locker und sophisticated entgegen und erzählt dennoch eine Geschichte, die stellenweise würgend ist.

Die Nachricht kommt auf Seite 1 des Textes, lässt also nicht auf sich warten. Auf Facebook gibt es hier eine Enthüllung über Ruths verstorbenen Mann Ludwig, als ob sie nicht längst gewusst hätte, dass er eine Geliebte hatte. Dennoch hat sie sein plötzlicher Tod (Opfer eines  Autounfalls, für den er nichts konnte) vor vier Jahren anfangs aus der Bahn geworfen, bevor sie sich selbst wieder einigermaßen fangen konnte.

Die Versicherung, dass sie es mag, allein zu sein, passt allerdings nicht zu ihren Lebensumständen: Sie ist beruflich viel unterwegs, lebt am Land mit ihrem 15jährigen Sohn Benni (der ältere, Manuel, lebt mit seinem Freund in Amsterdam), sie hat genügend Beziehungspersonen, die Stieftochter Sophie (was dahinter steckt, dass deren Baby-Tochter Molly vaterlos ist, erfährt man erst mit der Zeit), die Freundin Johanna, die immer für sie da ist, die Schwägerin Wanda (wenngleich es mit ihr eine schlimme Krise gibt), andere Bekannte privat und beruflich. Sie lebt in einem Netz, das sie auffängt. Obwohl ihr niemand helfen kann, als die Nachrichten weiter kommen und auch an ihren Freundeskreis geschickt werden. Nun sind es bösartige Beschimpfungen ihrer Person mit genauer Kenntnis dessen, was sie tut. Das ist unheimlich. Es kann also nur ein Mensch aus ihrem Umfeld sein.

Der tote Gatte Ludwig ist der Mann, der in ihrer Erinnerung am präsentesten ist, während sie sich in der Gegenwart mit einem unzuverlässigen Liebhaber, dem Schweizer Psychiater Simon, plagt, der die Beziehung eher off and on betreibt, wie es ihm beliebt.

Was das Buch nun schildert, ist die Vergiftung von Ruths Leben, aber auch die tiefe Verunsicherung ihrer Beziehungen zu Freunden und Bekannten, die in dieser Stalker-Sache offenbar nicht durchaus auf ihrer Seite stehen – als habe sie die Beschimpfungen provoziert und verdient. Feindseligkeit weht durch den Alltag.

Es ist kein Krimi, dennoch sucht man nach dem Täter, Ruth konfrontiert sogar Valerie, die Geliebte des verstorbenen Gatten, sie misstraut Simon… und am Ende gibt es dann, wie im Kriminalfilm, die Lösung. Tatsächlich steckt hinter den Internet-Trollen, die sich aus der Beschimpfung ihrer Mitmenschen einen Spaß machen, in ihrem Fall jemand, den sie kennt. Und jemand, der absolut nicht für diese Tat büßen muß. (Nur die Motivation des Täters wird absolut nicht klar, und man wüsste doch gern, was ihn zu dieser Bösartigkeit getrieben hat…)

Angesichts dessen, dass heutzutage geradezu drückend die neuen Romane überwiegen, in denen Familiengeschichte in die Vergangenheit hinein erzählt werden, dankt man der Autorin ein Buch, das (intellektuelles) Frauenleben von heute facettiert darstellt – mit all den Problemen, die das digitale Zeitalter für den letztlich doch analog konzipierten Menschen mit sich bringt.

Renate Wagner

 

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