Regina Jankowitsch / Annie Rüdegger-Rosar
DIE SCHAUSPIELERIN ANNIE ROSAR (1888-1963)
328 Seiten, Böhlau Verlag, 2022
Auch sie zählt – wie beispielsweise Adele Sandrock oder Tilla Durieux – zu jenen Schauspielerinnen, bei denen man sich vor allem an ihr „altes“ Gesicht erinnert: Annie Rosar. Wer sie je im Kino in der Rolle der Teta Linek in der Werfel-Verfilmung „Der veruntreute Himmel“ gesehen hat, wird diese rührend fromme alte Frau nicht vergessen haben.
Abgesehen davon ist es eine Tatsache, dass Annie Rosar neben Hans Moser, Paul Hörbiger, Theo Lingen zu jenen Stars zählt, die – oft in farbigen Nebenrollen – zum festen Bestand der Lustspielszene der Kriegs- und Nachkriegsepoche zählte. Über alle ihre Kollegen gibt es Bücher – mit ihr hat sich noch niemand beschäftigt.
Bis nun ihre Urenkelin Annie Rüdegger-Rosar sich mit der Historikerin Regina Jankowitsch zusammenfand, um den reichlich vorhandenen Nachlass von Annie Rosar (die u.a. eine große Tagebuchschreiberin war) zu sichten und in eine Biographie einzufügen. Es ist ein spannendes Leben geworden, die Geschichte einer Selfmade-Frau, die nie aufgehört hat zu kämpfen – und die es weder privat noch beruflich leicht im Leben hatte.
Da führt der Weg von der Tochter von bäuerlichen Eltern, die nach Wien gezogen war, ganz schnell in die Selbständigkeit, weil Annie das enge Leben in der Familie nicht gefiel. 1888 geboren, war sie 19, als sie den Schweizer Geschäftsmann Max Walser heiratete und mit ihm nach Italien ging, wo er seine Firma vertrat. Annie Rosar lernte mit ihrem vorzüglichen Gedächtnis nicht nur mehrere Sprachen, sondern auch Texte. Es war die schlechte Ehe, in der sich beide nicht gut benommen haben und die sie gewissermaßen aus Unzufriedenheit in den Schauspielerberuf trieb – und vom Gatten weg, die Scheidung erfolgte schon 1910.
Annie Rosar hat, weil nicht eigentlich hübsch, sondern eher interessant, nicht ganz so leicht Karriere beim Theater gemacht wie damals die schönen jungen Frauen – aber immer wieder erstaunt man über ihre Entschlossenheit. Dass sie in München noch vor dem Ersten Weltkrieg in Künstlerkreisen als ausgesprochen sexy und erotisch herausfordernd auffiel, wusste man auch aus den Tagebüchern von Lion Feuchtwanger, der nur einer ihrer zahlreichen Liebhaber war (und oft dachte sie bei Beziehungen ans „Netzwerken“). Sie war entschlossen, es um jeden Preis zu schaffen.
Annie Roaar hat sich den Weg an das Wiener Burgtheater, das Ziel ihrer Wünsche, erkämpft, hat aber hier nie wirklich reüssiert. Beim Film konnte sie früh landen, über Reinhardts Bühnen kam sie wieder nach Wien, diesmal ins Deutsche Volkstheater.
Den überwiegenden Teil des Buches nimmt das tragische Privatleben der Annie Rosar ein. Sie heiratete nacheinander zwei Juden – den Anwalt Robert Beinert, Scheidung, dann den ungarischen Geschäftsmann Ladislaus Fuchs, der 1927 starb. Für Männerbeziehungen hatte sie – da gibt sich die Urenkelin als Autorin keiner Illusion hin – kein Händchen, die gerieten alle ziemlich unglücklich. Als sie aber 33jährig im Jahr 1921 endlich einen Sohn bekam, den sie René nannte, war sie eine leidenschaftliche und eifersüchtige Mutter.
Dieser Sohn bedeutete für sie allerdings nicht nur Glück, sondern auch Unglück. Er wandte sich früh den Nazis zu, und Annie Rosar tat, was so viele „arische“ Mütter damals taten, um ihre „Mischlings“-Kinder von Juden aus der Schusslinie zu nehmen – sie „schwor“ (und log), dass sie den jüdischen Gatten betrogen hätte… So konnte René bei den Nazis „Karriere“ machen, die darin endete, dass er zu Weihnachten 1943 erst 22jährig an der Ostfront fiel.
Dessen Sohn Wolfgang kam ein paar Wochen nach dem Tod des Vaters zur Welt, und die private Tragödie perpetuierte sich in stetem Kampf der Großmutter Annie gegen die Mutter Ursula um dieses Kind (wofür sie auch vor Gericht zog). Außerdem war ihre 1930 geschlossene vierte Ehe mit Franz Rebiczek, einem sozialistischen niederösterreichischen Landesbeamten, eine ewige Schlacht, die fast bis zu ihrem Lebensende währte.
Wie sie es schaffte, neben diesen privaten Stürmen doch noch ihre Karriere (auch hier gab es sehr viel Streit) weiter zu treiben und erfolgreich zu sein, ist ein Wunder und ein Zeichen ihrer Stärke. Ihr Hinweis, es sei doch wunderbar, wie gut das Dritte Reich seine Künstler behandle, führt dann zu jener ausführlichen Passage, wo es darum geht, die Verstrickungen von Annie Rosar in das nationalsozialistische Regime zu betrachten – bzw. davon „freigesprochen“ zu werden, was ihr bei der „Entnazifizierung“ nicht ohne Mühe gelang.
So, wie sich ihr Charakterporträt in dem Buch darstellt, hat sie sich stets nur für sich selbst und ihre Karriere interessiert und dafür getan, was nötig war. Sie war zudem kein „Aushängeschild“ wie etwa Paula Wessely, die man in Propagandafilme drängte. Kurz, sie hat von dem System profitiert, ohne viel dazu zu tun – und offenbar auch ohne viel darüber zu reflektieren, auch nicht, als ihr Sohn sinnlos am Schlachtfeld fiel.
So ging es dann nach dem Krieg für Annie Rosar, die von der „feschen“ Frau der Frühzeit zur reschen Alten geworden war, erfolgreich weiter. Da man als Leser des Buches Annie Rosar ja letztlich nur als Schauspielerin kennt, würde man sich etwas mehr für diesen Aspekt ihres Daseins interessieren – aber den bedienen die Autorinnen weit weniger als das Private. Das übrigens unendlich tragisch endete – nach einer Beinamputation in ein Sterbekammerl des Hanusch-Krankenhauses geschoben, lag sie in den letzten Zügen, als Enkel Wolfgang kam. Annie Rosar starb 1963 im Alter von 75 Jahren. Bis zuletzt war sie noch mit Hans Moser unter stürmischem Beifall des Publikums in der Volksoper in der „Zrikusprinzessin2 auf der Bühne gestanden.
Annie Rosar bekam ein Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof und wurde vergessen. Nicht genug ärgern kann sich die Urenkelin über die Gedankenlosigkeit der Stadt Wien, einen Annie-Rosar-Weg im 22. Bezirk zu benennen, einem Teil von Wien, den sie mit Sicherheit nicht betreten hat.
Nun, die Biographie einer bewundernswert starken Frau liegt reich mit Bildern und Dokumenten versehen vor, einer Frau, die in ihrem Kampf mit dem Leben nicht immer rücksichtsvoll war. Der Theater- und Filmfreund wird sich zu kurz gekommen fühlen, wird ebenso ein Rollenverzeichnis für Theater und Film wie auch eine viel ausführlichere Lebenschronik, als hier geboten, vermissen. Das dokumentarische Material, das dem Buch an Bildern beigegeben ist, zeigt wenig von der Schauspielerin Rosar. Über deren Leistungen die sich in so interessanten Theater- und Film-Welten wie –Zeiten abspielten, würde ein weiteres Buch zu schreiben sein.
Renate Wagner