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Dietmar Grieser: WIEN – WAHLHEIMAT DER GENIES

18.06.2019 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

Dietmar Grieser:
WIEN – WAHLHEIMAT DER GENIES
272 Seiten, Amalthea Verlag, 2019

1994 gab es das Buch schon einmal, hier hat man es mit einer „ergänzten Jubiläumsausgabe“ zu tun. Der Titel stimmt natürlich nicht ganz. Als Genies gehen wohl nur wenige durch, die – von woher immer auch kommend – sich in Wien niedergelassen haben. Der Herr Mozart aus Salzburg (der interessanterweise in dem Buch gar nicht vorkommt) oder der Herr Beethoven aus Bonn. Als Wahlheimat war und ist die Stadt noch immer beliebt (sie hat auch einiges zu bieten): Schließlich ist ja auch Buchautor Dietmar Grieser, aus Hannover gebürtig, hier „picken“ geblieben (wie er im Vorwort auch ausführt) und hat viel für seine neue Heimatstadt geleistet. So wie heutige „Wiener“, bei denen man gar nicht auf die Idee käme, dass sie nicht von Geburt her „echt“ sind, von Michael Heltau bis Robert Meyer… Und die sind auch geblieben, während so manche, die hier vorkommen, einfach nur vorbeigekommen sind.

Aber wie immer bei Grieser geht es vordringlich (wenn auch diesmal nicht nur) um historische Fälle, die als Beispiele zum Thema unterschiedlich überzeugen. In der Politik finden sich natürlich die zwei Parade-Namen: Ludwig XIV. hat es später bereut und offen als einen seiner größten Fehler bezeichnet, den jungen, kleinwüchsigen, so penetranten Herrn Eugen von Savoyen (mit dessen lästiger Mutter der König einmal ein Verhältnis hatte) abgewiesen zu haben, als dieser ihm seine Dienste anbot. Kaiser Leopold I. in Wien kann es sich als eine seiner klügsten Entscheidungen anrechnen, dass er den jungen Mann einmal machen lässt, der sich so gerne auf dem Schlachtfeld bewähren will – schließlich stehen gerade die Türken vor Wien. Er hat für sich und seine Nachfolger den besten aller Feldherren gefunden. (Warum Grieser die Geschichte mitten drin abbricht und nicht schildert, was Eugen für seine Wahlheimatstadt Wien getan hat – das Belvedere zum Beispiel? – , versteht man nicht ganz.) Ja, und der Herr Metternich vom Rhein (dessen erste Gattin anderswo eine bessere Nachrede hat als hier bei Grieser) – der hat in Wien auch Karriere gemacht, schuf ein „System“, das den Habsburger Staat erhalten sollte, und hat auch Revolutionen überlebt: Noch den uralten, aus der Emigration heimgekehrten Mann hat der junge Kaiser Franz Joseph um Rat aufgesucht…

Eine schöne Geschichte ist auch jene von Jean Baptiste Clery, der immerhin der Kammerdiener von König Ludwig XVI. und folglich auch dessen österreichischer Gattin Marie Antoinette nahe war: Er hat die beiden bis zu ihrem tragischen Ende begleitet (wie er selbst überlebt hat, das ist mysteriös – wer strich ihn von den Listen der Hinzurichtenden?), und er ist mit seinen Memoiren reich geworden und in Wien gelandet. Immerhin wird sein Grab am Hietzinger Friedhof, wie Grieser berichtet, bis heute von der Französischen Botschaft bezahlt. Von den Franzosen doch noch reklamiert – aber ein Wahlwiener.

Bei anderen Persönlichkeiten überzeugt die Bindung an Wien weniger. Dass Adele Sandrock im Lauf ihrer Karriere hier durchgerauscht ist und mit so vielen Künstlern wie möglich Verhältnisse anfing, macht sie kaum zur Wahlwienerin – höchstens, dass sie am Matzleinsdorfer Friedhof begraben ist.

Wie übrigens auch Friedrich Hebbel, dessen Geschichte allerdings geradezu faszinierend ist: Der nicht wirklich glückliche Dichter, der nicht wusste, wohin mit sich, wollte gerade aus Wien abreisen, als leidenschaftliche (und reiche) Verehrer seiner Dichtungen ihn zurück hielten – und als er gar die schöne Burgschauspielerin Christine Enghaus traf, Liebe auf den ersten Blick, Ehe, Wien bis zum Ende: ein wunderbarer Lebenslauf. Wie ein Roman.

Grieser nimmt die Promis, wie sie mit unterschiedlicher Überzeugungskraft kommen, die Japanerinnen (Mitsuko Aoyama, die eine Coudenhove-Kalergi wurde, Michiko Tanaka, die erst den alten Julius Meinl, dann den Schauspieler Viktor de Kowa heiratete und Wien dabei nur streifte), gegenwärtige Namen sind der Israeli Samy Molcho, die Russin Elisabeth Leonskaja, sie haben sich Wien ausgesucht.

In der Geschichte sind noch überzeugende Figuren – was wäre das Wien Maria Theresias ohne Gerard van Swieten gewesen, und die Thonet-Möbel und die Adlmüller-Mode haben zur Geschichte ihrer neuen Heimatstadt wahrlich etwas beigetragen. Auch Hansen, Schmidt oder Billroth, Salieri oder – ja, auch der – Gerngross. Da hat man doch das Gefühl, die gehören hierher.

Andere sind eher beiläufig vorbei gehuscht – Goethes Schwiegertochter Ottilie, die einfach einen neutralen Platz abseits von Weimar suchte, um ein uneheliches Kind zu gebären, und später wieder in die Welt des (verstorbenen) Schwiegervaters zurück gekehrt ist. Von „Wahlheimat“ eines „Genies“ kann da eher nicht die Rede sein. Aber es gibt doch noch genügend Beispiele, auf die der Titel passt. Und, wie immer bei Grieser: Unterhaltsam zu lesen sind sie alle.

Renate Wagner

 

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