TATYANA LARINA – Die Met im Kino, 5.10.2013
Eine darstellerisch überragende Anna Netrebko machte die Übertragung des „Eugen Onegin“ aus der Metropolitan Opera zu einem Ereignis. Netrebko, die die Rolle der Tatyana zum ersten Mal in Wien gesungen hatte, konnte die zwei Seiten dieser Figur glaubhaft in Szene setzen. Zu Beginn war sie das schüchterne Mädchen (dass die Figur der Netrebko aktuell einer russischen Mamutschka gleicht und dieser Eindruck noch von den Kostümen verstärkt wird, fällt da gar nicht so stark auf), deren Emotionen in der Briefszene ganz stark zum Vorschein traten. Sie hätte eigentlich gar nicht singen brauchen – ihr Mienenspiel alleine hat die innere Zerrissenheit glaubhaft dargestellt – dies ist ein Vorteil der Kameraführung, dass man quasi „mittendrin und nicht nur dabei“ ist. Netrebko war dann eine würdige Gräfin Gremina, die aber nach wie vor Gefühle für Onegin hegt. Bei Kino- oder Opernübertragungen besonders auf das Vokale einzugehen, ist immer gefährlich – man weiß ja nicht, wie sehr die Technik da Einfluss nimmt. Insgesamt überzeugte A.N. aber als junges Mädchen mehr – im letzten Bild waren da ein oder zwei Intonationen, die nicht ganz sauber waren. Aber als „Gesamtpaket“ war sie sehr überzeugend und hat dank ihrer Persönlichkeit die Vorstellung absolut dominiert.
Oksana Volkova verkörperte die lebenslustige Olga mit einer sehr guten Technik und einer fundierten Tiefe, rollendeckend auf Elena Zaremba als Mutter Larina und „Njanja“ Filipyevna Larissa Diadkova. Es fiel überhaupt sehr positiv auf, dass so gut wie alle Rollen mit „Native Speakers“ besetzt worden sind (die zwei Polen rechne ich einmal auch dazu) – es ist für den Gesamteindruck so wichtig, dass bei Onegin ein gutes Russisch gesprochen wird. Die Weichheit dieser Sprache in den Worten Puschkins, unterlegt von der Melancholie der Musik von Tschaikowsky ist einfach eine perfekte Verbindung…
Die einzige vokale Leistung, die nicht dem Standard der anderen entsprach, steuerte John Graham Hall als Triquet bei. Das klang sehr unausgewogen – allerdings weiß man nicht genau, ob diese Inadäquanz von der Regie gewollt war oder nicht – oft wird diese Figur ja ins Lächerliche gezogen.
Mariusz Kwiecien gehört zu den Stammgästen der Met und tritt dort sehr oft auf. Kwiecien hatte es nicht gerade leicht, da er gegen seinen unmittelbaren Rollenvorgänger sowohl in Wien (unwillkürlich zieht man Vergleiche, ob man nun will oder nicht) als auch in der Vorgängerproduktion an der Met. Und da kann er meiner Meinung nach Dmitri Hvorostovsky (noch) nicht das Wasser reichen. Es fehlt da einfach noch die Persönlichkeit, er wirkt einfach noch zu jung und unerfahren. Ebenfalls ist sein Timbre nicht wirklich eines, das im Gedächtnis bleibt. Ja, er schaut gut aus, ist in körperlicher Topverfassung, ist auch ein guter Singschauspieler – aber im Vergleicht der Ausstrahlung hatte er an diesem Abend gegen die Netrebko nichts zu bestellen.
Einen durchschnittlich guten Gremin gab Alexei Tanovitski, der auf Grund seiner Größe schon das sechste Bild dominierte. Fürst Gremin ist ein Geschenk für jeden Bass – man hat relativ wenig zu singen, aber die Arie ist de facto ein Garant für Applaus! Tanovitski war in den Höhen nicht wirklich überzeugend und hat da etwas gepresst.
„Kuda kuda“ – die Abschiedsarie des Vladimir Lenski ist für die meisten Besucher der absolute Höhepunkt jeder Onegin-Vorstellung. An diesem Abend versuchte sich der in heimischen Gefilden sattsam bekannte Piotr Beczala. Er hatte einen vokal hinreißenden Abend, sein lyrischer Tenor glänzte, aber trotzdem fehlte der Arie das gewisse „Etwas“, das so schwer zu beschreiben ist, eine Performance aber erst außergewöhnlich macht. Ich weiß es selbst nicht, was da gefehlt hat. Technisch war alles sauber, die Töne saßen alle… aber trotzdem…
Valery Gergiev dirigierte das Orchester der Metropolitan Opera und wirkte dabei etwas müde, was sich auch auf den orchestralen Part auswirkte. Irgendwie klang alles wie Dienst nach Vorschrift – erst im letzten Bild wurde die Dramatik der Begegnung zwischen Tatyana und Onegin auch seitens des Orchesters unterstützt.
Ohne Einschränkung ergeht ein Lob an die Produktion! Deborah Warner inszenierte, die Regie übernahm relativ kurzfristig, nachdem Warner gesundheitliche Probleme hatte, Fiona Shaw. Shaw selbst kommt vom Schauspiel und man konnte an den gut gestalteten Charakteren erkennen, dass da ein wirklicher Profi am Werk war. Diese waren sehr subtil gestaltet und oft waren es die kleinen Gesten, die durch die Kamera eingefangen wurden, die den positiven Eindruck bestärkten. Tom Pye entwarf das stimmungsvolle Bühnenbild, Chloe Obolensky war für die wunderbaren Kostüme verantwortlich.
Man mag es glauben oder auch nicht – das Stück spielte im Russland des 19.Jahrhunderts!!! Im Anwesen der Familie Larin und später in einem Palais in St.Petersburg und an den Ufern der Newa!!! Und man spielte und sah das, was im Libretto stand – und man bekam keinen Eurotrash vorgesetzt, wie wir ihn in Wien haben. Ganz ehrlich, ich würde viel dafür geben, diese Produktion an der Staatsoper zu sehen – aber leider co-produzierte die Met nicht mit der Staatsoper, sondern mit der English National Opera.
Zum Schluss noch ein Dank an die Sponsoren, die diese Produktion ermöglichten – danke an die Neubauer Family Foundation. In dieser Inszenierung macht diese Oper wirklich viel Sinn!
Kurt Vlach