Dmitri Shostakovich:
SUITE NACH GEDICHTEN VON MICHELANGELO BUONARROTI, Op. 145a,
Chicago Symphony Orchestra unter Riccardo Muti; CSO – Resound CD
Düstere Gesänge als intime Grenzziehung großer Kunst
Shostakovich schrieb seine Suite basierend auf Versen des Universalisten Michelangelo Buonarroti nach seiner Lungenkrebsdiagnose. Für Michelangelo war die Poesie eine persönliche „Frage des Herzens und des Gewissens“. Shostakovich war fasziniert von dieser Auffassung des dichterischen Worts als eine unmittelbar intime Auseinandersetzung mit den Rätseln und Sehnsüchten des eigenen Ich, gerade weil kaum ein anderer Komponist des 20. Jahrhunderts so sehr um die klare Grenzziehung zwischen öffentlicher Kunst und dem Innenleben eines Künstlers zu ziehen wusste/gezwungen war. Elf Gesänge um Liebe, Endlichkeit, Tod und Unsterblichkeit wählte Shostakovich für seine durchwegs in leisen Tönen gehaltene Arbeit. Zum fünfhundertsten Geburtstag des Renaissancekünstlers konzipiert, entstand die Orchesterversion im Jahr 1975 auf Anfrage des Kollegen Aram Khatschaturjan.
Ildar Abdrazakov interpretiert diese bekenntnishaften Lieder mit warm leuchtender, vor innerer Anteilnahme vibrierender Stimme. Der russische Bass versteht es, den unterschiedlichen Inhalte und Stimmungen der elf Dichtungen mit einer unendlichen Ausdruckspalette an sonoren Piani und Pianissimi auszuloten, nur selten geht der Orchestersatz und die Dynamik des Vokalparts ins dramatisch Auflehnende wie etwa beim Lied „An den Verbannten“ oder „Schaffen“. In „Nacht“ als Tribut an Michelangelos berühmte Skulptur in der Medici Kapelle in San Lorenzo in Florenz erleben wir eine lautmalerische Annäherung der Musik an die Bildhauerei. Mit meißelnd präzisen Rhythmen scheint der Tonsetzer Musik am dichterischen Wort entlang zu formen. Der Zyklus endet mit den Themen „Tod“ und „Unsterblichkeit“. Abdrazakov gestaltet auch diese nachtdunklen Gedanken um Vergeblichkeit des Wartens sowie der Erlösung vom Tod durch schöpferische Unsterblichkeit unnachahmlich einfühlsam. Man vermeint, einem düsteren Blaubart seine innersten Geheimnissen monologisierend preisgeben zu lauschen. Riccardi Muti liefert mit dem Chicago Symphony Orchestra den in diesem Falle uneitlen, stillen und dienenden Rahmen für den Solisten.
Die CD enthält neben diesem im Juni 2012 mitgeschnittenen Werk noch Schoenbergs Kol Nidre, live im März 2012 aufgenommen.
Dr. Ingobert Waltenberger