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Dietmar Grieser: GELIEBTES GESCHÖPF

05.06.2016 | buch, CD/DVD/BUCH/Apps

BuchCover  Grieser,  Geliebtes Geschöpf

Dietmar Grieser:
GELIEBTES GESCHÖPF
Tiere, die Geschichte machten
272 Seiten,
Amalthea Verlag, 2016

Hoppla, denkt man zu Beginn, Grieser und Tiere, das gab es doch schon einmal? Und es wird auch tatsächlich nicht geleugnet, dass vor einem Vierteljahrhundert (lang genug ist’s her) „Im Tiergarten der Weltliteratur“ (Auf den Spuren von Kater Murr, Biene Maja, Bambi, Möwe Jonathan und den anderen) erschienen ist und dass in dem Band „Geliebtes Geschöpf“ der eine oder andere frühere Artikel Eingang gefunden hat.

Dennoch, die „Tiere, die Geschichte machten“ lesen sich vorzüglich, auch wieder einmal mit dem Privataspekt, neue Stückchen Grieser-Biographie dazu geliefert zu bekommen. „Geschichte machen“ ist in Bezug auf die geschilderten Tiere vielleicht zu hoch gegriffen, das haben, wenn überhaupt, die Gänse des Kapitols getan, aber Geschichten über Menschen angesichts der Tiere ihres Lebens, die gibt es in Hülle und Fülle.

Mitsamt Fotos – Sigmund Freud mit seinem Chow-Chow, Tolstoj hoch zu Roß („Lev, Du musst in Deinem früheren Leben ein Pferd gewesen sein“, sagte Dichterkollege Turgenjew zu ihm), Loriot mit seinen Möpsen (und dem Ausspruch „Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos“), Kreisky mit seinem Dobermann („Nichts Besseres konnte einem passieren, als Hund bei Kreisky zu sein“, erklärt uns Lotte Tobisch), Lolita-Schöpfer Vladimir Nabokov mit einem Schmetterlingsnetz (die Jagd nach diesen Tierchen nannte er den „edelsten Sport der Welt“). Selbst Grieser ist mit einem Hund konterfeit…

Die eigenen Grieser’schen Tiergeschichten sind drollig genug, vor allem die Geschichte seines Vaters, der in „Schneckenhausen“ (!) geboren wurde, vom Beruf Gymnasiallehrer für Biologie, Physik und Chemie war und eine bemerkenswerte Dissertation geschrieben hat – nämlich über die „Anatomie von Chama pellucida Broderip“, sprich, Muscheln, die im Pazifik beheimatet sind und von Dr. Emil Grieser akribisch „zerlegt“ und geschildert wurden. Sohn Dietmar nahm sich, längst erwachsen, ernsthaft vor, Vaters Werk zu lesen – er scheiterte auf Seite 22 „entkräftet“, wie er sagt. Dafür fällt ihm sonst zu Tieren viel ein.

Natürlich weiß auch Grieser nicht alles – was wurde aus den vier Gazellen, die der Schah von Persien 1873 als Geschenk für Kaiserin Elisabeth mitbrachte, als er die Wiener Weltausstellung besuchte? (Man kann nur hoffen, dass sie nicht einem der schießwütigen Habsburger vor die Flinte gelaufen sind.) Oder: Weiß jemand, warum ausgerechnet unter Kaiser Sigismund der Doppeladler zum Staatssymbol wurde? Aber wenn es schon nicht immer Antworten gibt, Grieser stellt wenigstens die richtigen Fragen und erzählt immer mehr, als gemeiniglich bekannt ist.

Pferde: Von den berühmten Tieren der Weltgeschichte nennt er zwar seltsamerweise nicht Alexander den Großen mit seinem Bukephalos, wohl aber den verrückten Caligula, der sein Pferd Incitatus zum Konsul machen wollte, oder Napoleons Pferd Marengo (ein in Ägypten erbeuteter Araberhengst), das in der Schlacht von Waterloo starb und dessen Knochen die Feinde als Trophäe heimtrugen. Keine Pferde zum Reiten, aber kulturhistorisch faszinnierend ist die Suche nach dem Gemälde „Turm der blauen Pferde“ des Franz Marc (von Göring von der „entarteten Kunst“, die verkauft werden sollte, abgezweigt und dann verschwunden).

Hunde: Das ist eine unendliche Geschichte, es gibt eine wahre „Zunft“, die sich das Leben ohne Hund nicht vorstellen kann. Der „Alte Fritz“, Preußenkönig Friedrich II., war ein harter Knochen, aber jeder, der sein Schloß in Sanssouci besucht hat, hat auch die zahlreichen Gräber für seine geliebten Hunde gesehen. (Komisch, dass die Queen mit ihren Hunden nicht vorkommt!)

Aber es gibt ja auch noch andere Tiere – hoch interessant, wie es zu „Cats“ kam, liebevolles Lächeln erzeugt der Autor mit seinem mutigen Bekenntnis zur „Sendung mit der Maus“, die er auch noch in seinen höheren Lebensjahren ambitioniert betrachtet. Und wer hätte geahnt, dass bei Goethes Eckermann im Arbeitszimmer die Vögel herumflatterten? Und dass der sensible Schöpfer des Rehes „Bambi“, Felix Salten, ein passionierter Jäger war? (Das Leben ist voll von Widersprüchen.)

Ja, und wieder eine Grieser-Geschichte – als sein erstes Tiere-Buch ins Japanische übersetzt wurde, durfte ein böser Drache nicht vorkommen: Drachen stehen dort fürs Kaiserhaus, und da hat alles gut zu sein…

Es ist ein bunter Tiergarten an Wissen, Recherchiertem, Erlebtem und locker erzählten Geschichten, das hier zwischen Buchdeckeln vereint ist. Kurz, das, was die Leser von ihrem „Grieser“ erwarten.

Renate Wagner

 

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