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Dirk Schümer; DIE SCHWARZE ROSE

12.03.2022 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

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Dirk Schümer
DIE SCHWARZE ROSE
Roman
608 Seiten , Paul Zsolnay Verlag, 2022

Anno domini 1328. Papst Johannes XXII. residiert in Avignon und hat nichts Besseres zu tun, als die der Ketzerei Verdächtigen vor sein Gericht zu zitieren. Dabei ist der Ausgang eines solchen Prozesses – der Scheiterhaufen – oft schon vorbestimmt. Dennoch macht sich Eckhart von Hochheim (eine historische Figur, bei uns bekannt als Meister Eckhart) gehorsam auf den Weg, um sich gegen die Anschuldigung der Ketzerei zu verteidigen.

Ihm zur Seite ist sein junger Adlatus, Wittekind, ein Dominikaner-Novize, der sich als der Held des Romans „Die schwarze Rose“ herausstellt. Die „Rose“ findet sich nicht von ungefähr im Titel: Der deutsche Autor Dirk Schümer, studierter Historiker, im Hauptberuf Journalist, segelt zugegebenermaßen im Kielwasser von Umberto Ecos „Der Name der Rose“.

Das ist ein wahnwitziges Unternehmen, und man tut dem 600-Seiten-Wälzer einen Gefallen, wenn man ihn nicht mit der gewählten „Vorlage“ vergleicht. Denn Ecos literarisches  Niveau erreicht das Buch wirklich nicht – aber man hat es mit einem sorglich recherchierten historischen Roman zu tun, der immer wieder ins Krimi- und Abenteuer-Genre überwechselt.

Wittekind, das Findelkind, das ins Kloster gebracht wurde und die Gelegenheit benützt hat, zu lernen, was er nur konnte (darunter eine Menge Sprachen), ist durchgehend der Ich-Erzähler der Geschichte, auch wenn im 50. Kapitel der Autor plötzlich eine Rahmenkonstruktion anbietet, die besagt, dass das mittelalterliche auf Pergament geschriebene Manuskript  2020 auf einer Atlantik-Insel gefunden wurde und der Autor  nur als Übersetzer und Herausgeber fungiere. Ein bekannter literarischer Trick, der hier eigentlich nicht nötig wäre.

Wittekind, der Eckhart begleitet wie einst Adson von Melk den William von Baskerville bei Eco (diesen Baskerville borgt sich der Autor kühn für einen kurzen Gastauftritt aus), erzählt also die Ereignisse in der damaligen Reserve-Papst-Residenz Avignon. Für den Leser ist ein Stadtplan aus dem Mittelalter hilfreich, der viele der Handlungsorte aufzeigt und man sich wirklich auskennen kann, was wo passiert.

Die Stadt ist überlaufen vom Apparat der päpstlichen Verwaltung, wobei es vordringlich um Geld geht. Gaukler, Bettler, Handwerker, Adlige zu Hauf, Geldwechsler, Hundertschaften von Klosterinsassen treiben sich  außerdem dort herum, in der Hoffnung als Profiteure des Geschehens fungieren zu können. Es bilden sich eigener Cliquen – die Italiener, die Juden u.a. – , wobei jeder gegen jeden ausspielt, um an die Futtertröge zu kommen. Es fehlt nicht an Exotik, man stolpert über maurische Sklaven, einen holländischen Impresario, italienische Münzmacher – kurz, wie man sich das turbulente Mittelalter vorstellt.

Die titelgebende schwarze Rose ist in Besitz von Lisabeta de Pictia,  einer rasanten Schönheit, die als Sängerin und Tänzerin bei dem Holländer auftritt, aber als ihr adeliger Liebhaber Arnaud de Trian, der Marschall des Papstes, ihr eine jüngere Jüdin vorzieht und diese verschleppt, wirft sie ihm die schwarze Rose vor die Füße…

Morde geschehen hier zuhauf, auch in Zusammenhang mit einem mysteriösen Eisenkästchen (so ein „fatales Requisit“ macht sich nicht nur im Schauer-Theaterstück, sondern auch im Roman gut), in dem sich jener kostbare Münzstempel mit dem Antlitz des Papstes befindet, mit dem dieser  eine neue Währung erstellen und die Ausbeutung aller noch multiplizieren möchte… Der Autor weiß: Geschichte ist auch (und vor allem?) Wirtschaftsgeschichte.

Eckhart und Wittekind als Dominikaner dürfen in deren Konvent unterkommen. Eckhart wartet auf die Vorladung und versucht seine Verteidigung zu formulieren, während Wittekind sich in Avignon herumtreibt und wachen Auges alles beobachtet  – und sich für den Leser als unglaublich gewandter, cleverer, gebildeter Superjunge wie aus dem Kino erweist. Vielleicht ist das eine der Schwächen des Buches, dass der Wunderknabe einfach zu gut und klug ist und auch zu „heutig“ formuliert, als dass man nicht einen sehr gebildeten, sehr erwachsenen Autor des 21. Jahrhunderts hinter ihm vermuten müsste. Wittekind wird auch zum Action-Helden, dem die Kassette mit dem Papststempel in die Hand fällt…

… aber bis Eckhardt am Ende als Häretiker verurteilt wird und der Autor ihm einen komplizierten Tod auferlegt, der so nicht in den Geschichtsbüchern steht, zieht sich die Lektüre der 600 Seiten manchmal doch, auch weil der Autor auf viele Mäander und Abschweifungen des Erzählens nicht verzichten will, die dann nur sein enormes Wissen über die Zeit ausstellen.

Immerhin darf Wittekind, der sympathische, aber doch gänzlich unrealistische Teufelsjunge, entkommen, aber man hätte seine durchaus süffige Geschichte fast lieber gelesen, wäre sie um ein Drittel kürzer. straffer und prägnanter.

Renate Wagner  

 

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