Donaueschinger Musiktage 2018: EXPRESSIVE VIELFALT DER KLANGWELTEN
Donaueschinger Musiktage vom 18. bis 21. Oktober 2018/
Es war eine Tour de force von fast allzu großer Dichte und Konzentration. Bei den Donaueschinger Musiktagen wurden Stücke von 17 Komponisten und neun Komponistinnen aus 18 Ländern aufgeführt. Alle Uraufführungen dieses Festivals waren Kompositionsaufträge des Südwestrundfunks. Seit 1993 ist die Klangkunst fester Bestandteil der Donaueschinger Musiktage. Mit Klangskulpturen und Installationen in der Alten Molkerei, dem Fischhaus am Schlosspark und dem Gewölbekeller der Alten Hofbibliothek wurde dem Publikum ein breites Spektrum geboten. Björn Gottstein, Leiter der Donaueschinger Musiktage, ist davon überzeugt, dass man sich aufgrund der Fülle des Dargebotenen um die Neue Musik nicht zu sorgen braucht. Die Neue Musik könne wichtige Anregungen zu unserem „beschädigten Leben“ geben. Oberbürgermeister Erik Pauly meinte, dass der Erfolg der Donaueschinger Musiktage undenkbar wäre ohne die reibungslose Zusammenarbeit von Südwestrundfunk, der Stadt Donaueschingen und der zahlreichen Firmen vor Ort. Die Donauschinger Musiktage 2019 finden vom 17. bis zum 20. Oktober statt. In einer Podiumsdiskussion mit Susanne Benda (Kulturredakteurin der Stuttgarter Zeitung/Stuttgarter Nachrichten) und Stefan Fricke betonte der Stuttgarter Opernintendant Viktor Schoner die Bedeutung des Vertrauens im Rahmen der künstlerischen Zusammenarbeit. Zentraler Ausgangspunkt der Diskussion war die Frage, wie weit man Künstlern hinsichtlich von „Vitamin B“ entgegenkommen dürfe. Beteiligt waren an diesem aufschlussreichen Gespräch auch die Komponistin Isabel Mundry und der Manager Herve Boutry. Megumi Kasakawa und Garth Knox (Viola) präsentierten zunächst „desaccord 2“ von Peter Eötvös in memoriam B.A. Zimmermann – ein Werk, das die Erinnerung an den Komponisten in feinnervigen Tremolo-Passagen festhält. „Contra-diccion“von Elena Mendoza ist ebenfalls eine musikalisch hochwertige Komposition für zwei Violas (2001) mit Glissando- und Pizzicato-Strukturen. Reminszenzen an Luigi Nono lassen sich unschwer ausmachen. Angesichts der Fülle der Veranstaltungen lässt sich insgesamt
feststellen, dass das musikalische Niveau der diesjährigen Donaueschinger Musiktage durchaus unterschiedlich war. Herausragend war in jedem Fall die Performance von Georges Aperghis‘ „Thinking Things“ für vier Performer, robotische Erweiterungen, Video, Licht und Elektronik (2018). Johanne Saunier, Donatienne Michel-Dansac, Richard Dubelski, Lionel Peintre (Performer) und Emilie Morin (Regieassistenz) schaffen hier eine faszinierende Verbindung zur Stummfilmzeit der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts. „Thinking Things“ sind dabei Roboter und Maschinen, mit denen wir zusammenleben. Deutlich wird dabei, was der Mensch preisgibt, wenn er sich Robotern überlässt. Sehr faszinierend war ferner die suggestive Begegnung mit dem hervorragenden Cikada Ensemble aus Norwegen unter der inspirierenden Leitung von Christian Eggen. Sehr explosiv und gleichzeitig klar in der Struktur wirkte die Komposition „Seven Discobediences“ für Klavier und Ensemble von Rolf Wallin mit Anklängen an Debussy und Grieg. Alle Musiker klopften zuletzt ans Klavier, es gab auch enorme Schlagzeug-Konvulsionen. Sehr lyrisch erschien im Gegensatz dazu Klaus Langs Stück „parthenon“ für Ensemble (2018), wo sich ein facettenreicher Schwebeklang irisierend behauptete. Das höchst virtuose „Chamber Piano Concerto“ von Agata Zubel spielt virtuos mit Streicher- und Schlagzeug-Passagen, die auch elektrisierende Momente besitzen. Da prallen oft Welten aufeinander. Den renommierten Karl-Sczuka-Hörspielpreis für „Akustische Spielformen“ erhielt in diesem Jahr der Musiker Martin Brandlmayr für „Vive les fantomes“, wo mit den Stimmen von Miles Davis, Billie Holiday und Thelonious Monk eine Vielzahl von akustischen Momentaufnahmen beschworen wird. Den Karl-Sczuka-Förderpreis 2018 erhielt für „Die Gefahren eines Jahres im Deutschlandfunk“ Carsten Schneider. Hier werden Verkehrsaufnahmen in raffinierter und witziger Weise persifliert. Schneider sammelte dabei ein Jahr lang rund 70.000 „Gefahren“ mit Badewannen, Lamas, Regenschirmen und Schlauchbooten. Aufregend wirkte ferner der gelungene Auftritt des Klangforums Wien unter der Leitung von Ivan Volkov. Eher ruhig kommt dabei „Resilienztraining“ für Ensemble und Turntables von Eduardo Moguillansky (2018) daher. Mit Ostinato- und Glissando-Passagen wartet dagegen „Case White“ von Mirela Ivicevic auf. Crescendo- und Elektronik-Verfremdungen überraschen ferner bei der ungewöhnlichen Komposition „21.10.18“ von Koka Nikoladze als Kompositionsauftrag des Ultima Festivals. Das Orchester ahmt gleichzeitig die Elektronik nach. Und mit sphärenhaften Unisono-Passagen wartet schließlich „Ballata N. 7“ von Francesco Filidei auf, wo sogar ein Pistolenschuss fällt. Zuweilen erinnert dieses Werk fast an Janacek. Es ist auch leise und idyllisch. Der Komponist ist deutlich auf der Suche nach der romantischen Form. Mit dem SWR Symphonieorchester (sowie Carlo Laurenzi, Computermusikdesign, und Luca Bagnoli, Toningenieur von IRCAM) unter der energischen Leitung von Pascal Rophe sowie dem SWR Vokalensemble unter der Leitung von Florian Helgath gab es dann ein weiteres herausragendes Konzert in den Donauhallen. Das beste Stück war hier zweifellos „Air on Air“ von Ivan Fedele für verstärktes Bassetthorn und Orchester (2018), wo der Solist Michele Marelli mit fliegenden Klängen und flüchtigen Staccato-Attacken voll aus sich herausging. Durch die raffinierte Stimulation des Resonanzrohres entstanden atemberaubende Höreindrücke. Malin Bangs vielschichtiges Orchesterstück „splinters of ebullient rebellion“ (2018) erhielt den Orchesterpreis des SWR Symphonieorchesters. Die dynamische Vielheit der Stimmen trat hier in faszinierender Weise immer deutlicher hervor – und die gegensätzlichen Blöcke der orchestralen Struktur schufen zwischen Pizzicato-Passagen ungewöhnliche Kontraste. „Mouhanad“ von Isabel Mundry für Chor a cappella (2018) überzeugte aufgrund des ausgezeichneten Vortrags des SWR Vokalensembles, das in kunstvoller Weise Oszillationen zwischen Nähe und Distanz beschwor. Mouhanad ist übrigens ein in Berlin lebender syrischer Student im Flüchtlingsstatus. Die Komponistin führte mit ihm ein Interview. „Come Play With Me“ für Solo-Elektronik und Orchester (2016-18) von Marco Stroppa basiert auf dem Gedicht „The Wild Swans at Coole“ (1919) von William Butler Yeats. Die Elektronik reagiert dabei sensibel auf die Reaktion des Eichhörnchens. Ostinato-Bewegungen korrespondieren hier mit facettenreichen Glissando- und Tremolo-Passagen. Schwächer wirkte dagegen „Fassbinder Wunderkammer“ von Alessandra Novaga (Gitarre) aus dem Jahr 2017, wo es um Rainer Werner Fassbinder und seine Filme geht. Neben „Lilli Marleen“-Reminiszenzen und der Beschwörung der „Internationale“ störten dabei Aussteuerungsprobleme aufgrund einer unzureichenden Technik. Das SWR Experimentalstudio (Klangregie: Lukas Nowok und Reinhold Braig) präsentierte dann in der Erich-Kästner-Halle zusammen mit dem nuancenreichen ensemble mosaik reine elektronische Musik mit vielen chromatischen Aufgängen. Dies zeigte sich neben Marcus Schmicklers „Sky Dice/Mapping the Studio“ und Florian Heckers „Synopsis As Texture“ vor allem bei „Rundfunk“ von Enno Poppe. In der Baar-Sporthalle interpretierte das SWR Symphonieorchester unter der impulsiven Leitung von Peter Rundel zuletzt das Abschlusskonzert der Donaueschinger Musiktage. „Dead Wind“ für Orchester von Janis Petraskevics, wo die Musik gleichsam die Angst vor dem Stottern überwinden soll. Lars Jönsson und Klaus Steffes-Holländer (Klavier) spielten dann das höchst expressive Stück für großes Orchester und Klavier vierhändig HMV 62 von Hermann Meier aus dem Jahre 1965. Das statische Prinzip und die geometrische Starrheit scheinen bei diesem Werk deutlich zu triumphieren. Einflüsse der elektronischen Musik und Zwölftonmusik machen sich immer wieder bemerkbar. Bei „Ricochet“ von Benedict Mason wird ein totaler Auflösungsprozess im Orchester zelebriert, die Geigen bewegen sich an den Zuschauerreihen vorbei, beschwören chromatische Bewegungen. Im Hintergrund vernimmt man Bläserchoräle. Eine originelle Idee, der manchmal allerdings eine noch stringentere kompositorische Struktur fehlt.
Alexander Walther