Dippoldiswalde/Parksäle: „EIN DEUTSCHES REQUIEM“ – 23. 11. 2013
Vielerorts werden, einer langen Tradition zufolge, Ende November zum Toten- bzw. Ewigkeitssonntag Totenmessen und Oratorien in Kirchen und Konzertsälen aufgeführt, wobei „Ein Deutsches Requiem“ von Johannes Brahms neben dem „Mozart-Requiem“ einen besonderen Vorzug genießt.
Für die Aufführung in den Parksälen in Dippoldiswalde im Rahmen des 35. Jahrganges der Reihe „Meisterinterpreten im Gespräch“ standen ein ausgezeichneter Chor, das Sächsische Vokalensemble (Leitung: Matthias Jung) und ein erstrangiges (Kammer-)Orchester, die Dresdner Kapellsolisten (Leitung: Helmut Branny), das vorwiegend aus Mitgliedern der Sächsischen Staatskapelle Dresden besteht, zur Verfügung.
Für die Sopran-Arie war Ute Selbig und für die Bariton-Partie Henryk Böhm vorgesehen. Man hatte sich sehr auf Ute Selbig gefreut, denn sie ist einfach die ideale Besetzung für diese Partie. Eine Erkältung vereitelte jedoch diese Erwartungen.
Für sie war kurzfrist die junge, in München geborene, mehrfach ausgezeichnete und international schon erfolgreiche Julia Sophie Wagner eingesprungen. Sehr klar, mit guter Stimme und technischer Perfektion sang sie die Sopran-Arie makellos und mit allen Finessen vom expressiven Fortissimo bis zum dezenten Piano, technisch bis ins Detail ausgefeilt. Man vermisste lediglich etwas von der gewohnten Innigkeit und das wie aus dem Jenseits langsame Näherkommen in einem sanften Crescendo, eine zeitlang bei den „Diesseitigen“ verweilend und zu ihnen sprechend und wieder langsam in die Unendlichkeit entschwindend wie eine Vision, die Brahms möglicherweise als Assoziation zu seiner verstorbenen Mutter sah. Julia Sophie Wagner orientierte vor allem auf perfekte Diktion und Artikulation. Sie dürfte zu großen Hoffnungen berechtigen.
Henryk Böhm, sehr stilerfahren im Oratorien-Gesang verkörperte die Bariton-Partie, in deren 1. Teil sich Brahms möglicherweise selbst sah („Herr, lehre doch mich“) mit der gleichen Perfektion und Akribie, aber auch entsprechendem Gestaltungsvermögen.
Unter der inspirierenden Leitung von Matthias Jung fand eine äußerst lebendige, tief auslotende Aufführung statt. Chor und Orchester, prädestiniert für solche Aufführungen, vermittelten das „gewisse“, spannungsreiche „Etwas“, das sich nicht beschreiben, sondern nur erleben lässt. Der Chor verfügt über sehr schöne Stimmen, genaue Diktion, auffallend deutliche Artikulation und tiefes Verständnis für die Musik. Man konnte mühelos jedes Wort verstehen und verinnerlichen. Das Orchester, viel gerühmt, immer wieder zuverlässig und mit „Herz und Seele“ dabei, sorgte in einer großen Spannbreite zwischen wuchtigen, erschütternden Teilen, wie in dem gewaltigen, durch die Pauke unterstützten „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras“ oder „Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg“, dem triumphierenden „Der Tod ist verschlungen in den Sieg“ bis zu fühlender Trauer in „Selig sind, die da Leid tragen“ und dem wirklich lieblich gesungenen „Wie lieblich sind deine Wohnungen“ bis zu wirklicher Freude und Trost im abschließenden „Selig sind die Toten“. Diese durchsichtige, sehr klare, erschütternde, aber auch tröstliche Wiedergabe ging „unter die Haut“. Hier kam in jeder Phase die Ausdruckskraft und Klangschönheit der Brahms’schen Musik zur Geltung.
Obwohl Tuba, Trompeten und Pauke in der üblichen Orchesteraufstellung in die Nähe der seitlichen Arkaden des Saales gerieten, die die Instrumente manchmal überdimensioniert laut erscheinen ließ, war eine exakte Ausführung zu erkennen, die in den ekstatischen Situationen die Aussage von Text und Musik noch unterstrich.
Matthias Jung leitete den großen Aufführungsapparat mit einer sehr guten Gesamtkonzeption und Gestaltung. Er hat das Werk in seinen Tiefen erfasst und für eine entsprechende Wiedergabe gesorgt. Die technische Perfektion wurde hier zur Grundlage einer großartigen, mitreißenden Gestaltung.
Dem ernsten Charakter des Werkes entsprechend, wurde auf Beifall für die ausgezeichnete Interpretation verzichtet, aber die langanhaltende Stille war wohl der schönste Applaus für diese erschütternde, aber auch sehr tröstliche Aufführung des sehr ernsten und auch persönliche Werkes, das Brahms erst für die Trauerfeier seines Freundes Robert Schumann begonnen und später durch den Tod seiner Mutter wieder aufgenommen und u. a. auch durch Hinzufügen der Sopran- und Bariton-Arien zu einem bewegenden Werk vollendet hat, das ihn über Nacht berühmt machte.
Ingrid Gerk